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CRESCENDO 5/18 September-Oktober 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Mit großer Würdigung Leonard Bernsteins und Interviews mit Martin Stadtfeld, Iveta Apkalna und Julian Prégardien.

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Ulrich Matthes (*1959) ist ein deutscher Schauspieler und Synchronsprecher.<br />

Seit 2004 ist er Ensemblemitglied am Deutschen Theater Berlin.<br />

Dem Fernsehpublikum wurde er unter anderem in der Rolle des Joseph<br />

Goebbels im Spielfilm „Der Untergang“ bekannt. Gerade war er an der<br />

Gesamtaufnahme der Werke Conrad Ferdinand Meyers als Hörbuch beteiligt.<br />

crescendo: Herr Matthes, wie ging es bei Ihnen los mit der<br />

Schauspielerei?<br />

Ulrich Matthes: Ich habe schon als Kind zwei, drei große Rollen<br />

im Fernsehen gespielt und wollte bis zu meiner Pubertät Schauspieler<br />

werden. Dann ist allmählich mein politisches Bewusstsein<br />

erwacht, und ich habe fünf Semester Germanistik und Anglistik<br />

auf Lehramt studiert. Es hat sich aber dann doch meine kreative<br />

Ader durchgesetzt.<br />

Ihr politisches Bewusstsein ist Ihnen geblieben.<br />

Ich halte das für selbstverständlich angesichts der Situation<br />

weltweit und in Deutschland, im Besonderen durch die AfD, die<br />

ich für gefährlich halte. Eine harmlose Äußerung in einer<br />

Talkshow, dass ich die AfD nicht so toll finde und sehr an Europa<br />

glaube, war übrigens für ein paar Leute schon Grund genug, mir<br />

eine Morddrohung ins Haus zu schicken.<br />

Wie ist es, einer gesichtslosen Feindschaft gegenüberzustehen?<br />

Das Internet ermöglicht durch die Anonymität wahnsinnige<br />

Exzesse der Aggression, der Wut. Jeder ist heutzutage in der Lage,<br />

einen Shitstorm auszulösen, der zumindest virtuell Menschen<br />

bedroht. Die Demokratie erscheint uns allen als stabil und<br />

unzerstörbar. Etliche Beispiele in Europa – wie Polen und Ungarn<br />

– und der ganzen Welt zeigen aber, wie fragil sie letztlich ist. Jeder<br />

Bürger müsste sich, selbst mit bescheidensten Mitteln, dafür<br />

einsetzen, sie zu stärken. Man muss dazu<br />

nicht gleich in eine Partei eintreten, ein<br />

Gespräch mit den Nachbarn reicht schon.<br />

Sie spielen komplexe Persönlichkeiten,<br />

die oft auf der dunklen Seite des<br />

Spektrums stehen. Wie gehen Sie an<br />

eine Rolle heran?<br />

Ich habe große Freude am Spiel mit der<br />

Sprache, das ist für mich ein wesentlicher<br />

Impuls. Ich entwickle die Rolle aus der Sprache heraus so genau,<br />

so konzentriert, so intensiv wie möglich. Die körperlichen<br />

Impulse entwickeln sich daraus. Bei vielen ist das umgekehrt,<br />

dass sie sich am Anfang sehr schnell eine Körperlichkeit für eine<br />

Rolle zulegen, eine Figur von außen nach innen erarbeiten. Bei<br />

mir geht das eindeutig von innen nach außen. Übrigens ist mir<br />

der musikalische Umgang mit Sprache extrem wichtig.<br />

Spielen Sie auch ein Instrument oder singen Sie?<br />

Ich singe ausschließlich! Ich bin ein eher ungeschickter Mensch,<br />

Basteln und sämtliche Tätigkeiten mit den Fingern habe ich schon<br />

als Kind genervt abgelehnt. Ich war der Schrecken des Werkunterrichts.<br />

Linolschnitt, furchtbar! Diese blöden Weihnachtssterne<br />

aus blauem, rotem, grünem Stanniolpapier, die man für die Eltern<br />

basteln musste, habe ich auch verabscheut. Ich habe ein Dreivierteljahr<br />

versucht, Klavier zu lernen, weil das an sich hochmusikalische<br />

Kind gefördert werden sollte. Gesungen habe ich dafür<br />

immer wie ein Irrer. Später habe ich dann mit großer Leidenschaft<br />

Gesangsunterricht genommen, klassisch wie auch Jazz.<br />

Ich pfeife auch sehr gern. Wenn Sie mir eine Sinfonie von Brahms<br />

oder Schumann, Beethoven oder Mozart vorspielen, kann ich das<br />

Thema mitpfeifen. Bruckner ist schon schwieriger. Wenn ich zu<br />

Hause Musik höre, dann höre ich eher selten wirklich hin,<br />

ICH WAR DER<br />

SCHRECKEN DES<br />

WERKUNTERRICHTS<br />

sondern singe oder pfeife wie eine Rohrammel mit. Gibt es das<br />

Tier überhaupt? Aber dann: In jeder Sinfonie gibt es Stellen, an<br />

denen die Stimmung blitzartig umschlägt. Entweder es tut sich<br />

ein existenzieller Abgrund auf, oder es erhebt sich aus einer<br />

dunklen Grundstimmung ein Hoffnungsschimmer für die<br />

Menschheit oder das kleine Menschlein, das die Sinfonie gerade<br />

hört. Für diese Umschlagmomente habe ich ein stark empfindendes<br />

Ohr. Ich höre sofort auf zu singen und vertiefe mich in den<br />

Moment.<br />

Gehen Sie in die Oper?<br />

Klar! Aber wenn ich die Wahl habe zwischen einem geglückten<br />

Opernabend und einem geglückten Konzertabend, würde ich<br />

Letzteren oft vorziehen. Eine Art Vereinigung mit der Musik<br />

erlebe ich bei sinfonischen Konzerten eher als in der Oper, in der<br />

ich als Theatermensch oft abgelenkt bin durch eine holprige<br />

szenische Umsetzung oder das manchmal mangelhafte schauspielerische<br />

Können der meist herausragenden Sänger. Die Überwältigung<br />

bis zu Tränen und Seligkeit habe ich eher Konzerten zu<br />

verdanken als Opernabenden.<br />

Woran liegt das?<br />

Es ist in der Oper der Eindruck des Hergestellten, des Probierten,<br />

die Möglichkeit des Ausrutschens auf der Bananenschale. Ich<br />

habe mal erlebt, wie Birgit Nilsson als Tosca von der Bühne nicht<br />

mehr hochkam, weil sie sich in ihrem<br />

Kleid verhakt hatte und dann wie eine<br />

Eidechse immer hochmolchte. Darüber<br />

fing sie selbst hysterisch zu lachen an,<br />

und dann natürlich das Publikum. Das<br />

steht für mich symbolisch dafür, was in<br />

der hochheiligen Oper passieren kann.<br />

Dieser gemachte Rahmen, in dem man in<br />

die Seitenkulisse abrauscht, nachdem<br />

man eine große Todesarie gesungen hat, und dann zum Regieassistenten<br />

zischt: „Scheiße, das blöde Kleid“, ist mir als Idee immer<br />

ein bisschen präsent, sodass ich das selbst bei der geglücktesten<br />

Opernaufführung nicht ganz loswerden kann. Ich suche in der<br />

Musik und überhaupt in den Künsten große Momente der<br />

Emphase, auch wenn ich selber spiele. Deshalb waren die<br />

90er-Jahre, in denen die Ironie im Theater überhandgenommen<br />

hat, eine schwierige Phase. So lustig ich Ironie sonst finde, ist sie<br />

im Theater oft ein Umweg, eine Distanzierung von dem, worum<br />

es eigentlich geht.<br />

Das Leben selbst ist oft ironisch.<br />

In der Tat. Neulich zum Beispiel lag in meiner Küche eine tote<br />

Maus. Einfach mitten in der Küche. Herzinfarkt. Spitzmäuse<br />

kriegen durch den geringsten Schrecken einen Herzinfarkt und<br />

fallen tot um. Da bin ich wahrscheinlich gerade in die Küche<br />

gekommen …<br />

… und die Maus dachte: „Oh, der Herr Matthes!“<br />

Ein schöner Tod …<br />

■<br />

„Ulrich Matthes liest Conrad Ferdinand Meyer: Die Hochzeit des<br />

Mönchs“ (Sinus Verlag)<br />

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