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Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland Januar 2015 – Juni 2016

Menschenrechtsbericht_2016

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Menschenrechtslage Geflüchteter <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> 81<br />

Entsprechende Zahlen werden von den Behörden<br />

nicht erhoben. Erste Studien, die nach dem Anstieg<br />

<strong>der</strong> Flüchtl<strong>in</strong>gszahlen durchgeführt wurden,<br />

sprechen von über 60 Prozent <strong>der</strong> Asylsuchenden,<br />

bei denen psychiatrische Diagnosen gestellt<br />

wurden; mehr als e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus Syrien<br />

leide unter e<strong>in</strong>er psychischen Störung.196<br />

Nach Ansicht <strong>der</strong> Bundespsychotherapeutenkammer<br />

(BPtK) ist das Gesundheitssystem nicht<br />

auf e<strong>in</strong>e bedarfsgerechte Versorgung psychisch<br />

kranker Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> dieser hohen Anzahl e<strong>in</strong>gestellt.<br />

Nur wenige <strong>der</strong> psychisch belasteten o<strong>der</strong><br />

kranken Geflüchteten erhielten e<strong>in</strong>e angemessene<br />

Versorgung: Schätzungen gehen davon aus, dass<br />

momentan lediglich vier Prozent <strong>der</strong> psychisch<br />

kranken Flüchtl<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>e angemessene Behandlung<br />

erhalten.197 Die Gründe dafür s<strong>in</strong>d vielfältig.<br />

Aufgrund fehlen<strong>der</strong> Identifizierungsmechanismen<br />

wird e<strong>in</strong>e psychische Erkrankung oft nicht o<strong>der</strong> zu<br />

spät festgestellt. Auch bei festgestellter Erkrankung<br />

werden angesichts <strong>der</strong> reduzierten Leistungen<br />

nach dem Asylbewerberleistungsgesetz viele<br />

Anträge auf Kostenübernahme abgelehnt.198 E<strong>in</strong><br />

zusätzliches Problem ist, dass Antragsverfahren<br />

auf psychische Behandlung und das Warten auf<br />

e<strong>in</strong>en Therapieplatz viele Monate dauern.<br />

Für die Behandlung von Folteropfern und Traumatisierten<br />

fehlt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Personal. Die Anlaufstellen<br />

für traumatisierte Flüchtl<strong>in</strong>ge, <strong>in</strong> allererster<br />

L<strong>in</strong>ie die Psychosozialen Zentren für Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />

und Folteropfer, s<strong>in</strong>d nur unzureichend ausgestattet<br />

und werden nicht nachhaltig f<strong>in</strong>anziert. Bund,<br />

Län<strong>der</strong> und Kommunen tragen nur e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen<br />

Anteil <strong>der</strong> Kosten <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtungen. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

wurden im Haushaltsjahr <strong>2016</strong> vonseiten des Bundesm<strong>in</strong>isteriums<br />

für Familien, Senioren, Frauen<br />

und Jugend (BMFSFJ) zusätzliche Mittel <strong>in</strong> Höhe<br />

von drei Millionen Euro für die Folteropferzentren<br />

bereitgestellt. Für den Haushalt 2017 ist diese<br />

F<strong>in</strong>anzierung allerd<strong>in</strong>gs nicht mehr vorgesehen.199<br />

Außerdem s<strong>in</strong>d nur wenige Psychotherapeut_<strong>in</strong>nen<br />

zur Versorgung Traumatisierter zugelassen.<br />

Diesbezüglich wurde im Rahmen des Asylpakets<br />

I e<strong>in</strong>e Verbesserung erreicht. Kassenärztliche<br />

Vere<strong>in</strong>igungen und Krankenkassen s<strong>in</strong>d nun<br />

verpflichtet, mehr Psychotherapeut_<strong>in</strong>nen und<br />

Ärzt_<strong>in</strong>nen zur Behandlung von Flüchtl<strong>in</strong>gen, die<br />

Folter, Vergewaltigung o<strong>der</strong> schwere psychische,<br />

physische o<strong>der</strong> sexuelle Gewalt erlitten haben, zu<br />

ermächtigen. Auch E<strong>in</strong>richtungen, die von Psychotherapeut_<strong>in</strong>nen<br />

o<strong>der</strong> Ärzt_<strong>in</strong>nen geleitet werden,<br />

können e<strong>in</strong>e solche Ermächtigung erhalten (§ 31<br />

Ärzte-Zulassungsverordnung).<br />

Es bleibt abzuwarten, ob dies <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis tatsächlich<br />

dazu führt, dass die mediz<strong>in</strong>ische Versorgung<br />

von Traumatisierten verbessert wird.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs greift die neue Regelung nur, wenn<br />

e<strong>in</strong> Geflüchteter nach 15 Monaten Aufenthalt <strong>in</strong><br />

Deutsch land <strong>in</strong>s Regelsystem <strong>der</strong> Gesetzlichen<br />

Krankenversicherung (GKV) übernommen wird. Bis<br />

dah<strong>in</strong> gelten weiterh<strong>in</strong> die e<strong>in</strong>geschränkten mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz.<br />

Nicht zuletzt braucht e<strong>in</strong>e angemessene<br />

Psychotherapie auch qualifizierte Dolmetscher_<strong>in</strong>nen.<br />

Die Sprachmittlung zwischen ärztlichem Personal<br />

und Patient_<strong>in</strong> ist allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> den meisten<br />

Fällen e<strong>in</strong> großes Problem.200<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />

Auch die mediz<strong>in</strong>ische Versorgung von Flüchtl<strong>in</strong>gen<br />

mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen ist e<strong>in</strong>e große Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

für die Behörden. Wohlfahrtsverbände und<br />

an<strong>der</strong>e Organisationen berichten von fehlenden<br />

Rollstühlen und an<strong>der</strong>en Hilfsmitteln o<strong>der</strong> von<br />

chronisch Kranken, die auf dem Land leben und<br />

mit öffentlichen Verkehrsmitteln ke<strong>in</strong>e Krankenhäuser<br />

erreichen können.201 Die mediz<strong>in</strong>ische<br />

Versorgung von Flüchtl<strong>in</strong>gen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />

ist über das Asylbewerberleistungsgesetz nur<br />

m<strong>in</strong>imal sichergestellt, da Heil- und Hilfsmittel, die<br />

von <strong>der</strong> Notfallversorgung über § 4 nicht erfasst<br />

werden, nur als weitere Bedarfe über § 6 abge-<br />

196 Richter/Lehfeld/Niklewski (<strong>2015</strong>); Kl<strong>in</strong>ikum rechts <strong>der</strong> Isar (<strong>2015</strong>).<br />

197 Bundespsychotherapeutenkammer (<strong>2015</strong>).<br />

198 Bundespsychotherapeutenkammer (<strong>2016</strong>), S. 6.<br />

199 Bundesweite Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> psychosozialen Zentren für Flüchtl<strong>in</strong>ge und Folteropfer (<strong>2016</strong>a); Bundesweite Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

<strong>der</strong> Psychosozialen Zentren für Folteropfer (<strong>2016</strong>b).<br />

200 Siehe Berichtsteil 3.1.2 zur Gesundheitsversorgung <strong>in</strong> den Erstaufnahmee<strong>in</strong>richtungen.<br />

201 Zum Beispiel <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>: MenschenK<strong>in</strong>d/Berl<strong>in</strong> Global Village/Lebenshilfe Berl<strong>in</strong>/Humanistischer Verband <strong>Deutschland</strong>s Berl<strong>in</strong><br />

Brandenburg: http://www.hvd-bb.de/sites/hvd-bb.de/files/hvd_menschenk<strong>in</strong>d_rz_onl<strong>in</strong>e.pdf (abgerufen am 30.09.<strong>2016</strong>).

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