Nr. 55 - Sommer 2015

FRANKREICH HEUTE Regionen
Neugliederung
der Regionen
Teil 2: Auf der Suche nach
neuen Hauptstädten
Rennes
Caen
(Präfektur)
Nantes
Rouen
(Conseil
Régional)
Paris
Orléans
Lille
Amiens
Châlons-en-
Champagne
Dijon
Metz
Strasbourg
Besançon
Nachdem in der letzten Ausgabe der Frage
nachgegangen wurde, welche Namen die
neuen französischen Regionen tragen
könnten, geht es dieses Mal um die zukünftigen
Hauptstädte der Regionen. Eine Frage,
die durchaus politische Sprengkraft besitzt,
gibt es doch zahlreiche lokale Animositäten.
Kaum eine der aktuell 22 Hauptstädte wird
ihren Hauptstadttitel gerne abgeben. Doch
dies ist unweigerlich notwendig, denn in
Zukunft gibt es nur noch 13 Regionen – und
damit auch nur noch 13 regionale Hauptstädte.
Offiziell sollen die neuen Hauptstädte
nach einem ausführlichen Reflexionsprozess
im Juli 2016 ernannt werden. Doch Tendenzen
lassen sich schon heute ausmachen.
In sechs Regionen wird sich ohnehin nichts
ändern, da diese von der Fusionswelle verschont
blieben. In vier der sieben neuen
Regionen scheint der Name der neuen
Hauptstadt auch bereits inoffiziell festzustehen.
Bleiben vor allem drei neue Regionen,
in denen es mehr oder weniger spannend
werden könnte.
Amiens capitale! C’est capital! » (dt. etwa Hauptstadt
Amiens! Das ist von größter Wichtigkeit!), ein
« Wortspiel, das aktuell auf vielen Schildern in der
derzeitigen Hauptstadt der noch eigenständigen Region
Picardie zu lesen ist. So auch am 22. April dieses Jahres, als
der Ministerrat im nicht zu fernen Paris die Weichen für
eine vermutlich weniger bedeutende Zukunft der Stadt
stellte, zumindest im politischen und verwaltungstechnischen
Sinne. Denn mit dem Gesetz zur Neugliederung
des Landes vom 16. Januar 2015 wurde festgelegt, dass die
Region Picardie mit der Region Nord-Pas-de-Calais verschmelzen
wird. Das Pech von Amiens ist dabei, dass die
aktuelle Hauptstadt der Region Nord-Pas-de-Calais, Lille,
Poitiers
Limoges
Bordeaux
Toulouse
Clermont-
Ferrand
Montpellier
Lyon
Marseille
Wahrscheinliche Hauptstadt der neuen Region
Derzeitige Hauptstadt, die diesen Status vermutlich verlieren wird
Hauptstadt, die von der Reform nicht betroffen ist
Ajaccio
sehr viel größer und wichtiger ist als Amiens. Es ist deshalb
recht wahrscheinlich, dass Lille die Hauptstadt der neuen
Region Nord-Pas-de-Calais-Picardie werden wird.
Viele Bewohner von Amiens finden diese Perspektive
jedoch wenig prickelnd. So etwa Julie, Jurastudentin und
gebürtig aus Amiens stammend. « Ja, ich bin für die Reform
der Regionen, aber Amiens soll Hauptstadt bleiben »,
sagt sie. Eines ihrer Argumente: « Lille ist doch ohnehin
schon die wichtigere Stadt in der neuen Region. Dann
können wir doch als Ausgleich den Hauptstadtstatus
behalten. Stellen Sie sich vor, Bayern und Baden-Württemberg
müssten fusionieren. Was würden die Menschen
in Stuttgart wohl sagen, wenn sie zukünftig aus München
regiert werden sollten? » Diese wie viele ähnliche Stimmen
zeigen, wie lokalpatriotisch aufgeladen die Diskussion ist.
Sicherlich gibt es in Lille eine andere Julie, die mit gleicher
Inbrunst für Lille als Hauptstadt argumentieren würde.
Der Innenminister machte in der Ministerrunde am
22. April aber erneut unmissverständlich klar, dass die
territoriale Neugliederung des Landes eines der wichtigsten
Reformprojekte der Regierung sei. Um mit diesem
Vorhaben einen weiteren Schritt voranzukommen, wurden
an diesem Tag die Präfekten der neuen Regionen ernannt.
Die Präfekten sind in den Regionen die Statthalter des
Staates. Um sie herum gruppieren sich weitere administrative
Einheiten. Ihr Sitz definiert damit auch faktisch die
Hauptstadt einer Region. Ernannt werden die Präfekten
vom Staatspräsidenten auf Vorschlag des Premierministers
74 · Frankreich erleben · Sommer 2015