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Nr. 45 - Mai / Juni 2013

Côte d'Azur: Grasse, der Duft einer Hauptstadt Lothingen: Saint-Louis / Arzviller: ein Fahrstuhl für Schiffe Camping: Frankreichs außergewöhnliche Campingplätze Normandie: Heimat des Impressionismus Loire-Mündung: zwischen Nantes und Saint-Nazaire, Kunst am Fluss Pyrenäen: le Train Jaune, ein Zug als Wahrzeichen Interview: Patricia Kaas Rezept: Fondant au chocolat au cœur de framboises Wein: die Kunst der Karaffierens und Dekantierens Genuss: die AOC der Pays de la Loire

Côte d'Azur: Grasse, der Duft einer Hauptstadt
Lothingen: Saint-Louis / Arzviller: ein Fahrstuhl für Schiffe
Camping: Frankreichs außergewöhnliche Campingplätze
Normandie: Heimat des Impressionismus
Loire-Mündung: zwischen Nantes und Saint-Nazaire, Kunst am Fluss
Pyrenäen: le Train Jaune, ein Zug als Wahrzeichen
Interview: Patricia Kaas
Rezept: Fondant au chocolat au cœur de framboises
Wein: die Kunst der Karaffierens und Dekantierens
Genuss: die AOC der Pays de la Loire

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Sag’ mal, standen die Bauabsperrungen vor Eurem<br />

Haus nicht schon hier, als ich letztes Jahr zu Deinem<br />

« Geburtstag gekommen bin? », fragt mich meine gute<br />

Freundin aus Bordeaux, als ich sie gerade vom Bahnhof<br />

abhole. Es ist bei uns Tradition, dass wir uns mindestens<br />

einmal im Jahr sehen, oft zum Geburtstag. « Ja, das stimmt.<br />

Die erneuern doch unsere Straße », antworte ich. « Aber<br />

wurde damit nicht schon vor zwei Jahren begonnen? », hakt<br />

mein Besuch ungläubig nach. « Ja, richtig », kann ich nur<br />

zustimmen. Doch meine Freundin scheint unverändert irritiert<br />

zu sein: « Das heißt, die buddeln hier schon seit zwei<br />

Jahren und sind immer noch nicht fertig? » Mir bleibt nur<br />

noch ein mitleidiges Nicken übrig.<br />

Wie soll man auch erklären, dass die Sanierung einer<br />

gerade einmal einen Kilometer langen Straße schon zwei<br />

Jahre in Anspruch nimmt und nach neuesten Informationen<br />

noch mindestens ein weiteres Jahr dauern soll? Dabei<br />

ist es noch nicht einmal ein riesiger Umbau. Die Fahrbahn<br />

in der Mitte und die dort liegenden Straßenbahnschienen<br />

werden nicht angefasst. Es geht lediglich darum, ein paar<br />

Rohre und Leitungen unter den Bürgersteigen zu erneuern,<br />

das Pflaster dergleichen auszutauschen und neue<br />

Parkbuchten anzulegen. Es ist auch keine breite Straße.<br />

Kein großes Ding also, würde man meinen. Trotzdem<br />

braucht die Stadt drei Jahre dafür – oder vielleicht sogar<br />

noch länger, denn bisher ist noch nicht einmal die Hälfte<br />

der Straße geschafft. Rechnet man die benötigte Zeit auf<br />

die Länge der Straße um, schaffen die Bauarbeiter einen<br />

Meter pro Tag.<br />

« Jetzt wundert mich auch nicht mehr, warum ich die<br />

Straße am Hauptbahnhof noch nie ohne Baustellenschilder<br />

gesehen habe. Die ist doch auch eine Dauerbaustelle »,<br />

fügt meine Freundin hinzu, sichtlich amüsiert, endlich<br />

auch einmal eine Schwachstelle in dem angeblich perfekten<br />

Land namens Deutschland gefunden zu haben. « Na<br />

ja, dort bauen sie ja auch eine ganz neue Straßenbahn »,<br />

versuche ich die Lage etwas zu rechtfertigen, obwohl ich<br />

ihr insgeheim eigentlich recht gebe.<br />

Was hat es auf sich mit uns Deutschen und den Großbaustellen?<br />

In Berlin will der neue Hauptstadtflughafen<br />

einfach nicht fertig werden. Ganz zu schweigen von den<br />

Kosten. Außerdem soll ein Lückenschluss im Berliner U-<br />

Bahn-Netz mit lächerlichen drei Stationen fast zehn Jahre<br />

in Anspruch nehmen. Zehn Jahre! Man mache sich das<br />

einmal richtig deutlich. Zehn Jahre Baustelle auf einem<br />

der wichtigsten Boulevards der Stadt, eine Hauptsehenswürdigkeit<br />

des Landes. Zehn Jahre lang müssen sich die<br />

Touristen aus aller Welt durch das Bauchaos den Weg<br />

suchen und den Baulärm ertragen. In der Zeit werden<br />

in China ganze Städte aus dem Erdboden hochgezogen,<br />

mit einem kompletten U-Bahnnetz und nicht nur mit drei<br />

Stationen.<br />

Aber nicht nur die deutsche Hauptstadt scheint das<br />

Bauen verlernt zu haben. Egal ob im Süden der Republik,<br />

man nehme nur das Beispiel von Stuttgart 21, oder<br />

im Norden, etwa die Elbphilharmonie in Hamburg, die<br />

anstatt ursprünglich 77 Millionen inzwischen 575 Millionen<br />

Euro kostet – es gab sogar schon Zeitungsberichte,<br />

in denen von einer Endsumme von einer Milliarde<br />

Euro die Rede war – und 2017 anstatt 2010 fertig werden<br />

soll. Egal wo man im Land hinschaut, geht es um<br />

Großbauprojekte, scheint der Wurm drin zu sein. Eine<br />

Bauverzögerung jagt die nächste, eine Kostenexplosion<br />

die andere.<br />

« Hat Eure große Boulevardzeitung neulich nicht getitelt:<br />

Wird Frankreich das neue Griechenland? », fragt<br />

mich meine Freundin. Ich merke, dass sie nun Blut geleckt<br />

hat. « Wenn ich mir die Baustellen hier so anschaue, würde<br />

ich ja fast fragen wollen, wer denn nun mehr Griechenland<br />

ähnelt? Also in Bordeaux haben wir es geschafft, in<br />

ein paar Jahren die ganze Innenstadt zu sanieren, ein ganz<br />

neues Straßenbahnnetz aufzubauen, die Ufer der Garonne<br />

zu sanieren, ... »<br />

« Ja », unterbreche ich sie, « ich weiß das alles. Ich<br />

erinnere mich noch sehr gut, als ich damals, als in Bordeaux<br />

das ganze Zentrum auf den Kopf gestellt wurde,<br />

nach Hamburg fuhr. Dort feierte man sich gerade für<br />

die Sanierung des Jungfernstiegs und tat so, als ob das<br />

Neugestalten von ein paar Metern Boulevard eine Meisterleistung<br />

wäre. Ich weiß sehr gut, was Du meinst. »<br />

In der Tat, ich wusste damals schon nicht, ob ich lieber<br />

weinen oder herzhaft lachen sollte, als sich die Lokalpolitiker<br />

und Medien für den neuen Jungfernstieg begeisterten.<br />

Dabei kam es dann sogar noch schlimmer: Denn<br />

schon kurz nachdem die Feierlichkeiten beendet waren,<br />

wurde ein Teil des Ufers der Binnenalster wieder aufgebuddelt.<br />

Die Verantwortlichen hatten wohl vergessen,<br />

dass sie noch eine U-Bahn in die neue Hafencity bauen<br />

wollten.<br />

In Frankreich wiederum könnte man neben Bordeaux<br />

viele andere Städte nennen, die sich in nur wenigen Jahren<br />

grunderneuert haben. In der Zeit, wo wir ein paar Meter<br />

Straße sanieren, werden dort ganze Stadtviertel erneuert.<br />

Ganz zu schweigen von dem Boom der Straßenbahn.<br />

Ich will nicht wissen, wie viele Straßenbahnkilometer in<br />

Frankreich in den letzten Jahren verlegt wurden. Ruck<br />

zuck ging das jeweils.<br />

« Eigentlich finde ich das ja ganz schön, dass bei Euch<br />

auch mal etwas nicht klappt », meint meine Freundin<br />

schließlich, als wir uns zwischen Bauabsperrungen über<br />

einen durchmatschten Fußgängerweg, auf dem seit fast<br />

einem halben Jahr wegen der Bauarbeiten die Platten fehlen,<br />

zu meiner Haustür durchkämpfen. « Das macht Euch<br />

menschlich! »<br />

« Tja, vielleicht sollten wir Merkel den Tipp geben,<br />

von dieser Seite der Deutschen zu erzählen, wenn in Südeuropa<br />

mal wieder Anti-Deutschland-Plakate in die Luft<br />

gehalten werden », erwidere ich leicht zynisch. « Mit ein<br />

bisschen Glück kannst Du nächstes Jahr, wenn Du zu<br />

meinem Geburtstag kommst, über einen neuen Bürgersteig<br />

spazieren. » Meine Freundin lächelt. « Na ja, spätestens<br />

übernächstes Jahr », füge ich grinsend hinzu.<br />

Frankreich erleben · <strong>Mai</strong> / <strong>Juni</strong> <strong>2013</strong> · 95

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