Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland Januar 2015 – Juni 2016
Menschenrechtsbericht_2016
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WahlrechtS AUS SCHLÜSSE von Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
4 Wahlrechtsausschlüsse von Menschen<br />
mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen<br />
E<strong>in</strong> zentrales Menschenrechtsthema, das den<br />
Deutschen Bundestag bereits Ende <strong>der</strong> vergangenen<br />
Legislaturperiode beschäftigte, ist nach wie<br />
vor aktuell: die Frage danach, wer <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
wählen darf und wer nicht. Nach <strong>der</strong> aktuellen<br />
Rechtslage s<strong>in</strong>d auch heute noch knapp 85.000<br />
Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen kraft Gesetzes vom<br />
aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen.317<br />
Grundlage hierfür s<strong>in</strong>d zwei Ausschluss tat bestände<br />
im Bundeswahlgesetz (BWahlG) und<br />
synchron dazu im Europawahlgesetz.<br />
Ausschlusstatbestände<br />
Die zentrale Regelung im Bundeswahlgesetz<br />
lautet:<br />
§ 13 Ausschluss vom Wahlrecht<br />
Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist,<br />
1. wer <strong>in</strong>folge Richterspruchs das Wahlrecht<br />
nicht besitzt,<br />
2. <strong>der</strong>jenige, für den zur Besorgung aller se<strong>in</strong>er<br />
Angelegenheiten e<strong>in</strong> Betreuer nicht nur<br />
durch e<strong>in</strong>stweilige Anordnung bestellt ist;<br />
dies gilt auch, wenn <strong>der</strong> Aufgabenkreis des<br />
Betreuers die <strong>in</strong> § 1896 Abs. 4 und § 1905<br />
des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten<br />
Angelegenheiten nicht erfasst,<br />
3. wer sich auf Grund e<strong>in</strong>er Anordnung nach<br />
§ 63 <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit § 20 des Strafgesetzbuches<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em psychiatrischen Krankenhaus<br />
bef<strong>in</strong>det.<br />
Problematisch s<strong>in</strong>d die Wahlrechtsausschlüsse<br />
nach § 13 Nummer 2 und Nummer. 3 BWahlG (im<br />
Folgenden vere<strong>in</strong>fachend als „Nummer 2“ und<br />
„Nummer 3“ bezeichnet): Nummer 2 betrifft cirka<br />
81.000 Menschen mit unterschiedlichsten Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen,<br />
die im Alltag <strong>in</strong> allen Angelegenheiten<br />
rechtliche Unterstützung benötigen. Die Vielfalt<br />
<strong>der</strong> Bee<strong>in</strong>trächtigungsformen ist groß. So haben<br />
diese Menschen zum Beispiel teilweise e<strong>in</strong>e geistige<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Lernschwierigkeiten.<br />
Von Nummer 3 s<strong>in</strong>d über 3.000 schuldunfähige<br />
Straftäter_<strong>in</strong>nen betroffen. Diese Menschen<br />
haben oft e<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong> psychosozialen o<strong>der</strong><br />
seelischen Bee<strong>in</strong>trächtigung. Sie bef<strong>in</strong>den sich auf<br />
richterliche Anordnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em psychiatrischen<br />
Krankenhaus, weil sie als gefährlich e<strong>in</strong>gestuft<br />
werden. Der Ausschluss dieser beiden Personengruppen<br />
vom Wahlrecht wird im Wesentlichen<br />
damit begründet, dass man bei solchen Personen<br />
annehmen müsse, sie seien zu e<strong>in</strong>er vernünftigen<br />
Wahlentscheidung nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, weil ihnen die<br />
dafür nötige E<strong>in</strong>sicht fehle.318<br />
Das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, ist<br />
nicht irgende<strong>in</strong> Recht. In e<strong>in</strong>em demokratischen<br />
Geme<strong>in</strong>wesen ist das Wahlrecht das politische<br />
Grundrecht schlechth<strong>in</strong>.319 Es steht grundsätzlich<br />
unterschiedslos allen erwachsenen Staatsbürger_<strong>in</strong>nen<br />
offen. Hierzu hat sich <strong>Deutschland</strong> im<br />
Grundgesetz (Artikel 38) und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe <strong>in</strong>ternationaler<br />
Menschenrechtsabkommen (Art. 25<br />
Abs. 1 UN-Zivilpakt, Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls<br />
zur EMRK) ausdrücklich verpflichtet.<br />
Menschen mit Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen sollen bei Wahlen<br />
gleichberechtigt se<strong>in</strong>. Dies wurde durch die 2006<br />
317 Die Zahl wurde im Rahmen e<strong>in</strong>er Studie im Auftrag <strong>der</strong> Bundesregierung ermittelt: Bundesm<strong>in</strong>isterium für Arbeit und Soziales (<strong>2016</strong>b).<br />
318 Vgl. Strelen (2013): § 13 Nr. 10 und 18.<br />
319 Morlok (2006): Art. 38, RdNr. 119.