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CRESCENDO 5/18 September-Oktober 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Mit großer Würdigung Leonard Bernsteins und Interviews mit Martin Stadtfeld, Iveta Apkalna und Julian Prégardien.

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H O P E T R I F F T<br />

Daniel-Hope-Kolumne<br />

ODESSA IST EIN<br />

VERSTECKTER SCHATZ!<br />

Alexey Botvinov, Festivalgründer am ukrainischen Schwarzmeerhafen, enthüllt die<br />

Reize der vielleicht europäischsten Stadt der ehemaligen Sowjetunion.<br />

Daniel Hope: Alexey, du bist Gründer des<br />

Odessa Classics Festival in der Ukraine.<br />

Erzähl uns davon!<br />

Alexey Botvinov: Der Impuls war, ein Festival<br />

auf europäischem Niveau zu schaffen,<br />

Odessa auf die Landkarte zurückzubringen.<br />

Der Grund dafür ist offensichtlich: Die<br />

Ukraine ist ein junger Staat, den es erst seit<br />

der Auflösung der Sowjetunion im Jahr<br />

1991 gibt. Der Austausch zwischen Europa<br />

und Odessa war für zwei Jahrzehnte gestört.<br />

Dabei haben wir exzellente Künstler und<br />

Veranstaltungsorte.<br />

Als Geiger denke ich bei Odessa an Pjotr<br />

Stoljarski mit seiner berühmten Violinschule<br />

und an David Oistrach, der für<br />

mich der absolute Violingott ist. Was mir<br />

bisher nicht bewusst war, ist die unglaubliche<br />

Schönheit Odessas, ein architektonischer<br />

Mikrokosmos. Wie konnten die<br />

Leute diese Stadt nahezu vergessen?<br />

Das hat in erster Linie politisch-ökonomische<br />

Gründe. Das Land war bitterarm. Fast<br />

die ganze musikalische Praxis kam zum<br />

Stillstand – es war schlicht kein Geld da.<br />

Nun beginnt sich alles wieder zu entwickeln.<br />

Zum Glück haben wir unsere musikalische<br />

Tradition nicht verloren – vor<br />

allem mit unseren Geigern, Pianisten und<br />

Sängern. Odessa war auch in der sowjetischen<br />

Periode schon etwas Besonderes, der<br />

Versuch, eine Stadt mit europäischen Standards<br />

aufzubauen. Ein Riesenerfolg! Ab<br />

dem 19. Jahrhundert erlangte Odessa innerhalb<br />

von 100 Jahren enorme Bedeutung als<br />

Daniel Hope mit Alexey Botvinov<br />

Hafenstadt, wurde größter Hafen der Sowjetunion,<br />

aber auch wichtige Kulturmetropole.<br />

So entstand das Opernhaus, das ich<br />

für eines der besten der Welt halte. Alle<br />

waren sie dort: von Caruso und Tschaikowsky<br />

bis Rachmaninow. In der Sowjetzeit<br />

gab es dann eben Stoljarski mit seiner<br />

berühmten Geigenschule, aber auch die<br />

Klaviertradition mit den zwei großen<br />

Namen Swjatoslaw Richter und Emil Gilels.<br />

Diese spezielle Schule, der spezielle Klang<br />

prägen bis heute den Geist der Stadt!<br />

Und wir stehen hier direkt neben Puschkins<br />

Haus …<br />

Ja, auch Puschkin! Hier ist einfach Platz für<br />

Kunst! Odessa ist immer noch der europäischste<br />

Ort in der ganzen ehemaligen<br />

UdSSR. Und wir haben ein wunderbares<br />

Publikum: sehr konzentriert und dennoch<br />

sehr warmherzig.<br />

Das kann ich nur bestätigen! Wie machst<br />

du die Programmplanung? Dieses Jahr<br />

eröffnete Maxim Vengerov das Festival,<br />

aber ihr gebt auch Open-Air-Konzerte,<br />

widmet Euch unterschiedlichen Genres …<br />

Das Festival konzentriert sich nicht nur auf<br />

großartige Musik, sondern erkundet auch<br />

die Fusion mit anderen Künsten. Im ersten<br />

Jahr stemmten wir eine große Theaterproduktion,<br />

dieses Jahr ein Kinoprojekt mit<br />

dem Sohn des berühmten Filmemachers<br />

Andrei Tarkowski. Jedes Jahr gibt es auch<br />

Kunstausstellungen, Literatur und leichtere<br />

Musik: letztes Jahr mit dem wunderbaren<br />

David Orlowsky Trio, dieses Jahr mit Roby<br />

Lakatos und Ensemble. Außerdem bedeutet<br />

uns die Open-Air-Tradition sehr viel. Ich<br />

habe vor zehn Jahren mit großen Open-Air-<br />

Konzerten in der Ukraine angefangen,<br />

inklusive Lichtshows und Videoprojektionen,<br />

was die junge Zuhörerschaft anzieht<br />

und sehr beliebt ist. Jedes Jahr spielen wir<br />

an einem anderen Ort: dieses Jahr zum<br />

Beispiel vor über 10.000 Zuschauern auf<br />

der Potemkinschen Treppe, die viele aus<br />

dem Eisenstein-Filmklassiker Panzerkreuzer<br />

Potemkin kennen. Und morgens vor den<br />

Konzerten kann man noch im Schwarzen<br />

Meer baden gehen. Für das Publikum in<br />

Odessa bedeutet ein gutes Konzert vielleicht<br />

sogar noch mehr als in Zentral europa:<br />

Die Leute sind so bewegt, so emotional, sie<br />

denken monatelang daran. Kunst hat hier<br />

einen riesigen Stellenwert! Odessa ist ein<br />

versteckter Schatz, der von Europa wiederentdeckt<br />

werden sollte! <br />

n<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

FOTO: DMITRY SKVORTSOV<br />

98 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>September</strong> – <strong>Oktober</strong> 20<strong>18</strong>

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