Nr. 45 - Mai / Juni 2013

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FRANKREICH HEUTE Kultur Frankreichs Museen auf der Überholspur Jedes Jahr das gleiche Phänomen: Die Besucherzahlen in Frankreichs Museen steigen und steigen. 2011 galt bereits als historisches Spitzenjahr. Und 2012? Der Rekord wurde erneut gebrochen! Wie erklärt es sich, dass sich Frankreichs Museen einer derart zunehmenden Beliebtheit erfreuen? Wie besonders ist die Situation jenseits des Rheins wirklich? Frankreichs Kulturministerin hatte allen Grund zur Freude, als sie vor Kurzem die neuesten Statistiken über die Besucherzahlen der Museen im Land vorstellen konnte. Trotz der allgemeinen Wirtschaftskrise strömen ihre Landsleute mehr und mehr in die Museen. Im Durchschnitt konnten die Einrichtungen letztes Jahr Besucherzuwächse zwischen vier und fünf Prozent verbuchen, egal ob es sich um staatliche oder private Häuser handelte. Beim größten Museum der Welt, dem Louvre, wurde 2012 sogar ein Anstieg von spektakulären zehn Prozent 80 · Frankreich erleben · Mai / Juni 2013
gegenüber dem Vorjahr verzeichnet. Dies bedeutet, dass in einem Jahr eine Million zusätzliche Besucher gezählt wurden! Auch für das Pariser Musée d’Orsay war 2012 ein Spitzenjahr. In den letzten sechs Jahren stieg das Interesse an diesem Museum um beachtliche 48 Prozent. Nicht weniger positiv sieht die Bilanz außerhalb der französischen Hauptstadt aus. Das Kunstspektakel « Lille 3000 » zog rekordverdächtige 1,3 Millionen Besucher an. Das Centre Pompidou Metz kann mit 1,5 Millionen Besuchern prahlen. Das ist dreimal so viel, wie vor Eröffnung der neuen Filiale des berühmten Pariser Kunstmuseums prognostiziert wurde. Grund zum Jubeln hatte auch die Ausstellung « Corps et ombres, Caravage et le caravagisme européen » letzten Sommer im Musée Fabre in Montpellier und im Musée des Augustins in Toulouse, die unerwartet über 280.000 Menschen anlockte. Doch wie typisch französisch ist dieses Phänomen? Einen Hinweis darauf könnte die weltweit gezeigte Ausstellung « Picasso und Matisse » der Kollektion Stein geben. Sie zog in Paris fünfmal mehr Besucher an als in San Francisco oder New York. Man könnte es damit erklären, dass Paris eines der meist besuchten Touristenziele der Welt ist. Aber auch New York und San Francisco sind international beliebte Weltstädte. Außerdem war der Anteil französischer Besucher erstaunlich hoch. So, als ob die Franzosen wirklich eine größere Begeisterung für Museen pflegen als andere Nationen. Doch woran könnte das liegen? Es mag auf den ersten Blick etwas paradox klingen, aber für viele Franzosen ist ein Museum keine der Vergangenheit zugewandte Einrichtung mehr, sondern ein Symbol der Modernität. Diverse Untersuchungen bestätigen, dass Frankreichs Museen das verstaubte Image, das Museen sonst allgemein gerne anhaftet, abgelegt haben und als alles andere als altmodisch wahrgenommen werden. Ganz im Gegenteil, die Museen gelten als angesagte Orte. Manche Häuser gehen sogar so weit und streichen das Wort « Museum » ganz aus ihrem Namen. Beispielsweise in Dunkerque, wo das Museum für zeitgenössische Kunst schlicht « Lieu d’Art et d’Action Contemporaine » (dt. Ort der zeitgenössischen Kunst und Aktion) bzw. abgekürzt LAAC heißt. Hier wirkt schon der Name modern und frisch. Um diesen Hype zu verstehen, gerade auch was die moderne Kunst und ihre Schaustellen angeht, muss man die Kulturpolitik des Landes kennen. Denn die Liebe des Volkes zur modernen Kunst basiert auch auf einem politischen Willen. Jack Lang, der umtriebige Kulturminister unter François Mitterrand und Erfinder der inzwischen weltweit am 21. Juni zum Sommeranfang gefeierten « Fête de la Musique », nahm vor 30 Jahren eine entscheidende Weichenstellung vor. Er schuf damals 23 kulturelle Institutionen in den Regionen des Landes, eine pro Region im Mutterland sowie eine weitere in der Überseeregion La Réunion, die sogenannten « Fonds régionaux d’art contemporain » (dt. Regionalfonds zeitgenössischer Kunst), kurz FRAC. Der Hintergrund dafür war die neue Dezentralisierungspolitik der Sozialisten. Die FRAC sollten diese Politik auf kulturellem Gebiet umsetzen. Dank dieser Institutionen sollten die Regionen in der Lage sein, eigene Sammlungen der modernen Kunst aufzubauen, und dadurch kulturell mehr Selbstbewusstsein gegenüber der Hauptstadt gewinnen. Finanziert wurden sie sowohl vom Zentralstaat als auch von den einzelnen Regionen. Allerdings glaubten damals nur wenige an diese neuen Einrichtungen, die sich irgendwo zwischen Museum und Kunstgalerie definierten. Viele hielten die FRAC für eine « sozialistische Utopie », die ohnehin nicht funktionieren würde. Heute, 30 Jahre später, stellt niemand in Frankreich den Erfolg der FRAC infrage. Alle FRAC zusammen besitzen inzwischen über 26.000 Werke. Ein Schatz an moderner Kunst, über den nur wenige Nationen der Erde verfügen. Außerdem sind die Einrichtungen längst zu wichtigen Akteuren der Kunstszene geworden, die nicht nur mit ihren Ankäufen Künstler finanzieren und damit kreatives Schaffen ermöglichen, sondern auch über 100 Ausstellungen pro Jahr organisieren, womit sie einen wichtigen Bildungsauftrag erfüllen und das Volk an die moderne Kunst heranführen. Denn dank der FRAC ist moderne Kunst nicht nur in wenigen renommierten Museen in Paris zu sehen, sondern über das ganze Land verteilt. Die moderne Kunst ist in gewisser Weise zu den Menschen gekommen. Außerdem wird ihre Präsenz immer sichtbarer. Da die Sammlungen kontinuierlich umfangreicher werden, haben sich sechs der 23 FRAC neue Gebäude geleistet, die sich konzeptionell und architektonisch nicht hinter den renommiertesten Museen des Landes verstecken müssen. Realisiert wurden sie von namhaften Architekten. So baute etwa der japanische Architekt Kengo Huma das neue FRAC-Museum der Region Franche-Comté in Besançon sowie der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur in Marseille. Die FRAC werden damit selbst zu einer Sehenswürdigkeit. Weitere solcher architektonischen Leuchttürme werden folgen: Für die Region Aquitanien wird für 52 Millionen Euro in Bordeaux ein futuristisches, 37 Meter hohes Gebäude entstehen, dessen Verwirklichung der Conseil Régional kürzlich angeschoben hat. Teil des Konzeptes ist ein Dachgarten, auf dem Skulpturen präsentiert werden und der den Besuchern gleichzeitig einen Panoramablick über die Dächer der Weinmetropole gestattet. Die Eröffnung ist für März 2015 geplant. All dies trägt dazu bei, dass die FRAC zusammen mehr als eine Million Besucher bei ihren Ausstellungen zählen. Besonders auffällig ist dabei, dass viele junge Menschen in die FRAC strömen. Es hat sich in den Regionen sogar ein gewisser Patriotismus für die eigene regionale Einrichtung und damit auch für die eigenen regionalen Künstler entwickelt. Befindet sich die Institution in einem spektakulären Gebäude, ist man noch stolzer darauf. Frankreich erleben · Mai / Juni 2013 · 81
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