Trutzgauer Bote |
Menuhin-Gerard-Wahrheit-sagen-Teufel-jagen
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“Die Überzeugung, wie man sich übernommenen Verpflichtungen gegenüber,<br />
gleichviel ob sie freiwillig oder unfreiwillig übernommen sind, zu stellen hat,<br />
entnehme ich meinem früheren wirtschaftlichen Leben. … Der Kaufmannsstand in<br />
der ganzen Welt und in allen Jahrhunderten hat auf Vertrauen beruht, und dieses<br />
Vertrauen hat als Symbol das geschriebene Wort: die Unterschrift. Wenn ein Papier<br />
die Unterschrift meines Hauses oder meines Namens, oder gar die Unterschrift<br />
meines Volkes und Reiches trägt, dann verteidige ich diese Unterschrift als meine<br />
Ehre (sehr gut! bei den Sozialdemokraten) und als die Ehre meines Landes. (Zurufe<br />
rechts.) Ich halte sie nur für erfüllbar, wenn wir entschlossen sind, uns in tiefe Not<br />
zu begeben, darauf kommt es an (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten, Zurufe<br />
und hört! hört! rechts, erregte Zurufe bei den Vereinigten Kommunisten). Zwischen<br />
Nichterfüllen und Erfüllen liegt der Faktor der Not. Die Not hätte ich gern<br />
vermieden, die kommen wird, wenn wir ehrlich erfüllen sollen. (Erneute Zurufe<br />
rechts). Ob man erfüllen kann, hängt von dem Maße der Not ab, in die man sich<br />
begibt. (Erregte Zurufe rechts). Es gibt keine absolute Unerfüllbarkeit, denn es<br />
handelt sich lediglich darum, wie tief man ein Volk in Not geraten lassen darf.”<br />
Vor der Entscheidung über Annahme oder Ablehnung hatte es allerdings einen Augenblick<br />
lang den Anschein, als ob die große Mehrheit des Reichstages davor zurückschreckte,<br />
abermals unerfüllbare Verpflichtungen zu übernehmen und so mit eigener Hand die uns<br />
angedrohte Gewalt in Recht zu verwandeln. Sogar die Mehrheitssozialdemokratie schien<br />
damals nicht gewillt, einen neuen Akt der Unterwerfung unter ein unausführbares Diktat<br />
mitzumachen. Damals schrieb der “Vorwärts” als Antwort auf französische Stimmen, die<br />
der Sozialdemokratie im Interesse der “Völkerversöhnung” zur Unterwerfung rieten:<br />
“Von allen Versprechungen, die uns gemacht worden sind, ist keine einzige gehalten<br />
worden. Hinter der Maske internationalen Verständigungsstrebens traten immer<br />
wieder die Züge eines bald naiven, bald verschmitzten Nationalismus hervor.<br />
Ehrliches Verständnis dafür, dass wir als Sozialdemokraten auch die Interessen<br />
unseres eigenen schwer bedrängten Volkes zu vertreten verpflichtet sind, haben wir<br />
jenseits der deutschen Grenzen immer nur bei einem Teil der Arbeiterschaft und bei<br />
überzeugten, internationalen Sozialisten gefunden, niemals bei den<br />
verantwortlichen Staatsmännern Frankreichs oder Englands und erst recht<br />
natürlich nicht in der Pariser Boulevardpresse. Kurz und gut: fragt man uns, ob wir<br />
unserem eigenen Volk helfen, den wahren Frieden herstellen, ein ehrliches auf<br />
Gleichberechtigung und gegenseitiger Achtung beruhendes Verhältnis zwischen den<br />
Völkern herstellen wollen, dann antworten wir Ja und tausendmal Ja! Aber auf die<br />
Frage, ob wir uns zum Anwalt und Vollzieher unausführbarer, vernichtend<br />
wirkender, jeden wahren Frieden zerstörender Forderungen machen wollen, gibt es<br />
als Antwort nur ein entschiedenes, eindeutiges Nein!”<br />
Am folgenden Tag veröffentlichte der sozialdemokratische Reichstagspräsident Löbe in der<br />
“Breslauer Volksmacht” einen Artikel, in dem es hieß:<br />
Auch die Sozialdemokraten sind wie alle bürgerlichen Parteien von der<br />
Unmöglichkeit der Erfüllung der geforderten Leistungen überzeugt. Auch sie<br />
können die Verantwortung für ein Dokument, das Kinder und Kindeskinder in<br />
Schuldknechtschaft hält, nur gemeinsam mit allen anderen Volksgenossen<br />
übernehmen. Alle Parteien, nicht nur wir, müssen vor die Frage gestellt werden, ob<br />
sie die Auslieferung deutschen Gebiets an die Feinde oder den Versuch der<br />
Bezahlung horrender Geldsummen für den richtigen Ausweg aus unserer<br />
verzweifelten Lage halten … Regierung und Sozialdemokratie können den<br />
Riesenschuldschein nur dann unterschreiben, wenn auch die Deutschnationalen<br />
erklären, dass es keinen anderen Ausweg gibt … Die auswärtige Lage unseres<br />
Landes ist so verzweifelt, dass hier die oft missbräuchlich verlangte “Einheitsfront”<br />
<strong>Trutzgauer</strong> <strong>Bote</strong> | Gerard Menuhin: Wahrheit sagen, Teufel jagen Seite 280