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[Umrisse]<br />
Funktion mit Atmosphäre<br />
»Heute sehen die Häuser vielerorts wie<br />
reisefertig drein. Obwohl sie schmucklos<br />
sind oder eben deshalb, drückt sich in<br />
ihnen Abschied aus. Im Innern sind sie hell<br />
und kahl wie Krankenzimmer, im Äußeren<br />
wirken sie wie Schachteln auf bewegbaren<br />
Stangen, aber auch wie Schiffe. Haben<br />
flaches Deck, Bullaugen, Fallreep, Reling,<br />
leuchten weiß und südlich, haben als<br />
Schiffe Lust, zu verschwinden.«<br />
Ohne einen bestimmten Grund, einen als<br />
dringend oder zwingend empfundenen<br />
Anlaß wird wohl niemand eine Arztpraxis<br />
oder eine Tagesklinik ansteuern, sich in<br />
die Nähe oder das Innere von Sanatorien,<br />
Rehabilitationseinrichtungen oder Krankenhäusern<br />
bewegen wollen, verheißen<br />
solche Besuche doch nur selten erquickliche<br />
Erlebnisse und kaum beglückende<br />
Begegnungen: Wer, außer manchen Hypochondern,<br />
absolviert auch schon gerne<br />
irgendwelche Vor- oder Nachsorgemaßnahmen,<br />
beginnt mit Begeisterung eine<br />
ambulante Therapie oder stationäre<br />
Behandlung, unterzieht sich gar voller<br />
Vergnügen einem, neudeutsch formuliert,<br />
Gesundheitscheck, dessen Verlauf nicht<br />
immer hoffnungsfroh zu klingen vermag?<br />
Der Wunsch nach einem anderen, einem<br />
schöneren Fahr- oder Reiseziel und insofern<br />
einer Umgebung mit wahrlich unbeschwerten<br />
Perspektiven, in der zudem das<br />
Essen besser schmeckt und die Sonne<br />
eher scheint, ist in den allermeisten Fällen<br />
also durchaus verständlich – und ergreift<br />
selbst jene, die lediglich kurz vorbeischauen,<br />
um einen Bekannten oder Verwandten<br />
ein klein bißchen aufzuheitern.<br />
Keinem festen Termin, ja nicht einmal<br />
einer medizinischen An- oder Verordnung<br />
folgend und deren Konsequenzen daher<br />
fürchten müssend, verspüren viele von<br />
ihnen dennoch ein leises Unbehagen, ein<br />
Gefühl der Unruhe, das sich bisweilen zu<br />
heftigen Fluchtphantasien auswächst, so<br />
daß sie sich bereits beim Eintreffen auf<br />
und später über eine Verabschiedung<br />
freuen, die ihren mehr oder minder schnell<br />
zu bewältigenden Ortswechsel einzuleiten<br />
hilft.<br />
Trotz der zahllosen Schreckensbilder, die<br />
ihnen offenkundig anhaften, verfügen<br />
diese Gebäude aber natürlich über diverse<br />
Charakteristika – und mitunter über Qualitäten,<br />
die über ihre reine »Daseinsberechtigung«<br />
hinausreichen, sie letztlich als<br />
in Gestalt und Funktion überzeugende<br />
Bauwerke ausweisen. Derartige Planungsresultate<br />
zeichnen sich per se durch<br />
Nachhaltigkeit aus, basieren in der Regel<br />
auf der partnerschaftlichen Zusammenarbeit<br />
verschiedener Fachdisziplinen und<br />
erfüllen damit höchste technische und<br />
ästhetische Ansprüche.<br />
Wie das aussehen kann oder sollte, verdeutlichen<br />
nun die [Umrisse] auf knapp<br />
100 Seiten, wobei es ihnen freilich an Beispielen<br />
ermangelt, wie sie Ernst Bloch in<br />
seinem fast 50 Jahre alten Buch »Prinzip<br />
Hoffnung« beschreibt. Und so finden sich<br />
hier statt atmosphärebefreiter »Schachteln<br />
auf bewegbaren Stangen« und Räumen<br />
»hell und kahl wie Krankenzimmer« ausschließlich<br />
Lösungen, die mit einer differenzierten<br />
Struktur und einem individuellen,<br />
stets ebenso angemessenen wie<br />
anregenden Farb- und Materialkonzept<br />
aufwarten.<br />
Michael Wiederspahn<br />
[ Editorial<br />
[3