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Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland Januar 2015 – Juni 2016

Menschenrechtsbericht_2016

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96<br />

Menschenrechtslage Geflüchteter <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

Rahmen e<strong>in</strong>es fairen Verfahrens <strong>in</strong>dividuell geprüft<br />

wird und sie effektiven Rechtsschutz gegen e<strong>in</strong>e<br />

ablehnende Entscheidung haben.<br />

Die rechtlichen Garantien sowohl für das behördliche<br />

wie auch das gerichtliche Verfahren werden<br />

durch die EU-Asylverfahrensrichtl<strong>in</strong>ie noch e<strong>in</strong>mal<br />

verstärkt. Dort ist konkret ausgeführt, welche<br />

Unterstützungsleistungen die Staaten bereitstellen<br />

müssen, damit Asylsuchende ihre Rechte<br />

im Asylverfahren auch tatsächlich wahrnehmen<br />

können: Unentgeltliche Erteilung von rechts- und<br />

verfahrenstechnischen Auskünften im behördlichen<br />

Verfahren (Artikel 19) sowie effektiven<br />

Zugang zu Rechtsberatung und -vertretung <strong>in</strong> allen<br />

Phasen des Verfahrens auch nach <strong>der</strong> Ablehnung<br />

ihres Antrages (Artikel 22). Außerdem ist bereits<br />

vor <strong>der</strong> Anhörung zu prüfen, ob Antragsteller_<strong>in</strong>nen<br />

darüber h<strong>in</strong>ausgehende Unterstützung für ihr<br />

Verfahren benötigen, zum Beispiel mehr Zeit, e<strong>in</strong>e<br />

vorrangige Prüfung, e<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>ische Behandlung<br />

o<strong>der</strong> psychosoziale Beratung (Artikel 24).<br />

Dies kann für Antragsteller_<strong>in</strong>nen unter an<strong>der</strong>em<br />

aufgrund ihres Alters, Geschlechts, ihrer sexuellen<br />

Orientierung o<strong>der</strong> Geschlechtsidentität, e<strong>in</strong>er psychischen<br />

Störung, Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> <strong>in</strong>folge von<br />

Folter, Vergewaltigung o<strong>der</strong> schweren Formen von<br />

Gewalt erfor<strong>der</strong>lich se<strong>in</strong>.267 Kann die erfor<strong>der</strong>liche<br />

Unterstützung nicht im Rahmen von beschleunigten<br />

Verfahren geleistet werden, dürfen diese nicht<br />

angewandt werden (Artikel 24 Absatz 3). Dies gilt<br />

für alle Antragsteller_<strong>in</strong>nen, auch für die aus den<br />

sogenannten sicheren Herkunftsstaaten.<br />

In <strong>Deutschland</strong> hat das Bundesverfassungsgericht<br />

die Anfor<strong>der</strong>ungen an den gerichtlichen Rechtsschutz<br />

bezüglich des Flughafenverfahrens konkretisiert:<br />

Die Behörden müssen sicherstellen, dass<br />

die Umstände <strong>in</strong> den beschleunigten Verfahren <strong>–</strong><br />

beson<strong>der</strong>s kurze Fristen, Sprachunkundigkeit und<br />

e<strong>in</strong>e isolierte Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Asylsuchenden<br />

<strong>–</strong> den Rechtsschutz nicht unzumutbar erschweren<br />

o<strong>der</strong> vereiteln.268 Daraus lässt sich ableiten, dass<br />

die Beschleunigung von Verfahren zum Beispiel<br />

dann kritisch wird, wenn die Unterbr<strong>in</strong>gung ohne<br />

Anb<strong>in</strong>dung an fachkundige rechtliche Beratung<br />

organisiert ist o<strong>der</strong> wenn Unterkünfte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Region liegen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es wenige auf das Asylrecht<br />

spezialisierte Anwält_<strong>in</strong>nen gibt.269<br />

Die Vorgaben <strong>der</strong> EU-Asylverfahrensrichtl<strong>in</strong>ie<br />

zur rechts- und verfahrenstechnischen Beratung<br />

im behördlichen Verfahren und zum effektiven<br />

Zugang zu Rechtsberatung und -vertretung <strong>in</strong> allen<br />

Phasen des Verfahrens s<strong>in</strong>d bislang nicht bundesgesetzlich<br />

geregelt. Baden-Württemberg hat<br />

die Verpflichtung zur Verfahrensberatung <strong>in</strong> den<br />

E<strong>in</strong>richtungen durch „geeignete nichtstaatliche<br />

Träger <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gssozialarbeit“ <strong>in</strong> § 12 Landesaufnahmegesetz<br />

angeordnet. Auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n wird, wenn auch ohne gesetzliche<br />

Grundlage, Verfahrensberatung geleistet <strong>–</strong> <strong>in</strong><br />

unterschiedlichem Umfang und durch unterschiedliche<br />

Träger.<br />

Das BAMF hat zwar klargestellt, dass nach Ablauf<br />

<strong>der</strong> Umsetzungsfrist für die Verfahrensrichtl<strong>in</strong>ie<br />

im Juli <strong>2015</strong> bestimmte Vorgaben unmittelbar<br />

anwendbar s<strong>in</strong>d.270 Hier bleibt zum e<strong>in</strong>en aber<br />

unklar, wie das Bundesamt, das sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zuständigkeit<br />

für die Prüfung <strong>der</strong> Verfahrensgarantien<br />

sieht, dies gewährleistet. Zum an<strong>der</strong>en genügt die<br />

faktische Gewährleistung rechtlicher Verpflichtungen<br />

unionsrechtlichen Vorgaben nicht. Es fehlt<br />

e<strong>in</strong>e gesetzliche Regelung.<br />

3.7.2 Die neuen beschleunigten<br />

Verfahren<br />

Beschleunigte Verfahren <strong>in</strong> den beson<strong>der</strong>en<br />

Erstaufnahmee<strong>in</strong>richtungen<br />

Im Rahmen des Asylpakets II wurde beschlossen,<br />

dass das Asylverfahren aus bestimmten Gründen<br />

auch beschleunigt durchgeführt werden kann<br />

(§ 30a Abs. 1 Nr. 1 <strong>–</strong> 7 AsylG): wenn Asylsuchende<br />

aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten<br />

kommen; wenn sie e<strong>in</strong>en Folgeantrag stellen;<br />

wenn sie die Behörden über ihre Identität o<strong>der</strong><br />

Staatsbürgerschaft offensichtlich getäuscht haben<br />

o<strong>der</strong> wenn sie ihre Mitwirkung am Asylverfahren<br />

verweigern. Das Bundesamt muss <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er<br />

267 Erwägungsgrund Nr. 29 <strong>der</strong> EU-Asylverfahrensrichtl<strong>in</strong>ie.<br />

268 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.05.1996 <strong>–</strong> 2 BvR 1516/93.<br />

269 Siehe zum Beispiel Kluth (<strong>2016</strong>), S. 124.<br />

270 Bundesamt für Migration und Flüchtl<strong>in</strong>ge (2013), S. 5.

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