Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland Januar 2015 – Juni 2016
Menschenrechtsbericht_2016
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Menschenrechtslage Geflüchteter <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> 99<br />
durch die Auslän<strong>der</strong>behörden gemacht. Die Arbeit<br />
<strong>der</strong> unabhängigen Verfahrensberatung wird durch<br />
e<strong>in</strong>e überregionale Koord<strong>in</strong>ierungsstelle begleitet<br />
(Fachbegleitung für die Beratung; Austausch mit<br />
M<strong>in</strong>isterium und Bezirksregierungen, geme<strong>in</strong>same<br />
Erarbeitung von Handlungsempfehlungen).<br />
3.7.3 Identifizierte Probleme beim<br />
Zugang zu e<strong>in</strong>em fairen Verfahren<br />
Aus den Interviews ergibt sich, dass Asylverfahren<br />
beschleunigt durchgeführt werden bei Antragsteller_<strong>in</strong>nen<br />
mit e<strong>in</strong>er hohen Schutzquote, wie zum<br />
Beispiel aus Syrien, aus den sogenannten sicheren<br />
Herkunftsstaaten (Erstantrag und Folgeantrag)<br />
und zum Teil aus Län<strong>der</strong>n mit e<strong>in</strong>er niedrigen<br />
Schutzquote, wie zum Beispiel Georgien. Erfahrungen<br />
mit Fallgruppen des § 30a Abs. 1 Nr. 2,<br />
3, 5, 6, 7 (zum Beispiel wenn Antragsteller_<strong>in</strong>nen<br />
die Mitwirkung am Asylverfahren verweigern o<strong>der</strong><br />
offensichtlich über ihre Identität getäuscht haben)<br />
liegen <strong>in</strong> den drei Bundeslän<strong>der</strong>n nicht vor. Zum<br />
Teil besprechen <strong>der</strong>zeit die Landesm<strong>in</strong>isterien mit<br />
dem Bundesamt die mögliche Ausweitung des<br />
Verfahrens auf diese gesetzlichen Möglichkeiten.<br />
In diesem Zusammenhang lassen sich Themen<br />
herausarbeiten, die im Rahmen von schnellen<br />
Asylverfahren auf die Qualität <strong>der</strong> Verfahrensergebnisse<br />
und die Gewährung von Rechtsgarantien<br />
Auswirkungen haben. E<strong>in</strong>ige Themen s<strong>in</strong>d genereller<br />
Natur und betreffen alle Formen des Asylverfahrens,<br />
haben aber schwerwiegende Auswirkungen<br />
<strong>in</strong> den schnellen Verfahren.274<br />
Die Befragung erfolgte zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt (<strong>Juni</strong><br />
bis August <strong>2016</strong>), zu dem das Bundesamt zusätzlich<br />
zu neuen Asylanträgen nach wie vor mit <strong>der</strong><br />
Erledigung e<strong>in</strong>er hohen Anzahl unbearbeiteter<br />
Anträge befasst war und die Ankunftszentren zum<br />
Teil erst e<strong>in</strong> halbes Jahr zuvor den Betrieb aufgenommen<br />
hatten. Daher kann man zwischen zwei<br />
Kategorien von Problemen unterscheiden: e<strong>in</strong>erseits<br />
jene, die sich mit zunehmen<strong>der</strong> Rout<strong>in</strong>e und<br />
dem E<strong>in</strong>spielen <strong>der</strong> schnellen Verfahrensabläufe<br />
<strong>in</strong> den sogenannten Ankunftszentren und den<br />
Außenstellen erledigen werden, und an<strong>der</strong>erseits<br />
jene, die e<strong>in</strong>e strukturelle Än<strong>der</strong>ung erfor<strong>der</strong>lich<br />
machen. Im Folgenden werden e<strong>in</strong>ige ausgewählte<br />
Themen aus <strong>der</strong> zweiten Kategorie dargestellt,<br />
die <strong>in</strong> den Interviews <strong>in</strong> unterschiedlicher Art und<br />
Ausprägung benannt wurden.<br />
Wenig Zeit für die unabhängige Sozial- und<br />
Verfahrensberatung <strong>in</strong> schnellen Verfahren<br />
Die Interviewpartner_<strong>in</strong>nen aus dem Bereich <strong>der</strong><br />
Verfahrensberatung beklagen <strong>in</strong> allen drei Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
die Schnelligkeit e<strong>in</strong>iger Verfahren <strong>in</strong><br />
Komb<strong>in</strong>ation mit <strong>der</strong> mangelnden Transparenz<br />
für die Asylsuchenden. Beson<strong>der</strong>s schwerwiegende<br />
Auswirkungen habe dies für zwei Gruppen:<br />
Erstens für die beson<strong>der</strong>s Schutzbedürftigen, die<br />
unter Umständen mehr Zeit brauchten, um sich<br />
von <strong>der</strong> Flucht zu erholen, und/o<strong>der</strong> spezialisierte<br />
Beratung o<strong>der</strong> ärztliche Behandlung vor e<strong>in</strong>er<br />
Anhörung durch das BAMF benötigten. Dies könne<br />
<strong>in</strong> den schnellen Verfahren nicht gewährleistet<br />
werden. Und zweitens für die Asylsuchenden aus<br />
den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, die<br />
nach § 29a AsylG wi<strong>der</strong>legen müssten, dass sie<br />
nicht verfolgt s<strong>in</strong>d beziehungsweise ihnen bei<br />
Rückkehr ke<strong>in</strong> ernsthafter Schaden droht. Dafür<br />
müssten kumulative Vorkommnisse im Herkunftsland<br />
gründlich aufgearbeitet werden, die e<strong>in</strong>e<br />
Systematik und damit Verfolgung belegen. Das<br />
erfor<strong>der</strong>e e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Vorbereitung und sei <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Kürze <strong>der</strong> Zeit schwer möglich.<br />
Grundsätzlich erfor<strong>der</strong>e es Zeit, die Asylsuchenden<br />
<strong>in</strong> den Unterkünften zunächst zu erreichen,<br />
die Rolle <strong>der</strong> Verfahrensberatung verständlich zu<br />
machen sowie e<strong>in</strong> Vertrauensverhältnis aufzubauen,<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Konkurrenz“ mit<br />
e<strong>in</strong>er Vielzahl von <strong>in</strong>formellen „Berater_<strong>in</strong>nen“:<br />
Schlepperorganisationen, Mitbewohner_<strong>in</strong>nen<br />
o<strong>der</strong> Mitarbeitende des Wachschutzes gäben<br />
während <strong>der</strong> Flucht und <strong>in</strong> den Unterkünften e<strong>in</strong>e<br />
Vielzahl von Informationen über Strategien und<br />
Erfolgsaussichten im Asylverfahren, die oft falsch<br />
seien und gegen die sich e<strong>in</strong>e Verfahrensberatung<br />
zeit<strong>in</strong>tensiv durchsetzen müsse. Zeitgleich hätten<br />
Asylsuchende <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit nach ihrer Ankunft <strong>in</strong><br />
<strong>Deutschland</strong> weiteren drängenden Regelungsbe-<br />
274 Hier wurden zum Beispiel genannt: mangelnde Qualifizierung des neuen BAMF-Personals und daraus resultierend ger<strong>in</strong>ge Qualität<br />
<strong>der</strong> Anhörungen und Entscheidungen; Trennung <strong>der</strong> BAMF-Prozesse <strong>in</strong> Anhörung und Entscheidung; mangelnde Identifizierbarkeit <strong>der</strong><br />
Entschei<strong>der</strong>_<strong>in</strong>nen im BAMF <strong>in</strong> den Verfahren; Zusammenbruch gewachsener Kooperationsstrukturen zwischen Beratung und BAMF.