Tagebuch eines Wachsoldaten
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Südtirol in den Westen und Norden Europas sehr hoch. Es
dürfte kein Dorf übriggeblieben sein, in dem nicht einige junge
Burschen geflohen sind. Manche riskierten lieber das nicht
ungefährliche Wagnis eines weiteren Gletscherüberganges
ohne die hierfür erforderlichen Behelfe, als mit den Alpinitruppen
nach Abessinien zu fahren. Viele Deserteure kamen in
Nordtirol heimlich unter.
Die italienischen Behörden versuchten der Desertion durch
Repressalien vorzubeugen. So wurden zum Beispiel in Sterzing
die Betriebe von Gewerbetreibenden gesperrt, deren Söhne
nach Österreich geflohen waren. Es kam auch zu zahlreichen
Gerichtsurteilen und Strafbescheiden. Das galt übrigens
auch für Nicht-Soldaten. Wer ohne Pass die Grenze überschritt,
wurde mit Kerker bis zu sechs Jahren bestraft. Dieses
Gesetz war seit 19. September 1930 in Kraft. In einigen
Ortschaften Südtirols wurden die Urteile des Militärtribunals
von Bologna an den Gemeindetafeln und an den Haustüren
der Familien ausgehängt. Die Kriegsdienstverweigerer sollten
stigmatisiert werden. Doch bei der Bevölkerung hatten solche
Gerichtsbescheide wohl eher den Charakter von Ehrenurkunden.
Denn nie und nimmer wollte der Großteil der Südtiroler
Jugend Wehrdienstleistende eines Staates sein, dessen Oberfaschist
und Volkskulturminister namens Alessandro Pavolini
(1903 – 1945) jeden Soldaten für einen Faschisten, jeden
Faschisten für einen Soldaten hielt.