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Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland Januar 2015 – Juni 2016

Menschenrechtsbericht_2016

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Menschenrechtslage Geflüchteter <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> 95<br />

e<strong>in</strong>e Beschleunigung <strong>der</strong> Verfahren war: etwa die<br />

E<strong>in</strong>stufung weiterer Herkunftsstaaten (Albanien,<br />

Kosovo, Montenegro) als „sicher“ und die E<strong>in</strong>führung<br />

e<strong>in</strong>er neuen Verfahrensart <strong>der</strong> beschleunigten<br />

Asylverfahren nach § 30a Asylgesetz (AsylG).<br />

Als Zielvorgabe wurde die Bearbeitung <strong>der</strong> Verfahren<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>fach gelagerten Fällen von 48 Stunden262<br />

herausgegeben. Zügige Verfahren s<strong>in</strong>d auch im<br />

S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Antragstellenden wichtig. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

stellt sich bei e<strong>in</strong>igen <strong>der</strong> organisatorischen und<br />

gesetzlichen Än<strong>der</strong>ungen die Frage, ob das Recht<br />

auf e<strong>in</strong> faires Asylverfahren noch gewährleistet<br />

ist.263<br />

Auch die Erfahrungen mit bereits seit Längerem<br />

bestehenden Schnellverfahren lassen vermuten,<br />

dass sich die meisten Verfahren nicht <strong>in</strong>nerhalb<br />

weniger Tage abschließen lassen <strong>–</strong> und wenn<br />

doch, gibt es erhebliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.<br />

Bereits 1993 führte <strong>der</strong> Gesetzgeber<br />

im Zuge des sogenannten Asylkompromisses<br />

das Flughafenverfahren264 e<strong>in</strong> und sah dort e<strong>in</strong>e<br />

Entscheidungsdauer im behördlichen Verfahren<br />

von zwei Tagen sowie die Verkürzung gerichtlichen<br />

Rechtsschutzes vor. Die Erfahrungen mit dem<br />

Flughafenverfahrens zeigen zum e<strong>in</strong>en, dass e<strong>in</strong>e<br />

schnelle Entscheidung auch <strong>in</strong> den Fällen aus<br />

sicheren Herkunftslän<strong>der</strong>n häufig nicht gel<strong>in</strong>gt:<br />

Seit Jahren wird den meisten Antragsteller_<strong>in</strong>nen<br />

die E<strong>in</strong>reise auf <strong>der</strong> Grundlage von § 18a Absatz 6<br />

Nummer 1 Asylgesetz gestattet, da das Bundesamt<br />

nicht <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> vorgesehenen zwei Tage<br />

entscheiden kann. So gab es zum Beispiel im Jahr<br />

<strong>2015</strong> <strong>in</strong>sgesamt 627 sogenannte Aktenanlagen.<br />

Davon wurden lediglich 74 Verfahren im Flughafenverfahren<br />

entschieden, also knapp 12 Prozent.265<br />

Zum an<strong>der</strong>en drohen mit <strong>der</strong> Verkürzung <strong>der</strong><br />

Verfahren die E<strong>in</strong>schränkung von Rechten sowie<br />

massive E<strong>in</strong>bußen bei <strong>der</strong> Verfahrensqualität. Im<br />

Flughafenverfahren hatte das Bundesverfassungs-<br />

gericht daher Rechtsgarantien für Asylsuchende<br />

e<strong>in</strong>gezogen, <strong>in</strong>dem es Vorkehrungen des BAMF<br />

und <strong>der</strong> Grenzschutzbehörden verlangte, um effektiven<br />

Rechtsschutz zu gewährleisten.266<br />

Aus diesem Grund hat das Deutsche Institut für<br />

Menschenrechte für diesen Bericht die Organisation<br />

und Praxis <strong>der</strong> sogenannten Ankunfts- beziehungsweise<br />

Registrierungszentren untersucht.<br />

Erste E<strong>in</strong>blicke gewährten acht leitfadengestützte<br />

Expert_<strong>in</strong>nen<strong>in</strong>terviews (<strong>Juni</strong>-August <strong>2016</strong>) mit Verfahrensberatung,<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsräten und Innenm<strong>in</strong>isterien/Regierungspräsidien<br />

<strong>in</strong> drei Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

(Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, Baden-Württemberg, Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz).<br />

Dabei wurde <strong>der</strong> Frage nachgegangen,<br />

ob bei den betroffenen Schutzsuchenden das<br />

Recht auf Zugang zu e<strong>in</strong>em fairen Asylverfahren<br />

gewahrt wird. Konkret g<strong>in</strong>g es dabei um Fragen<br />

von Ablauf und Organisation <strong>der</strong> schnellen Verfahren,<br />

Unterbr<strong>in</strong>gung sowie Beratung <strong>der</strong> Asylsuchenden<br />

und den organisatorischen Umgang mit<br />

Schutzbedürftigkeit.<br />

3.7.1 Rechte auf Beratung und<br />

Rechtsvertretung im Asylverfahren<br />

Das Gebot <strong>der</strong> Nicht-Zurückweisung untersagt<br />

Staaten, e<strong>in</strong>e Person <strong>in</strong> e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Land auszuweisen,<br />

wenn <strong>der</strong> Person <strong>in</strong> diesem Land Verfolgung<br />

o<strong>der</strong> Gefahr für Leib o<strong>der</strong> Leben droht. Es<br />

ergibt sich unter an<strong>der</strong>em aus <strong>der</strong> Genfer Flüchtl<strong>in</strong>gskonvention<br />

(Artikel 33) und <strong>der</strong> Europäischen<br />

Menschenrechtskonvention (Artikel 2: Recht auf<br />

Leben; Artikel 3: Verbot von Folter; Artikel 4:<br />

Verbot <strong>der</strong> Sklaverei und Zwangsarbeit). Dieser<br />

menschen-und flüchtl<strong>in</strong>gsrechtliche Schutz wird<br />

abgesichert durch das <strong>in</strong> Artikel 13 <strong>der</strong> Europäischen<br />

Menschenrechtskonvention verankerte<br />

Recht von Personen, dass ihr Schutzgesuch im<br />

262 Die Zeitangabe betrifft die Phase von <strong>der</strong> formalen Antragstellung bis zur Entscheidung über das Asylgesuch.<br />

263 Siehe hierzu zum Beispiel die Zusammenstellung <strong>der</strong> zivilgesellschaftlichen Kritik an <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung von § 30a AsylG: https://www.<br />

proasyl.de/news/asylpaket-ii-breite-und-massive-kritik-aus-<strong>der</strong>-zivilgesellschaft-und-verbaenden/ (abgerufen am 17.10.<strong>2016</strong>).<br />

264 Asylsuchende aus sogenannten sicheren Herkunftslän<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> ohne Papiere, beziehungsweise mit gefälschten Papieren, die über<br />

e<strong>in</strong>en Flughafen e<strong>in</strong>reisen, unterliegen dem sogenannten Flughafenverfahren. Sie werden direkt am Flughafen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>richtung<br />

untergebracht, die sie nicht verlassen dürfen. Ihr Asylverfahren erfolgt beschleunigt und mit verkürzten Rechtsmittelfristen. Lehnt das<br />

BAMF <strong>in</strong>nerhalb von zwei Tagen den Antrag als offensichtlich unbegründet ab, kann <strong>der</strong> Asylsuchende nicht e<strong>in</strong>reisen. Entscheidet das<br />

Bundesamt nicht <strong>in</strong> dieser Frist, darf die asylsuchende Person e<strong>in</strong>reisen und sie geht <strong>in</strong> e<strong>in</strong> „normales“ Asylverfahren über. Die Frist zur<br />

Stellung e<strong>in</strong>es Eilantrages gegen den Ablehnungsbescheid beträgt drei Tage zuzüglich vier Tage für dessen Begründung.<br />

265 Bundesamt für Migration und Flüchtl<strong>in</strong>ge (<strong>2015</strong>a), S. 41.<br />

266 Als Folge <strong>der</strong> Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wurde zum Beispiel die kostenlose Rechtsberatung im<br />

Dauerbereitschaftsdienst am Rhe<strong>in</strong>-Ma<strong>in</strong>-Flughafen e<strong>in</strong>gerichtet.

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