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Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland Januar 2015 – Juni 2016

Menschenrechtsbericht_2016

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Flucht: politischer und gesellschaftlicher Kontext 49<br />

EU-Mitgliedstaaten regeln soll, funktionierte nicht.<br />

Dies lag nicht nur am fehlenden politischen Willen<br />

<strong>der</strong> betroffenen EU-Staaten, son<strong>der</strong>n vor allem an<br />

<strong>der</strong> ungleichen Verteilung <strong>der</strong> Verantwortlichkeiten<br />

unter den EU-Mitgliedstaaten. Dennoch waren<br />

und bleiben die Mitgliedstaaten verpflichtet, für<br />

e<strong>in</strong>e menschenwürdige Unterbr<strong>in</strong>gung und Versorgung<br />

<strong>der</strong> flüchtenden Menschen zu sorgen. Diese<br />

Verpflichtung ergibt sich aus den <strong>in</strong>ternationalen<br />

Menschenrechtsverträgen (zum Beispiel dem<br />

UN-Sozialpakt und <strong>der</strong> UN-K<strong>in</strong><strong>der</strong>rechtskonvention)<br />

wie auch den europäischen (zum Beispiel <strong>der</strong><br />

Europäischen Menschenrechtskonvention), die<br />

jedes EU-Land ratifiziert hat.<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf die sich verschärfende Situation<br />

auf <strong>der</strong> Balkanroute beschloss die deutsche Bundesregierung<br />

im September <strong>2015</strong>, syrische Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />

nicht <strong>in</strong> an<strong>der</strong>e EU-Län<strong>der</strong> zurückzuschicken<br />

<strong>–</strong> wie es das Dubl<strong>in</strong>-System eigentlich vorsieht.<br />

Stattdessen erklärte sich <strong>Deutschland</strong> bereit,<br />

die Anträge <strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>ge unter Anwendung<br />

se<strong>in</strong>es Selbste<strong>in</strong>trittsrechts (Artikel 17, Absatz 1<br />

Dubl<strong>in</strong>-III-Verordnung) selbst zu bearbeiten. Damit<br />

wurde <strong>Deutschland</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation, <strong>in</strong> <strong>der</strong> das<br />

europäische Asylsystem versagte, se<strong>in</strong>en menschenrechtlichen<br />

Verpflichtungen gerecht. Diese<br />

Entscheidung wurde Ende Oktober <strong>2015</strong> wie<strong>der</strong><br />

zurückgenommen. Seitdem <strong>–</strong> so die deutsche<br />

Bundesregierung <strong>–</strong> gelte das Dubl<strong>in</strong>-Verfahren<br />

wie<strong>der</strong> für alle Herkunftslän<strong>der</strong> und alle EU-Mitgliedstaaten<br />

mit <strong>der</strong> Ausnahme von Griechenland.<br />

Auch bei syrischen Staatsangehörigen mache das<br />

BAMF nicht mehr grundsätzlich von dem Selbste<strong>in</strong>trittsrecht<br />

Gebrauch.59 Inwieweit dies <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Praxis aber tatsächlich <strong>der</strong> Fall ist, bleibt unklar.<br />

Auf den Druck e<strong>in</strong>iger EU-Staaten h<strong>in</strong> wurde die<br />

Balkanroute daraufh<strong>in</strong> durch ungarische, österreichische,<br />

slowenische und schließlich mazedonische<br />

Grenzschließungen überwiegend abgeriegelt.<br />

Somit verschärfte sich die ohneh<strong>in</strong> seit vielen<br />

Jahren schlechte <strong>Menschenrechtssituation</strong> für<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> Griechenland. Zwischen März und<br />

Mai <strong>2016</strong> gab es bis zu 50.000 Schutzsuchende,<br />

die auf dem griechischen Festland festsaßen,<br />

überwiegend unter katastrophalen Bed<strong>in</strong>gungen.60<br />

Die Mehrzahl dieser Personen waren Frauen und<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>.61 E<strong>in</strong>e Verpflichtung zur menschenwürdigen<br />

Versorgung von Asylsuchenden geht unter<br />

an<strong>der</strong>em aus dem UN-Sozialpakt, <strong>der</strong> EU-Aufnahmerichtl<strong>in</strong>ie<br />

und <strong>der</strong> Europäischen Menschenrechtskonvention<br />

hervor. Die griechischen<br />

Behörden s<strong>in</strong>d außerdem an die Genfer Flüchtl<strong>in</strong>gskonvention<br />

und die EU-Verfahrensrichtl<strong>in</strong>ie<br />

gebunden, die e<strong>in</strong> faires Asylverfahren gewährleisten<br />

sollen. Dennoch ist die Situation vor Ort ke<strong>in</strong><br />

re<strong>in</strong> griechisches Problem. Das Dubl<strong>in</strong>-System<br />

wird hier auf Kosten e<strong>in</strong>es Staates erzwungen, <strong>der</strong><br />

angesichts von etwa 11 Millionen E<strong>in</strong>wohner_<strong>in</strong>nen,<br />

e<strong>in</strong>er Arbeitslosenquote von 25 Prozent und e<strong>in</strong>er<br />

wirtschaftlich ausgesprochen schwierigen Situation<br />

nur e<strong>in</strong>e sehr begrenzte Aufnahmekapazität<br />

hat.<br />

<strong>Deutschland</strong> hatte sich im September <strong>2015</strong> <strong>–</strong><br />

gegen den Wi<strong>der</strong>stand e<strong>in</strong>iger EU-Län<strong>der</strong> <strong>–</strong> für<br />

e<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dliche Verteilung von 66.400 schutzbedürftigen<br />

Personen von Griechenland auf die<br />

an<strong>der</strong>en EU-Län<strong>der</strong> stark gemacht. Diese e<strong>in</strong>malige<br />

Quotenregelung war e<strong>in</strong> wichtiger Schritt zur<br />

Entlastung Griechenlands. Allerd<strong>in</strong>gs bleiben die<br />

Zahlen <strong>der</strong> tatsächlich verteilten Flüchtl<strong>in</strong>ge weit<br />

h<strong>in</strong>ter den Versprechen <strong>der</strong> EU-Mitgliedstaaten<br />

zurück: Mit Stand 16. September <strong>2016</strong> waren<br />

lediglich 3.791 Flüchtl<strong>in</strong>gen von Griechenland auf<br />

an<strong>der</strong>e EU-Staaten verteilt, davon 195 Personen<br />

nach <strong>Deutschland</strong>. An<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> wie Frankreich<br />

(1.425), die Nie<strong>der</strong>lande (439), F<strong>in</strong>nland (419), Portugal<br />

(331), Spanien (171), Belgien (153) o<strong>der</strong> Rumänien<br />

(147) haben <strong>–</strong> teilweise <strong>in</strong> absoluten Zahlen,<br />

vor allem aber <strong>in</strong> Relation zur Bevölkerungszahl <strong>–</strong><br />

bei diesem Verteilmechanismus wesentlich mehr<br />

Menschen aus Griechenland aufgenommen als<br />

<strong>Deutschland</strong>.62<br />

2.3.2 EU-Türkei-Abkommen<br />

Die europäische Flüchtl<strong>in</strong>gspolitik war im ersten<br />

Halbjahr <strong>2016</strong> vom EU-Türkei-Abkommen dom<strong>in</strong>iert.<br />

Vere<strong>in</strong>bart wurde, dass die Türkei alle<br />

59 Deutscher Bundestag (<strong>2016</strong>d), S. 11.<br />

60 Amnesty International (<strong>2016</strong>a); UNO Flüchtl<strong>in</strong>gshilfe (<strong>2016</strong>); UN, Büro des Hochkommissars für Flüchtl<strong>in</strong>ge (<strong>2016</strong>).<br />

61 UN, Menschenrechtsrat (<strong>2016</strong>).<br />

62 Europäische Kommission (<strong>2016</strong>a).

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