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Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland Januar 2015 – Juni 2016

Menschenrechtsbericht_2016

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68<br />

Menschenrechtslage Geflüchteter <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

Gesundheitsversorgung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erstaufnahmee<strong>in</strong>richtung<br />

Neben <strong>der</strong> Erstuntersuchung s<strong>in</strong>d die Län<strong>der</strong><br />

verpflichtet, e<strong>in</strong>e gesundheitliche Versorgung für<br />

Bewohner_<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> den Erstaufnahmee<strong>in</strong>richtungen<br />

sicherzustellen <strong>–</strong> überwiegend <strong>in</strong> sehr kurzer<br />

Zeit, mit sehr knappen Ressourcen und unter<br />

Aufrechterhaltung des Regelbetriebs. Dabei ist<br />

<strong>der</strong> faktische Zugang zu Gesundheitsleistungen<br />

erschwert. Soweit dieser über Krankensche<strong>in</strong>e<br />

gewährleistet wird, müssen erkrankte Personen<br />

diesen erst bei den Gesundheits- o<strong>der</strong> Sozialämtern<br />

beantragen. Dies führt zu erheblichen Verzögerungen<br />

bei <strong>der</strong> Behandlung, da <strong>der</strong> Betreffende<br />

aus <strong>der</strong> Unterkunft zum Amt muss, um sich e<strong>in</strong>en<br />

Krankensche<strong>in</strong> zu holen, und erst im Anschluss <strong>in</strong><br />

die Arztpraxis gehen kann. Dies kann bei Unterbr<strong>in</strong>gungen<br />

im ländlichen Raum zu langen Verzögerungen<br />

und erheblichen Fahrtkosten führen. Da<br />

<strong>der</strong> Zugang zu ärztlicher Versorgung mit erheblichen<br />

Hürden für die Betroffenen verbunden ist,<br />

kann dies zu gefährlichen Situationen führen, zum<br />

Beispiel wenn nachts das Wachpersonal entscheidet,<br />

ob bei <strong>der</strong> Rettungsstelle angerufen wird o<strong>der</strong><br />

nicht.<br />

In den meisten Bundeslän<strong>der</strong>n werden nach<br />

eigenen Angaben ärztliche Sprechstunden <strong>in</strong><br />

den Erstaufnahmee<strong>in</strong>richtungen angeboten. Dies<br />

bezieht sich vor allem auf allgeme<strong>in</strong>ärztliche<br />

Sprechstunden, teilweise auch auf k<strong>in</strong><strong>der</strong>ärztliche,<br />

gynäkologische o<strong>der</strong> psychiatrische Sprechstunden.<br />

In an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n werden Bewohner_<strong>in</strong>nen<br />

<strong>der</strong> Erstaufnahmee<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

für die fachärztliche Behandlung direkt<br />

<strong>in</strong> den Praxen <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzt_<strong>in</strong>nen<br />

mediz<strong>in</strong>isch versorgt.146 In allen Län<strong>der</strong>n kam es<br />

im Berichtszeitraum zu personellen Engpässen bei<br />

<strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Versorgung. Daher haben zum<br />

Beispiel Län<strong>der</strong> und Kommunen mobile Ärzteteams<br />

e<strong>in</strong>gerichtet. Auch wurde mit dem Asylpaket<br />

I die Möglichkeit geschaffen, dass Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />

mit mediz<strong>in</strong>ischen Kompetenzen Ärzte <strong>in</strong> den<br />

Erstaufnahmee<strong>in</strong>richtungen unterstützen (§ 90<br />

AsylG).147<br />

Zugang zur Gesundheitsversorgung<br />

Mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Gesundheitskarte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen<br />

Län<strong>der</strong>n hat sich <strong>der</strong> Zugang zum Recht auf<br />

Gesundheit für geflüchtete Menschen vere<strong>in</strong>facht.<br />

Statt wie bisher Krankensche<strong>in</strong>e über die Gesundheits-<br />

o<strong>der</strong> Sozialämter zu beantragen, können sie<br />

nun direkt <strong>in</strong> die Arztpraxen gehen. Dabei hat sich<br />

<strong>der</strong> Leistungsumfang nicht verän<strong>der</strong>t: Auch Flüchtl<strong>in</strong>gen<br />

mit Gesundheitskarte steht <strong>in</strong> den ersten 15<br />

Monaten ihres Aufenthalts <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> lediglich<br />

e<strong>in</strong>e mediz<strong>in</strong>ische Notversorgung zu. Berichte<br />

aus <strong>der</strong> Praxis bestätigen, dass die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong><br />

Gesundheitskarte für Flüchtl<strong>in</strong>ge zu e<strong>in</strong>er bürokratischen<br />

und f<strong>in</strong>anziellen Entlastung aller zuständigen<br />

Behörden führt.148<br />

Ob die Gesundheitskarte e<strong>in</strong>geführt wird, bleibt<br />

den Län<strong>der</strong>n überlassen. Mit Stand Juli <strong>2016</strong><br />

haben Berl<strong>in</strong>, Brandenburg, Bremen, Hamburg<br />

und Schleswig-Holste<strong>in</strong> die Gesundheitskarte<br />

e<strong>in</strong>geführt. In Thür<strong>in</strong>gen ist die E<strong>in</strong>führung geplant.<br />

Auch <strong>in</strong> Hessen, Nie<strong>der</strong>sachsen, Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen<br />

und Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz wurden vonseiten des<br />

Landes die Voraussetzungen zur E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong><br />

Gesundheitskarte geschaffen. Inwieweit dies aber<br />

tatsächlich umgesetzt wird, hängt e<strong>in</strong>erseits von<br />

Verhandlungen <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> mit den Krankenkassen<br />

ab. An<strong>der</strong>erseits können die Kommunen o<strong>der</strong><br />

Landkreise <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Län<strong>der</strong>n selbst entscheiden,<br />

ob sie die Gesundheitskarte e<strong>in</strong>führen wollen o<strong>der</strong><br />

nicht. Teilweise wollen die Kommunen o<strong>der</strong> Landkreise<br />

von ihrem Beitrittsrecht aus Kostengründen<br />

aber ke<strong>in</strong>en Gebrauch machen (zum Beispiel<br />

<strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sachsen, Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz, Saarland),<br />

e<strong>in</strong>ige entscheiden sich für und an<strong>der</strong>e gegen die<br />

E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Gesundheitskarte (zum Beispiel<br />

<strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen). Baden-Württemberg,<br />

Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und<br />

Sachsen-Anhalt haben sich gegen die E<strong>in</strong>führung<br />

<strong>der</strong> Gesundheitskarte ausgesprochen.149<br />

Der Zugang zu mediz<strong>in</strong>ischer Versorgung ist somit<br />

je nach Land und Kommune sehr unterschiedlich<br />

geregelt.150 Viele Akteure im Gesundheitswesen<br />

beklagen, dass aufgrund <strong>der</strong> une<strong>in</strong>heitlichen Rege-<br />

146 Antwort <strong>der</strong> Staatskanzleien auf Fragebogen des Deutschen Instituts für Menschenrechte (Stand Mai <strong>2016</strong>).<br />

147 Diese Regelung ist nur befristet gültig (bis 24.10.2017).<br />

148 Deutscher Bundestag (<strong>2016</strong>g), S. 6.<br />

149 Bertelsmann Stiftung (<strong>2016</strong>), S. 4.<br />

150 Siehe auch Bertelsmann Stiftung (<strong>2016</strong>).

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