16.02.2016 Aufrufe

MOTORRAD 05/2016

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Michelin-Reifen Seltsamer Defekt an einem Hinterrad-Slick<br />

Als Loris Baz kurz nach halb elf am zweiten<br />

Trainingstag die Zielgerade von Sepang<br />

entlangbrauste, hörten die Mechaniker<br />

in den Boxen plötzlich einen lauten<br />

Knall. Reifenteile wirbelten durch die Luft,<br />

dann raspelte die Ducati des Franzosen funkensprühend<br />

über den Asphalt. Das Motorrad<br />

wurde zusammengestaucht, während<br />

Baz bei 290 km/h auf dem Rücken landete<br />

und nach einer glimpflich verlaufenen<br />

Rutschpartie unverletzt davontrabte.<br />

Erinnerungen wurden wach an den 340 km/h-<br />

Sturz von Shinya Nakano 2004 in Mugello,<br />

auf den der damalige Reifenhersteller Bridgestone<br />

mit besonders sicheren Neukonstruktionen<br />

reagiert hatte. Zu so drastischen<br />

Maßnahmen sah Michelin, Bridgestones<br />

Nachfolger als Alleinausrüster der MotoGP-<br />

Klasse, nach dem Baz-Unfall keinen Anlass.<br />

„Als ich den Fahrer am Streckenrand entlanglaufen<br />

sah, war ich sehr erleichtert“,<br />

schilderte Renndienstleiter Nicolas Goubert.<br />

„Trotzdem haben wir diesen Reifentyp daraufhin<br />

zurückgezogen. Wir haben seit Mitte<br />

Januar zwischen 80 und 100 dieser weicheren<br />

Reifen hier in Sepang benutzt, ohne<br />

Zerstörter Hinterradreifen an der Ducati<br />

von Loris Baz: Sturz bei 290 km/h, Arbeit für<br />

Reifenhersteller Michelin<br />

jedes Problem. Unmittelbar vor dem Sturz<br />

haben wir jedoch bemerkt, dass sich Schäden<br />

an einem Reifen abzeichneten, den Baz<br />

bereits am Vortag und an diesem Morgen<br />

eingesetzt hatte. Gleichzeitig stellten wir<br />

fest, dass er bei der Rückkehr an die Box<br />

einen sehr niedrigen Reifendruck hatte, nur<br />

1,45 bar statt des Minimums von 1,50 bar,<br />

was bereits einen großen Unterschied ausmachen<br />

kann. Ich weiß nicht, wie der Druck<br />

beim letzten Reifen war, denn das Team hat<br />

keine Luftdrucksensoren. Jetzt haben wir bei<br />

der Dorna beantragt, dass uns alle Teams<br />

künftig zuverlässige Informationen über den<br />

Reifenluftdruck geben müssen.“<br />

Sicherheitshalber werde man den explodierten<br />

Reifen zuhause in Clermont-Ferrand<br />

genau unter die Lupe nehmen, fügte Goubert<br />

hinzu, für eine Neukonstruktion sehe<br />

er aber keinen Grund. Dafür werden die im<br />

Felgenbett untergebrachten Luftdrucksensoren,<br />

die bislang nur von den Werksteams<br />

eingesetzt werden, künftig für alle MotoGP-<br />

Maschinen Pflicht.<br />

MotoGP-Tests in Sepang/MAL<br />

In Sepang fuhr Lorenzo fast eine Sekunde<br />

schneller als Rossi und war am Vortag<br />

mit dem harten Hinterreifen nur um Bruchteile<br />

an der Tagesbestzeit von Pramac-<br />

Ducati-Pilot Danilo Petrucci vorbeigeschrammt.<br />

Der hatte seine Zeit erzielt,<br />

bevor Michelin die Reifen mit der weichen<br />

Mischung wieder eingesammelt hatte<br />

(siehe Kasten oben).<br />

Natürlich kam Lorenzo auch das gute<br />

Gefühl mit den Michelin-Reifen zugute, das<br />

er mit der letzten Generation hitzebeständiger<br />

Bridgestone-Reifen nie gehabt hatte.<br />

Yamaha experimentierte in Sepang mit<br />

einer Motorradversion, deren Gewichtsverteilung<br />

auf die relativ weichen Vorderradreifen<br />

zugeschnitten war, die Michelin bei<br />

den letzten Tests des alten Jahres noch im<br />

Gepäck gehabt hatte. Über Winter sind die<br />

Vorderradpneus deutlich stabiler geworden<br />

und bieten mehr Feedback beim heftigen<br />

Bremsen und Einbiegen, weshalb die Yamaha-Piloten<br />

nun doch wieder das Chassis des<br />

Vorjahres bevorzugen.<br />

Die Politik der kleinen Schritte zahlt sich<br />

auch beim Motormanagement aus. Yamaha<br />

arbeitet schon seit Jahren mit Magneti<br />

Marelli zusammen und sammelte über das<br />

mittlerweile verschwundene Forward-Team<br />

Erfahrung mit den Ur-Versionen der Einheits-Software.<br />

Bis auf eine geringfügige<br />

Leistungssteigerung entspricht der Werksmotor<br />

der Vorjahresvariante, die Adaption<br />

an die neue Elektronik war kein unüberwindliches<br />

Hindernis. „Es ist so, als wenn<br />

du von einem neuen Mac auf einen zehn<br />

Jahre alten Windows-Rechner umstellst.<br />

Es ist nicht einfach, aber es geht“, führte<br />

Rossi als Beispiel an.<br />

Loris Baz hatte Glück im Unglück: Beim<br />

Highspeed-Sturz wegen des defekten Hinterreifens<br />

blieb der Franzose unverletzt<br />

Wo es nicht geht, ist bei Honda. „Die ersten<br />

Tage waren wir sehr weit weg. Jetzt sind<br />

wir noch, hm, weit weg“, versuchte Marc<br />

Márquez die Fortschritte der Tests in Worte<br />

zu fassen. Am dritten Testtag war ihm zwar<br />

die drittbeste Zeit geglückt, doch von Aufatmen<br />

konnte keine Rede sein: Márquez hatte<br />

gleichzeitig fast 1,3 Sekunden auf Lorenzo<br />

verloren. Teamkollege Dani Pedrosa, am<br />

letzten Tag Sechster mit einem Rückstand<br />

von fast 1,6 Sekunden, murmelte etwas von<br />

notwendigen „tiefgreifenden Änderungen“,<br />

bevor er aus dem Fahrerlager verschwand.<br />

Dabei sind es nicht die Michelin-Reifen,<br />

mit denen die beiden Repsol-Honda-Stars<br />

ihre Probleme haben. Im Gegenteil: Márquez’<br />

Fahrstil, am Limit in die Kurve zu<br />

bremsen und das ausbrechende Hinterrad<br />

ums Vorderrad zirkeln zu lassen, hatte im<br />

letzten Jahr nicht funktioniert und zum Teil<br />

verhängnisvolle Fahrfehler des Superstars<br />

heraufbeschworen. Der weichere Aufbau<br />

der Michelin-Vorderreifen in Verbindung<br />

mit dem hohen Gripniveau am Hinterrad<br />

hilft Márquez auf dem Weg zu flüssigeren<br />

Kurvenlinien. „Immerhin bin ich an allen<br />

drei Tagen sturzfrei geblieben“, merkte er<br />

mit strahlendem Lächeln an.<br />

Und das trotz des eigentlichen Honda-<br />

Problems, des aggressiven Charakters<br />

des Honda-V4-Motors. Über den Winter<br />

versuchten die Ingenieure zwar, den Leistungseinsatz<br />

im oberen Drehzahlbereich zu<br />

kappen und weiter nach unten zu verschieben.<br />

Statt zu viel Kraft beim Beschleunigen<br />

mit halb aufgerichtetem Motorrad am Kurvenausgang<br />

hat die Maschine jetzt zu viel<br />

Biss beim ersten Gasgeben in Kurvenmitte.<br />

Dank der ausgereiften, hauseigenen<br />

Elektronik gelang es den Honda-Ingenieuren<br />

in der Vergangenheit immer wieder, ihr<br />

Motorrad fahrbar zu machen. Doch mit der<br />

neuen Einheits-Elektronik stellt sich Honda<br />

ganz hinten an. Während der schlaue Gigi<br />

Dall’Igna bei der Entwicklung der Einheits-<br />

118 SPORT<br />

5/<strong>2016</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!