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Nr. 55 - Sommer 2015

Provence: Sénanque, klösterliche Besinnung in der Provence Baskenland: Corniche Basque, von Saint-Jean-de-Luz nach Hendaye Ärmelkanal: Le Touquet-Paris-Plage, ein Strand für die Hauptstadt Korsika: Wenn Steine zu sprechen beginnen Loire-Tal: Saumur: Stall, Schloss, Fluss Chantals Rezept: Mes quiches favorites

Provence: Sénanque, klösterliche Besinnung in der Provence
Baskenland: Corniche Basque, von Saint-Jean-de-Luz nach Hendaye
Ärmelkanal: Le Touquet-Paris-Plage, ein Strand für die Hauptstadt
Korsika: Wenn Steine zu sprechen beginnen
Loire-Tal: Saumur: Stall, Schloss, Fluss
Chantals Rezept: Mes quiches favorites

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Landgemeinde steht. Doch im Falle von Saint-Vincentdu-Lorouër<br />

stimmt dies nicht. Jedes Jahr ziehen neue<br />

Menschen in den kleinen Ort. Oft Pariser, die – durch<br />

günstige Immobilienpreise und die Nähe zur französischen<br />

Hauptstadt angezogen – in Saint-Vincent-du-Lorouër<br />

ein neues Leben auf dem Land beginnen.<br />

Die Menschen gewöhnten sich aber daran, ihre Einkäufe<br />

nicht um die Ecke im Ort zu erledigen, sondern<br />

mit dem Auto in die nächste Stadt zu fahren, um in den<br />

dortigen großen Supermärkten auf der grünen Wiese<br />

einzukaufen. Diese neuen vermeintlichen Shoppingparadiese<br />

sind aus den USA herübergeschwappt. Es gibt<br />

kostenlose Parkplätze en masse und das Warenangebot ist<br />

enorm. Außerdem findet man dort nicht nur Regale voller<br />

Lebensmittel, sondern auch frischen Fisch und frisches<br />

Fleisch sowie Dienstleistungen wie etwa die Post.<br />

Viele empfanden diese neuen Einkaufsmöglichkeiten<br />

als Fortschritt. Es wurde zur Normalität, dass man einige<br />

Kilometer mit dem Auto fuhr, selbst wenn man nur ein<br />

frisches Baguette erwerben wollte. Nur Einwohner ohne<br />

Autos und ältere Menschen, die nicht mehr Auto fahren<br />

mochten oder konnten, bekamen ein Problem mit der eigenen<br />

Versorgung.<br />

Was in den letzten 30 Jahren in Saint-Vincent-du-<br />

Lorouër passierte, geschah in ähnlicher Weise überall<br />

im Land. Trotz diverser Versuche der jeweils politisch<br />

Verantwortlichen, dem Trend entgegenzusteuern, leerten<br />

sich die Zentren der französischen Kommunen, während<br />

die Shoppinggebiete im Umkreis größerer Orte wuchsen.<br />

Laut einer Untersuchung von Observatoire Procos ist der<br />

Leerstand von Ladenflächen in Innenstädten landesweit<br />

von 2001 bis 2013 von 5,8 auf 7,2 Prozent angestiegen.<br />

Nur die ganz großen Städte konnten sich dem Trend<br />

widersetzen. In Orten wie Paris, Marseille, Lyon, Bordeaux,<br />

Toulouse oder Lille ist die innerstädtische Bevölkerung<br />

groß genug, so dass die auch dort neu entstandenen<br />

Shoppingcenter am Ortsrand kein Händlersterben<br />

im Zentrum auslösten. Anders sieht es dagegen in mittelgroßen<br />

Kommunen aus. Städte wie Dijon, Alençon, Châteauroux,<br />

Béziers, Tours oder Vannes mussten ebenfalls<br />

erleben, wie ihre Innenstädte ein Stück weit ausstarben.<br />

Manchmal waren solche Entwicklungen selbst verschuldet,<br />

wenn ein Bürgermeister beispielsweise ein neues<br />

Shoppingcenter genehmigte, um neue Arbeitsplätze zu<br />

schaffen, weil zuvor vielleicht eine Fabrik im Ort schließen<br />

musste und Arbeitslosigkeit drohte. Teilweise folgte<br />

diese Entwicklung aber auch schlicht dem Zeitgeist.<br />

In jüngerer Zeit scheint es jedoch eine Trendwende zu<br />

geben. In immer mehr Kommunen im Land kann man sehen,<br />

wie die Innenstädte einen zweiten Frühling erleben.<br />

Menschen wissen es wieder zu schätzen, zentral zu wohnen<br />

und auch vor Ort ihre Einkäufe erledigen zu können.<br />

Wenn Bürgermeister Shoppingcenter auf der grünen Wiese<br />

oft nicht verbieten können, so haben sie gelernt, wie sie<br />

die Innenstädte trotzdem stärken können. Die Vereinigung<br />

der französischen Bürgermeister hat mit Hilfe des<br />

Staates sogar einen Leitfaden dazu herausgebracht. Auf<br />

100 Seiten werden den Bürgermeistern Tipps gegeben,<br />

wie sie mit der Herausforderung der sterbenden Zentren<br />

umgehen sollten, um eine Kehrtwende einzuleiten.<br />

Unterstützt wird die politische Arbeit in vielen Orten<br />

durch lokale Initiativen. So hat man sich in Noyon im Departement<br />

Oise einen sehr originellen Ansatz ausgedacht:<br />

Im Ort gibt es eine Art « Laden auf Probe ». Menschen,<br />

die darüber nachdenken, ein Geschäft zu eröffnen, können<br />

für vier Monate dieses Ladenlokal anmieten, um ihr<br />

Konzept auszuprobieren und sich der Realität zu stellen.<br />

Erweist sich das Konzept während dieser Zeit als erfolgversprechend,<br />

hilft man ihnen anschließend, einen dauerhaften<br />

Laden in der Stadt zu finden.<br />

In Orléans haben sich 120 Händler zusammengeschlossen,<br />

um ihren Kunden eine gemeinsame Kundenkarte<br />

anzubieten. Damit wird den Kunden angeboten, den<br />

öffentlichen Nahverkehr kostenlos für eine Shoppingtour<br />

zu nutzen oder kostenlos in der Innenstadt zu parken.<br />

In Sceaux im Pariser Großraum haben die Händler<br />

gemeinsam mit der Stadtverwaltung ein System eingerichtet,<br />

wodurch die Kunden Waren der einzelnen Geschäfte<br />

per Computer oder Smartphone rund um die Uhr<br />

bestellen können, um sie anschließend gesammelt in einer<br />

der teilnehmenden Boutiquen oder an der Packstation im<br />

Ort abzuholen. So erspart sich der Kunde das mühsame<br />

Aufsuchen der einzelnen Läden, unterstützt aber trotzdem<br />

den lokalen Handel.<br />

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt man in einem anderen<br />

Pariser Vorort, in Montrouge. Dort lassen sich die<br />

Produkte von 30 lokalen Geschäften ebenfalls per Internet<br />

einkaufen, um sie anschließend an einer zentralen Stelle<br />

am U-Bahnhof, der von vielen Einheimischen täglich frequentiert<br />

wird, abzuholen.<br />

In Saint-Etienne im Süden setzt man dagegen auf<br />

Design. Die Stadt war 2010 von der UNESCO zur Stadt<br />

des Designs erklärt worden. Dieser Logik folgend rief die<br />

Stadtverwaltung ein Programm ins Leben, womit den<br />

Händlern vor Ort geholfen wird, ihre Verkaufsräume attraktiver<br />

zu gestalten. Es gibt dafür Schulungen und sogar<br />

finanzielle und kommunikative Unterstützung.<br />

Das Ziel all dieser Beispiele ist jeweils das gleiche:<br />

Man möchte die Menschen zurück in die Innenstädte<br />

locken und damit den Handel vor Ort stützen bzw. neu<br />

beleben. Es scheint zu funktionieren. In einigen Städten<br />

zeigt sich inzwischen sogar, dass große Handelsketten<br />

in die Zentren zurückkehren, die sie einst zugunsten der<br />

Peripherie verlassen hatten. So etwa in Bordeaux mit der<br />

Schuhkette « La Halle aux Chaussures », die kürzlich im<br />

Zentrum eine große Filiale eröffnete.<br />

Schön ist zudem, dass dieser neue Trend « Zurück in<br />

die Innenstadt » nicht nur die mittelgroßen Städte betrifft.<br />

Auch in den kleinen Kommunen tut sich etwas. So haben<br />

in Saint-Vincent-du-Lorouër kürzlich ein Friseur und<br />

eine Bäckerei eröffnet. Bisher scheint ihr Angebot von den<br />

Einheimischen freudig angenommen zu werden.<br />

Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2015</strong> · 77

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