Nr. 55 - Sommer 2015

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ART DE VIVRE Lebensart Auf der Terrasse eines französischen Cafés... Eine der angenehmsten kleinen Freuden des Sommers ist es, sich auf der Terrasse eines Cafés niederzulassen und bei einem Getränk ausgiebig seine Lieblings zeitung zu studieren oder einfach nur die vorbei laufenden Passanten zu beobachten. Sobald die ersten Sonnenstrahlen die Frühlingsluft erwärmen, wird dies zu einem französischen Nationalsport. Das französische Kino hat die Cafékultur und das Treiben auf deren Terrassen ebenso verewigt wie es zahlreiche literarische Werke tun. Aber was trinken die Franzosen eigentlich typischerweise auf den Terrassen ihrer so heißgeliebten Cafés? Und was sollte man möglichst beim Kellner bestellen, um nicht als Tourist aufzufallen? Sobald Sie auf der Terrasse eines Cafés Platz genommen haben, können Sie das immergleiche Schauspiel beobachten. Die Franzosen um Sie herum bestellen entweder « un café » oder « un expresso », was jedoch nur zwei unterschiedliche Begriffe für dasselbe Getränke sind, nämlich ein starker Kaffee in einer sehr kleinen Tasse, die aber zumeist randvoll ist. Den Franzosen gelingt es im Allgemeinen spielend, sich stundenlang an der winzigen Tasse festzuhalten und nur in kleinsten Schlucken am Kaffee zu nippen. Am Ende der Zeitungslektüre ist der Kaffee selbstredend kalt, aber das stört niemanden auch nur im Geringsten. Im Endeffekt geht es schließlich gar nicht um den Kaffee, sondern darum, bestmöglich 82 · Frankreich erleben · Sommer 2015
den Moment zu genießen. Und was gibt es Schöneres, als entspannt in einer Zeitung zu schmökern und die Umgebung zu beobachten. Allerdings gibt es durchaus Kellner – gerade in Paris –, die ihre Träumer gerne auffordern, noch ein weiteres Getränk zu bestellen, schließlich nehmen sie anderen potentiellen Kunden den Platz weg, wenn sie nur lesen und nicht viel konsumieren. Neben Tee und Kaffee gibt es ein weiteres Getränk, welches bei den Franzosen beliebt ist und 1954 in Bordeaux erfunden wurde: « le cacolac ». Hierbei handelt es sich um einen Kakao, der in fast allen Cafés in einer nostalgisch anmutenden Flasche serviert wird. Wenn Sie diesen bestellen, werden Sie in den Augen des Kellners unweigerlich in den Rang eines wahren Kenners der französischen Lebensart erhoben. Gerade im Sommer möchten viele Franzosen jedoch lieber etwas Erfrischendes trinken und bestellen daher « un citron pressé » oder « une orange pressée », um damit zugleich in den Genuss gesunder Vitamine zu kommen. Gleichzeitig ist diese Getränkeauswahl sehr günstig, da Sie nicht nur ein Glas mit dem ausgepressten Saft bekommen, sondern auch noch eine Karaffe mit Leitungswasser, die üblicherweise so viel Flüssigkeit enthält, dass Sie mehrere Stunden mit Ihrem Getränk verbringen können. Allerdings sollten Sie nicht versuchen, eine Saftschorle zu bestellen, sei es auf Basis von Apfelsaft oder jeglicher anderer Fruchtsorten. Damit wird man Sie sofort als Tourist identifizieren, da eine Saftschorle gänzlich unbekannt ist. Franzosen können sich darunter schlicht nichts vorstellen. Wenn Sie auf gar keinen Fall auf Ihre Saftschorle verzichten wollen, müssen Sie einen Saft und ein Mineralwasser getrennt bestellen. Der Kellner wird aber nicht verstehen, was Sie damit vorhaben. Am nächsten kommt einer Schorle vielleicht noch eine Orangina, wenn diese auch weniger mit einer Orangensaftschorle zu vergleichen ist, sondern eher mit einer Orangenlimonade. Kohlensäurehaltige Getränke gibt es dagegen natürlich viele. Es sind die gleichen großen Marken wie überall auf der Welt, etwa Coca-Cola, Pepsi oder Schweppes. Wenn man eine Cola bestellen will, sagt man übrigens « un coca s.v.p. » und nicht « un cola s.v.p. ». Wenn es um alkoholische Getränke geht, sind Franzosen üblicherweise sehr traditionell. Einen einzelnen Mann vor seinem Bierglas sitzen zu sehen, ist nichts Ungewöhnliches, eine oder mehrere Frauen dagegen schon. Während in nordeuropäischen Ländern in diesem Punkt Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herrscht und der Genuss von Bier eher eine Geschmacksfrage ist, so wird es in Frankreich immer noch als wenig schicklich angesehen, wenn Frauen Bier trinken. Ähnlich verhält es sich mit dem Pastis oder Ricard. Diese anishaltigen Getränke, welche an Marseille und die Provence erinnern, werden ebenfalls vorwiegend von Männern getrunken. Hin und wieder wird ein Pastis mit etwas Minzsirup bestellt, wobei dann beim Kellner nach einem « Perroquet » gefragt wird, weil die grüne Minzfarbe an einen Papagei erinnert. Gerade in Südfrankreich können Sie sicher sein, mit dem Bestellen eines « Perroquet » ein äußerst typisches Sommergetränk zu genießen. Auch beim Wein halten sich Klischees und Gebräuche hartnäckig. Während Frauen üblicherweise ein Glas Weißwein bestellen, greifen Männer eher zu Rotwein. Doch ganz langsam ändern sich hier die Verhaltensweisen. Nicht unwesentlich dazu beigetragen hat der Roséwein, der üblicherweise als « der » klassische Sommerwein angesehen wird. Die Franzosen sind sogar Weltmeister, wenn es um Roséweine geht: 37 Prozent der weltweiten Produktion dieser Weine werden in Frankreich getrunken. Die US-Amerikaner konsumieren nur zwölf Prozent der Weltproduktion und die Deutschen sogar nur neun Prozent. Interessanterweise wird in Frankreich jedoch nicht der meiste Rosé im Süden, sondern im Loire-Tal getrunken, wie 2014 eine offizielle Studie des INPES, dem nationalen Institut der Suchtvorbeugung und Gesundheitsausbildung, herausgefunden hat. Diese Region liegt mit 43,5 Prozent an der Spitze im Land. Frankreich ist jedoch nicht nur der größte Konsument von Roséwein, sondern auch der größte Produzent – vor Italien und Spanien. Allerdings ist der Konsum so hoch, dass Frankreich trotzdem Roséweine importieren muss. Viele Franzosen sehen einen Rosé als « das » klassische Getränk an, welches in größerer Runde auf der Terrasse eines Cafés getrunken wird. Für sie gehören Sonne, Urlaub, gutes Essen und ein Glas Rosé einfach zusammen. Wenn Sie sich von den vielen Rosétrinkern um sich herum abheben möchten, sollten Sie nicht einfach nur einen großen Eiskübel mit einer Roséweinflasche bestellen, sondern einen « rosé pamplemousse ». Diese auf den ersten Blick merkwürdige Mixtur aus Roséwein und Pampelmusenaroma wird von einigen Franzosen sehr geschätzt, da der oftmals gar nicht so leichte Rosé damit eine frischere Note erhält. Wenn Sie jedoch ein geübter Biertrinker sind, dann wird Ihnen Frankreich wie die Diaspora vorkommen, da der Bierausschank mitnichten mit Bierkulturen wie in Belgien oder Deutschland zu vergleichen ist. Wer ein großes frisch gezapftes Pils liebt, der wird sich über das 25cl-Glas wundern, in dem normalerweise belgisches oder holländisches Bier großer Konzerne ausgeschenkt wird. Manchmal bestellen die bierliebenden Franzosen auch ein « Monaco », ein Bier mit Granatapfelsirup, welches vielen Puristen sicher nie auf den Tisch kommen würde. Vor allem der Preis lässt viele Biertrinker davor zurückschrecken, in Frankreich Bier in rauen Mengen zu konsumieren, da beispielsweise in Paris das 25cl-Glas oft bereits fünf Euro oder mehr kostet. Außerdem ist es in Frankreich relativ untypisch, ein Bier zu bestellen, so dass Sie mit einem Pastis oder Rosé nicht nur besser aufgehoben sind, sondern sich auch vortrefflich an die französische Kultur und einheimischen Gebräuche anpassen. Und am schönsten ist ohnehin, was man sich in Frankreich beim Anstoßen wünscht: « Santé! » (dt. Gesundheit). Frankreich erleben · Sommer 2015 · 83
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