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Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland Januar 2015 – Juni 2016

Menschenrechtsbericht_2016

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Menschenrechtslage Geflüchteter <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> 67<br />

zuletzt, weil die mediz<strong>in</strong>ische Versorgung Zehntausen<strong>der</strong><br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge zusätzlich zum Regelbetrieb<br />

sichergestellt werden musste.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> gesetzlich e<strong>in</strong>geschränkten mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Leistungen für Asylsuchende ist<br />

die gegenwärtige mediz<strong>in</strong>ische Versorgung von<br />

geflüchteten Menschen allerd<strong>in</strong>gs grundsätzlich<br />

problematisch. In den ersten 15 Monaten ihres<br />

Aufenthalts <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> haben Asylsuchende<br />

nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Asylb-<br />

LG) nur e<strong>in</strong>en Anspruch auf Behandlungen, die<br />

auf die Beseitigung akuter Erkrankungen und<br />

Schmerzzustände abzielen (§ 4 AsylbLG), sowie<br />

auf sonstige Leistungen, wenn sie zur Sicherung<br />

<strong>der</strong> Gesundheit unerlässlich s<strong>in</strong>d (§ 6 AsylbLG).<br />

Chronische Krankheiten, zum Beispiel Epilepsie,<br />

Asthma, Rheuma, werden nur behandelt, wenn die<br />

Nichtbehandlung e<strong>in</strong>en Krankheitsschub auslösen<br />

kann. Nicht umfasst s<strong>in</strong>d üblicherweise auch<br />

Präventionsleistungen, was später zu erhöhten<br />

Kosten bei <strong>der</strong> Akutversorgung führen kann. Diese<br />

E<strong>in</strong>schränkungen gelten auch für im Familienverbund<br />

geflüchtete K<strong>in</strong><strong>der</strong>. Vonseiten <strong>der</strong> Ärzt_<strong>in</strong>nen<br />

und Psychotherapeut_<strong>in</strong>nen wird gefor<strong>der</strong>t, die<br />

E<strong>in</strong>schränkungen bei mediz<strong>in</strong>ischen Leistungen<br />

abzuschaffen140 <strong>–</strong> unter an<strong>der</strong>em deshalb, weil sie<br />

dazu führen würden, dass Behandlungen verschleppt<br />

werden, und somit im Endeffekt höhere<br />

Kosten verursachen würden. 141<br />

Das Recht auf Gesundheit ist unter an<strong>der</strong>em im<br />

UN-Sozialpakt (Artikel 12), <strong>der</strong> UN-K<strong>in</strong><strong>der</strong>rechtskonvention<br />

(Artikel 24) und <strong>der</strong> UN-Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenrechtskonvention<br />

(Artikel 25) festgeschrieben.<br />

Auch gemäß EU-Aufnahmerichtl<strong>in</strong>ie müssen die<br />

Mitgliedstaaten Sorge dafür tragen, dass <strong>der</strong><br />

Schutz <strong>der</strong> physischen und psychischen Gesundheit<br />

von Asylsuchenden gewährt ist (Artikel 17, Absatz<br />

2). Der Fachausschuss zum UN-Sozialpakt bekräftigt<br />

bereits seit vielen Jahren, dass das Recht<br />

auf e<strong>in</strong> Höchstmaß an Gesundheit nicht nur als<br />

Notfallhilfe zu verstehen ist, son<strong>der</strong>n auch die Versorgung<br />

von chronisch Kranken und das Angebot<br />

von Vorsorgeuntersuchungen be<strong>in</strong>haltet.142 In Bezug<br />

auf <strong>Deutschland</strong> hat <strong>der</strong> Ausschuss wie<strong>der</strong>holt<br />

bekräftigt, dass Asylsuchende bei <strong>der</strong> Gesundheitsversorgung<br />

Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen<br />

genießen müssen.143 Dies verlange<br />

auch das menschenrechtlich verbriefte Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbot<br />

(Artikel 2 Absatz 2 UN-Sozialpakt),<br />

welches auch beim Recht auf Gesundheit jegliche<br />

Differenzierung aufgrund von Aufenthaltsstatus<br />

verbiete. E<strong>in</strong>e angemessene gesundheitliche<br />

Versorgung geflüchteter Menschen ist aber nicht<br />

nur e<strong>in</strong>e Frage <strong>der</strong> Verwirklichung des Rechts auf<br />

Gesundheit. Es ist auch e<strong>in</strong>e Grundvoraussetzung<br />

für die Integration dieser Menschen.<br />

Erstuntersuchung<br />

Gemäß § 62 AsylG s<strong>in</strong>d die Bundeslän<strong>der</strong> verpflichtet,<br />

<strong>in</strong> den Erstaufnahmee<strong>in</strong>richtungen<br />

e<strong>in</strong>e Erstuntersuchung je<strong>der</strong> neuankommenden<br />

Person zu gewährleisten. Diese besteht aus e<strong>in</strong>er<br />

ärztlichen Untersuchung auf übertragbare Krankheiten<br />

und e<strong>in</strong>er Röntgenaufnahme <strong>der</strong> Atmungsorgane.<br />

Dabei variieren Umfang und Inhalt <strong>der</strong><br />

Erstuntersuchungen erheblich. Der Zugang zu<br />

Screen<strong>in</strong>g-Maßnahmen nach Infektionserkrankungen<br />

ist sehr unterschiedlich: Teilweise s<strong>in</strong>d<br />

die Maßnahmen verpflichtend, teilweise symptombezogen,<br />

zielgruppenbezogen o<strong>der</strong> freiwillig.<br />

Auch <strong>der</strong> Impfstatus <strong>der</strong> untersuchten Personen<br />

wird nicht durchgehend erhoben; im Rahmen <strong>der</strong><br />

Erstuntersuchung identifizierte Impflücken werden<br />

nicht generell geschlossen.144 Mit dem Asylpaket<br />

I wurde entschieden, dass die zuständigen Behörden<br />

sicherstellen müssen, dass Asylsuchende die<br />

notwendigen Schutzimpfungen angeboten bekommen<br />

(§ 4 Absatz 3 AsylbLG). Das Robert-Koch-Institut<br />

hat im Oktober <strong>2015</strong> <strong>in</strong> Abstimmung mit<br />

<strong>der</strong> Ständigen Impfkommission e<strong>in</strong> Konzept zur<br />

Umsetzung frühzeitiger Impfungen bei Asylsuchenden<br />

nach Ankunft <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> vorgelegt (als<br />

Empfehlung für Mitarbeiter_<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> Erstaufnahmee<strong>in</strong>richtungen).145<br />

Über die Umsetzung dieses<br />

Konzepts liegen bislang ke<strong>in</strong>e Erkenntnisse vor.<br />

140 Deutscher Ärztetag (<strong>2015</strong>), S. 267; Deutscher Psychotherapeutentag (<strong>2015</strong>).<br />

141 Bozorgmehr/Razum (<strong>2015</strong>).<br />

142 UN, Fachausschuss zum Sozialpakt (2000), RdNr. 34.<br />

143 UN, Fachausschuss zum Sozialpakt (2011), RdNr. 13.<br />

144 Bozorgmehr/Nöst/Thaiss/Razum (<strong>2016</strong>), S. 545 <strong>–</strong> 555.<br />

145 Robert-Koch-Institut (<strong>2015</strong>).

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