UNTERWEGS IN FRANKREICH Loire-Tal Wenn man sich vom Westen her dem Zentrum der knapp 30.000 Einwohner zählenden Kleinstadt an der Loire nähert, liegt nicht selten der Duft von Pferdemist in der Luft. Die olfaktorische Annährung an die Stadt mit einem der am schönsten gelegenen Schlösser entlang der Loire ist also durchaus gewöhnungsbedürftig. Der animalische Geruch hat aber eine Ursache, für die man sich in Saumur nicht schämt. Ganz im Gegenteil, man ist sogar stolz darauf: Denn er stammt aus den Ställen und von den Pferden des Cadre Noir, der berühmtesten Reitschule Frankreichs. Was die Patrouille de France, die offizielle Kunstflugstaffel der französischen Luftwaffe, die man vor allem von den spektakulären Überflüge der Pariser Champs-Elysées am französischen Nationalfeiertag kennt, für die Lüfte ist, stellt der Cadre Noir für die Reiterei dar. Die Reitschule aus Saumur ist nicht nur die berühmteste des Landes, sie ist auch eine der renommiertesten französischen Institutionen überhaupt. Eine Institution, die sich der Tradition verpflichtet fühlt und von einigen manchmal als vieille France, also als altmodisch, belächelt wird, wovon man sich in Saumur aber noch nie beirren ließ. Die Einwohner von Saumur sind nicht ohne Grund stolz auf den Cadre Noir. Zunächst einmal wegen der langen Geschichte der Reitschule. Während der Napoleonischen Feldzüge spielte die französische Kavallerie eine wichtige Rolle. Es zeigte sich damals jedoch, dass die reiterlichen Fähigkeiten der Soldaten zum Teil unzureichend waren, weswegen die Kavallerie hohe Verluste hinnehmen musste. Seit 1825 wurde in Saumur deshalb eine Reitschule ins Leben gerufen, die den Einsatz von Pferden in der Armee verbessern sollte. Als Lehrmeister engagierte man die renommiertesten Reitlehrer der damaligen Epoche. Es waren Zivilisten und keine Militärangehörigen, die die neuen Offiziere der Kavallerie ausbilden sollten. Ihre Fähigkeiten basierten auf der Tradition der französischen Reitkunst, die sich zuvor seit der Zeit der Renaissance durch aus Italien kommende Moden in Frankreich entwickelt hatte. Der Name dieses Elite- und Ausbildungskorps leitete sich von der schwarzen Farbe der Uniformen ab. Doch selbst wenn heute der Cadre Noir Weltruhm genießt und niemand mehr auf die Idee käme, diese ehrwürdige Institution abzuschaffen, gab es auch schwierige Phasen in der Vergangenheit. Insbesondere am Anfang des 20. Jahrhunderts, als Kriege nicht mehr mit Pferden, sondern zunehmend mit Fahrzeugen, Panzern und Flugzeugen geführt wurden. Die militärische Bedeutung der Vierbeiner ging dramatisch zurück. Deshalb stellte sich die Frage nach dem Sinn einer Reitschule innerhalb der Armee. Die damalige Regierung konnte sich – aus heutiger Sicht zum Glück – jedoch nicht dazu durchringen, den Cadre Noir abzuschaffen, schließlich galt die Reitschule längst als ein Teil des kulturellen Erbes des Landes. In der neueren Vergangenheit kam der Einrichtung außerdem zugute, dass sich der Reitsport als Freizeitbeschäftigung und Leistungssport immer mehr entwickelt hat. Gerade in den 1970er-Jahren entstanden überall in Frankreich zahlreiche neue Reitzentren. Man bemühte sich deshalb um die Gründung einer nationalen Reitschule zur Ausbildung von Reitlehrern und Pferdeprofis auf hohem Niveau. 1972 schuf der damals amtierende Sportminister auf der Basis des Cadre Noir die Ecole Nationale d’Equitation. Die Institution verlor damit ihren militärischen Status und wurde zu einer zivilen Einrichtung. Die Menschen in Saumur sind aber nicht nur wegen dieser langen Geschichte stolz auf den Cadre Noir. Die Reitschule wird auch wegen ihres hohen Anspruchs geschätzt. Es geht um Spitzenleistungen und Exzellenz im Reitsport. Der Cadre Noir ist eine Eliteeinrichtung. Seit 2011 gehört die französische Reitkunst zudem zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO. Eine Auszeichnung, die erst durch den Cadre Noir ermöglicht wurde. Hinzu kommt, dass die Expertise des Cadre Noir weltweit geschätzt wird. So unterschrieb man kürzlich einen Vertrag mit China, der den Kauf von 3.000 französischen Pferden vorsieht und die Reitschule beauftragt, sich um eine ähnliche Institution südöstlich von Peking zu kümmern. Ähnliche Verträge verhandelt man gerade mit Ungarn und Katar. In Anbetracht dieser Fakten nimmt man ein paar Geruchsbelästigungen, die Pferdeliebhaber ohnehin nicht als 50 · Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2015</strong>
Die Reiter des Cadre Noir gehören zur Elite des Pferdesports. Der Name der Reitschule leitet sich von der schwarzen Farbe ihrer Uniformen ab. S. 48/49: Durch seine erhöhte Lage und wehrhafte Architektur erinnert das Schloss von Saumur an eine Burg. Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2015</strong> · 51