UNTERWEGS IN FRANKREICH Lothringen Selbst wenn man es vorher schon auf Bildern gesehen hat oder andere Schiffshebewerke kennt, wenn man sich zum ersten Mal dem Schrägaufzug von Saint-Louis/Arzviller nähert, ist man fasziniert. Wie in einer Art überdimensionierten Badewanne werden kleinere und größere Schiffe einen Hang der Vogesen hoch- und heruntergeschoben. Egal ob für Kinder oder Erwachsene, der Anblick vorbeiziehender Schiffe ist schlicht spektakulär. Das Erstaunen ist sogar noch größer, da der ganze Vorgang fast ohne Geräusche und mit einer bemerkenswerten Geschwindigkeit vonstatten geht. Nur vier Minuten dauert der Transport von einem oder mehreren Schiffen in einem Trog von unten nach oben bzw. von oben nach unten. Ein Höhenunterschied von 44,5 Metern wird dabei bei einer Steigung von 41 Prozent überwunden. Zu den vier Minuten kommen noch ein paar Minuten vor und nach dem eigentlichen Transport. Mehr als 20 Minuten sind insgesamt aber nicht notwendig, wofür man früher einen ganzen Tag benötigte, um 17 Schleusen zu passieren. Allein dieser Zeitunterschied zeigt die Genialität dieses Bauwerks. Doch die Binnenschiffer und Hobbykapitäne sind heute am Schiffshebewerk von Saint-Louis/Arzviller schon alleine nicht mehr allein, denn seit Jahren hat es sich zu einer großen Touristenattraktion in den Vogesen entwickelt. Über 100.000 Besucher kamen 2012, womit der Fahrstuhl das meist besuchte technische Bauwerk in Lothringen ist. Niemand hätte sich einen derart großen touristischen Erfolg erträumt, als das Bauwerk Ende der 1960er-Jahre eingeweiht wurde. Martine Kremer, die Direktorin der Anlage, ist sich dieser Bedeutung für die Region bewusst. Sie weiß, wie positiv sich dies für die lokale Wirtschaft auswirkt. Längst wurde die Anlage deshalb für Besucher ausgebaut. Die Zeiten, in denen man einfach so das Treiben beobachtete, sind vorbei. Heute bezahlt man einen Eintrittspreis, um anschließend die Wahl zwischen diversen Führungen zu haben, die besten Aussichtspunkte inklusive. Auch der übliche Souvenirshop fehlt nicht. Wem das Spektakel mit den Schiffen nicht ausreicht, der kann sich darüber hinaus auf einer Sommerrodelbahn amüsieren. Trotzdem hält sich die Kommerzialisierung der Attraktion in Grenzen. Dies liegt auch daran, dass kein gewinnorientiertes Privatunternehmen hinter dem Angebot steht. Eigentümer des Schiffshebewerks ist der französische Staat über die staatseigene Gesellschaft der Voies Navigables de France (VNF), die die Wasserstraßen des Landes managt. Der Besucherservice wird wiederum von einem Verein organisiert, der Association touristique du plan incliné de Saint-Louis/Arzviller, an deren Spitze Martine Kremer steht. Ziel des Vereins ist es, das Technikwunder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dazu gehören Führungen hinter die Kulissen der Anlage, etwa in die Maschinenräume, genauso wie die Möglichkeit, eine Schiffsreise in dem Fahrstuhl selbst zu erleben. Außerdem wird bei den Führungen viel Wert darauf gelegt, keine Standardtexte herunterzubeten, sondern viel Raum für individuelle Fragen der Besucher zu lassen. So erfährt man mit Erstaunen bei einer dieser Führungen, dass der Bau des Schiffshebewerks eine große Bauleistung war, dass dessen Betrieb selbst aber recht einfach vonstatten geht, anders als man gemeinhin vielleicht vermuten würde. Kern der Anlage ist ein auf Rollen und Schienen fahrender Trog für die Schiffe, der dank zweier Gegengewichte, mit denen er durch Seile verbunden ist, im Gleichgewicht bleibt. Elektrisch angetriebene Winden lassen den Trog an der Schräge hochbzw. heruntergleiten. Dabei ist jedoch kaum Elektrizität notwendig, da das Gewicht des Troges und das Gewicht der Gegengewichte genutzt werden. Da ein Schiff im Trog immer genauso viel Wasser verdrängt, wie es selbst wiegt, ist das Gewicht der Tröge immer gleich – egal, ob sie leer, mit einem oder mehreren Schiffen bewegt werden. Keine Frage also, ein Besuch des Schiffshebewerks von Saint Louis/ Arzviller ist ein lehrreiches Erlebnis. Es wäre aber schade, in diese Ecke Loth- 36 · Frankreich erleben · <strong>Mai</strong> / <strong>Juni</strong> <strong>2013</strong>
Frankreich erleben · <strong>Mai</strong> / <strong>Juni</strong> <strong>2013</strong> · 37