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CRESCENDO 5/18 September-Oktober 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Mit großer Würdigung Leonard Bernsteins und Interviews mit Martin Stadtfeld, Iveta Apkalna und Julian Prégardien.

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WOHER KOMMT<br />

EIGENTLICH …<br />

… der gelbe Klang ?<br />

VON STEFAN SELL<br />

Kandinskys Improvisation III<br />

(Konzert) wurde durch Musik von<br />

Schönberg inspiriert<br />

ABB.: WASSILY KANDINSKY / IMPRESSION III (CONCERT) / GOOGLE ART PROJECT<br />

Sind gregorianische Gesänge<br />

blau? Pulsiert Bach in Orangerot,<br />

wie Hélène Grimaud sagt? In<br />

Weimar war das Orchester <strong>18</strong>42<br />

unschlüssig darüber, was es mit der<br />

Anweisung seines Kapellmeisters Liszt<br />

anfangen sollte: „Meine Herren, ich<br />

bitte Sie, ein wenig mehr Blau! Das verlangt<br />

diese Tonart!“ Improvisierte Chopin<br />

am Klavier, glaubte George Sand,<br />

„la note bleue“ zu hören. Und bei Brentano heißt es: „Golden weh’n<br />

die Töne nieder.“ Können Töne farbig sein?<br />

Inder, Araber und Chinesen konnten sich das ebenso vorstellen<br />

wie Pythagoras, der in Farben und Musik schlicht Verwandte sah.<br />

Leonardo da Vinci, der selbst Musik machte, wusste: Die Musik ist<br />

die „Schwester der Malerei“. Im 17. Jahrhundert ließ Isaac Newton<br />

das Licht sich in einem Glasprisma, vielleicht auch in einem Regentropfen,<br />

brechen und erkannte in den dort sichtbar werdenden sieben<br />

Farben (Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett) die<br />

Parallelität zu den sieben hörbaren Tönen C, D, E, F, G, A, H und<br />

entdeckte einen klingenden Regenbogen.<br />

Wenn man die Geschichte des Farbenhörens durchstreift,<br />

begegnen einem überall Tonseher und Farbhörer. Farbenhören<br />

ist eine synästhetische Wahrnehmung, ein „Mitempfinden“, ein<br />

„Zusammenwahrnehmen“. Es wird geschätzt, dass 25 Prozent aller<br />

Menschen diese Fähigkeit besitzen. Die meisten verbinden Klänge<br />

mit Farbvorstellungen. György Ligeti war überzeugt: „Dur-Akkorde<br />

sind rot oder pink, Moll-Akkorde irgendwo zwischen grün und<br />

braun“. Rimsky-Korsakow erschien C-Dur weiß. Und Duke Ellington<br />

machte die Erfahrung: „Ich höre eine Note von einem in der<br />

Band, und sie hat eine Farbe. Dann höre ich die gleiche Note von<br />

jemand anderem gespielt, und sie hat eine andere Farbe. Wenn<br />

Harry Carney spielt, ist D dunkelblaues Sackleinen. Wenn Johnny<br />

Hodges spielt, wird es zu hellblauem Satin.“<br />

Der Mathematiker und Jesuitenpater Castel erfand eine<br />

„Augenorgel“, wie Telemann sie 1739 in einem kurzen Traktat<br />

beschrieb, „mit der Kunst, Klänge und alle Arten von Musik zu<br />

malen“. Telemann hatte Castel in Paris kennengelernt und das Wunderinstrument<br />

in Augenschein genommen. Castel ordnete zwölf<br />

Tönen zwölf Farben zu. Spielte man auf der Klaviatur, zeigte jede<br />

Taste auf einem Fächer oder auf bemaltem Glas eine andere Farbe.<br />

Aus dem Farbenspiel erklang „Musik für die Augen“, wie Voltaire<br />

es nannte. Später entwickelte sich diese Idee zu einem frühen Vorläufer<br />

der Lightshow: „Es stellen sich<br />

die Farben an der Wand dar und vermischen<br />

sich, wenn viele Töne zusammen<br />

gegriffen werden, auf unzählige Arten.“<br />

Der russische Tonmaler Skrjabin<br />

sah C-Dur „natürlich als rot, ganz klar,<br />

keine Frage“. Für ihn war Musik mehrdimensional,<br />

äußerte sich auf allen Ebenen<br />

der Wahrnehmung. Er entwickelte aus<br />

der Idee Castels ein eigenes Farbklavier,<br />

für das er das Orchesterwerk Prométhée schrieb. In einer Kammerfassung<br />

in seinem Moskauer Wohnzimmer sorgte das Werk 1911<br />

zwar für Aufsehen, blieb aber ohne seine Lichtstimme. Erst 1915<br />

kam das Werk in der Carnegie Hall inklusive Licht zur Aufführung.<br />

Damit aber der Klang gelb wurde, musste ein „Maler des<br />

Klangs“ die Bühne betreten: „Gelb klingt wie eine immer lauter<br />

geblasene Trompete (scharf) oder wie ein in die Höhe gebrachter<br />

Fanfarenton“, definierte Kandinsky und hatte für jede Farbe eine<br />

solche Definition zur Hand. Am 1. Januar 1911 besuchte er erstmals<br />

ein Konzert von Schönberg und malte daraufhin seine Improvisation<br />

III (Konzert), in der das Gelb dominiert. Aus einem intensiven<br />

Briefwechsel mit Schönberg erwuchs eine enge Beziehung von<br />

Maler und Komponist, bei der die Rollen nie eindeutig scheinen.<br />

1912 komponierte Kandinsky eine „Bühnenkomposition“<br />

aus Farbe, Licht, Tanz und Ton, die er Der gelbe Klang nannte,<br />

und schrieb: „Der musikalische Teil wurde von Thomas von Hartmann<br />

übernommen.“ Der russische Freund und Komponist erinnert<br />

sich: „Die Musik dazu schrieb ich, aber nur entwurfsweise, da<br />

die letzte Form und die Orchestrierung von der Art des Theaters<br />

abhängen würde, das das Stück abnahm.“ Zu Lebzeiten kam es zu<br />

keiner Uraufführung. Später verliehen anstelle von Hartmann so<br />

illustre Personen wie Gunther Schuller, Anton Webern und Alfred<br />

Schnittke dem „Gelb“ seinen musikalischen Klang.<br />

Noch im Kompositionsjahr fanden sich alle im Almanach Der<br />

Blaue Reiter wieder: Der Cello und Klavier spielende Maler Kandinsky<br />

fungierte mit Franz Marc als Herausgeber. Der malende<br />

Komponist Arnold Schönberg veröffentlichte seine Komposition<br />

Herzgewächse, seine Malkunst und einen Textbeitrag, der Prometheus<br />

von Skrjabin war durch einen legendären Aufsatz des Musikkritikers<br />

und Komponisten Leonid Sabanejew vertreten, Thomas<br />

von Hartmann durch seinen Beitrag Über Anarchie in der Musik,<br />

und last but not least fand sich darin ein Abdruck von Kandinskys<br />

Der Gelbe Klang.<br />

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