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Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland Januar 2015 – Juni 2016

Menschenrechtsbericht_2016

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100<br />

Menschenrechtslage Geflüchteter <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

darf (zum Beispiel zur Familienzusammenführung)<br />

o<strong>der</strong> brauchten psychosoziale Unterstützung.<br />

Als weitere Erschwernisgründe wurden <strong>in</strong>transparent<br />

vorgenommene Verlegungen <strong>der</strong> Asylsuchenden<br />

genannt sowie die wechselnde Praxis des<br />

Bundesamtes, auf die sich die Beratung e<strong>in</strong>stellen<br />

muss. Werden Asylsuchende <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e Unterkünfte<br />

verlegt, erschwere das den Zugang <strong>der</strong> Beratungs<strong>in</strong>stanzen<br />

sowie die zeitliche Planbarkeit.<br />

Stelle das Bundesamt die Anhörungs- und Entscheidungspraxis<br />

um, wie im Fall von Asylsuchenden<br />

aus Syrien geschehen, müssten Asylsuchende<br />

darauf vorbereitet werden, dass sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anhörung<br />

<strong>in</strong>dividuelle Fluchtgründe vortragen müssen,<br />

um Flüchtl<strong>in</strong>gsstatus und nicht nur subsidiären<br />

Schutz zu erhalten.<br />

Als positiv für den Beratungsverlauf wird es bewertet,<br />

wenn Asylsuchende mit zeitlichem Vorlauf<br />

darüber <strong>in</strong>formiert werden, wann ihr Anhörungsterm<strong>in</strong><br />

im Bundesamt ist. Hier sche<strong>in</strong>t es ke<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>heitliche Praxis zu geben und es kommt bei<br />

schnellen Verfahren zu Situationen, <strong>in</strong> denen<br />

kaum Zeit für e<strong>in</strong>e Beratung bleibt. Im schlimmsten<br />

Fall werde die Anhörung <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Tages<br />

angekündigt, wie e<strong>in</strong>e Verfahrensberater<strong>in</strong> beschreibt:<br />

„Die Leute kommen, zum Beispiel donnerstags mit<br />

e<strong>in</strong>em Zettel, ich muss morgen zu dem Ankunftszentrum<br />

fahren, da steht drauf Aktenanlage. Aus<br />

Beschleunigungsgründen wird aber versucht, dass<br />

die Menschen dann nicht nur die Aktenanlage haben,<br />

son<strong>der</strong>n auch direkt das Interview. Das heißt,<br />

die kommen morgens h<strong>in</strong> zur Aktenanlage und<br />

haben dann spätnachmittags direkt das Interview.<br />

Das ist für uns von <strong>der</strong> Verfahrensberatung zu<br />

spät.“<br />

Probleme <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verfahrensberatung ergeben sich<br />

auch für beson<strong>der</strong>s Schutzbedürftige: Werden <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Verfahrensberatung beson<strong>der</strong>e Unterstützungsbedarfe<br />

<strong>der</strong> Asylsuchenden sichtbar, ist<br />

für e<strong>in</strong>e gegebenenfalls notwendige Verlegung <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Unterkunft für Schutzbedürftige das Land<br />

zuständig, für die Gewährleistung beson<strong>der</strong>er<br />

Verfahrensgarantien <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anhörung das BAMF.<br />

Hier schil<strong>der</strong>n die Interviewpartner_<strong>in</strong>nen aus <strong>der</strong><br />

Verfahrensberatung e<strong>in</strong>e sehr unterschiedliche<br />

Praxis, die häufig als e<strong>in</strong>zelfallbezogen und wenig<br />

formalisiert beschrieben wird. Zeit spiele auch<br />

dabei e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle. Zum Teil müssten<br />

erst Ansprechpartner_<strong>in</strong>nen im BAMF gesucht<br />

werden, um die Informationen für die Anhörung<br />

weiterzugeben. Gebe es Anhaltspunkte dafür, dass<br />

die Asylsuchenden nicht anhörungsfähig seien, sei<br />

häufig e<strong>in</strong> qualifiziertes Attest erfor<strong>der</strong>lich, das <strong>in</strong><br />

kurzer Zeit besorgt werden müsse. Das funktioniere<br />

dann, wenn es, wie zum Beispiel <strong>in</strong> Heidelberg,<br />

auf dem Gelände des Ankunftszentrums auch e<strong>in</strong>e<br />

mediz<strong>in</strong>ische Ambulanz mit spezialisierten Psycholog_<strong>in</strong>nen<br />

gibt.275 Dies sei aber nicht die Regel.<br />

Dementsprechend schil<strong>der</strong>t e<strong>in</strong> Interviewpartner<br />

e<strong>in</strong>en guten Verlauf <strong>der</strong> Vorbereitung auf e<strong>in</strong> fair<br />

geführtes behördliches Verfahren wie folgt:<br />

„Die Leute kommen an, ruhen sich e<strong>in</strong> paar Tage<br />

aus, machen die ersten Registrierungsschritte und<br />

verdauen die grundlegenden Informationen, die<br />

sie am Anfang bekommen. Parallel dazu werden<br />

sie je nach Bedarf psychosozial o<strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>isch<br />

versorgt. Sie gehen dann mit e<strong>in</strong>er Vorankündigung<br />

des Term<strong>in</strong>s <strong>in</strong> die Dubl<strong>in</strong>-Befragung und mit<br />

e<strong>in</strong>em weiteren zeitlichen Vorlauf <strong>in</strong> die Anhörung.<br />

Wenn die Leute und die Verfahrensberatung e<strong>in</strong>en<br />

solchen Gesamtverlauf im Vorfeld kommuniziert<br />

bekommen, dann können wir gut beraten.“<br />

Fehlende verpflichtende E<strong>in</strong>planung <strong>der</strong> unabhängigen<br />

Verfahrensberatung <strong>in</strong> den Ablauf<br />

des Asylverfahrens<br />

Aufgrund <strong>der</strong> gesetzlichen Vorgaben erhalten<br />

Schutzsuchende zu Beg<strong>in</strong>n ihres Verfahrens von<br />

den Behörden grundlegende Informationen über<br />

das Asylverfahren. Insoweit könnte man sie formal<br />

als <strong>in</strong>formiert betrachten. Die Interviewpartner_<strong>in</strong>nen<br />

<strong>der</strong> Verfahrensberatung betonen aber den<br />

Unterschied zwischen <strong>der</strong> generellen Informationsvermittlung<br />

durch staatliche Stellen und <strong>der</strong><br />

speziell auf den Fall zugeschnittenen unabhängigen<br />

Verfahrensberatung und heben die Bedeutung<br />

<strong>der</strong> spezialisierten Beratung für die Anhörung<br />

hervor. Diese Sichtweise wird im Grundsatz auch<br />

von den Interviewpartner_<strong>in</strong>nen aus den M<strong>in</strong>is-<br />

275 Zu den E<strong>in</strong>schränkungen siehe Moll (<strong>2016</strong>), S. 70.

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