John Axelrods Weinkolumne ORGIASTISCH UND VERFÜHRERISCH Komponisten, bildende Künstler und natürlich Weinbauern: Alle lieben Bacchus! ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ Bacchus ist dieser wunderbar altertümliche, vielfach künstlerisch dargestellte Gott der Ausschweifung. Man muss ihn einfach gern haben – und bildende Künstler wie Komponisten taten und tun das! Neben all den anderen Figuren aus der Antike und der Bibel, die in Kunst und Musik gewürdigt werden, hat Bacchus immer einen besonderen Touch. Vielleicht, weil er einfach mehr Spaß macht. Der Danse Bacchanale von Saint-Saëns mag das Stück der Wahl sein, wenn es um Musik und visuelle Künste geht. Das Konzertstück steht in direkter Verbindung zu Bacchus und ist berühmt für seine Exotismen, Kastagnetten, Moll-Tonleitern und Fanfaren. Aber ich möchte Sie auch für das selten gespielte Cortège de Bacchus aus Delibes’ Ballett Sylvia aufmerksam machen. In diesem Werk steckt alle Pracht des französischen Balletts, es berauscht aber auch mit einem unwiderstehlichen 6⁄8-Takt. Der Bacchus von Caravaggio, dieses Meisterwerk des sogenannten „Chiaroscuro“, ist mustergültig für das Spiel mit dem Kontrast zwischen Licht und Dunkel. Der italienische Maler machte diese Technik zu seinem dominanten Stilelement, indem er Schatten noch stärker verdunkelte und seinen Motiven in gleißendem Licht Plastizität verlieh. Diesen Bacchus malte Caravaggio zwischen 1597 und 1598 in einem eher friedlichen Lebensabschnitt (im Gegensatz zu seinem Kleinen kranken Bacchus, den er in der Genesungsphase nach einer Krankheit malte). Es handelt sich dabei um das Porträt eines jungen Mannes als griechischer Gott. Bacchus ist in weiße Gewänder mit schwarzem Gürtel gekleidet, dessen Ende er in der rechten Hand hält. In der linken hat er ein volles Weinglas, als würde er dem Betrachter anbieten, am Gelage teilzuhaben. Auf dem Tisch vor ihm stehen eine Obstschale und eine dickbäuchige Weinflasche, der interessanterweise unterstellt wird, eine Reflexion des Malers widerzuspiegeln. Bacchus ist gesund, muskulös, sogar üppig, mit dunklen Augenbrauen, geröteten Wangen, aufgequollenem Gesicht und einer gewissen Weiblichkeit, wie eine japanische Geisha beim Bade. In seinen Augen leuchtet nichts als angetrunkenes Verlangen. Das Obst auf dem Tisch, vor allem der Granatapfel, symbolisiert Sünde und verlorene Unschuld. Das alles ist verkörperte Begierde, die den Betrachter anregt, vom „Liebestrank“ zu versuchen. Es gibt zwei Weine mit Bezug zu Caravaggio. Der Proprietor’s Reserve von Forchini, ein Zinfandel, ist ein preisgekrönter Wein für echte Kenner. Er hat eine tiefviolette Farbe mit Aromen von Schokolade, Orangenschale und geröstetem Pistazien-Nugat, mit einem seidigen, spritzigen und fruchtigen Körper sowie Noten von Apfel, Anis, Zeder, Honig und Pfeffer im Abgang. Leider ist dieser Wein in Europa nicht ganz einfach zu bekommen. IN DEN AUGEN VON CARAVAGGIOS BACCHUS LEUCHTET ANGETRUNKENES VERLANGEN Probieren Sie ansonsten den preisgünstigen und ebenso wunderbar trinkbaren „Caravaggio“ von Marsovin, einen Cabernet Sauvignon, der den namensgebenden Bacchus ebenfalls auf dem Label trägt. Marsovin grüßt aus Malta, wo Caravaggio selbst eine Zeit lang lebte, bevor er wegen Verletzung eines Ritters ins sizilianische Exil fliehen musste. Marsovin war ein Pionier des Weinbaus auf Malta. Heute ist er bei vielen Liebhabern für Maltas herausragendsten Rotwein bekannt. Der „Caravaggio“ ist ein reichhaltiger, runder Rotwein mit intensiven, reifen Waldfruchtaromen von Schwarzer Johannisbeere und Brombeere und einem diskreten Minzschokoladen- Unterton. Er schmeckt, wie Bacchus aussieht: wunderbar dekadent. Entkorken Sie ihn, legen Sie Delibes’ Cortège auf und warten Sie auf die Ankunft der Gottheit! ■ John Axelrod ist Generalmusikdirektor und Geschäftsführer des Real Orquesta Sinfónica de Sevilla und erster Gastdirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er Bücher und sorgt sich um das Wohl des crescendo-Lesergaumens. Außerdem schreibt er einen englischsprachigen Blog zum Thema Wein und Musik: www.IamBacchus.com. Übersetzung: Maria Goeth. Infos zum Wein von Forchini finden Sie hier: www.forchini.com; zum „Caravaggio“ von Marsovin hier: www.marsovin.com 88 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>September</strong> – <strong>Oktober</strong> 20<strong>18</strong>
LEBENSART Best of Baltikum: Ein musikalischer Spaziergang mit Dirigent Tõnu Kaljuste durch Tallinn (Seite 94) Künstlerin Tina Campos hat das crescendo CD-Cover gestaltet. Eine maritime Hommage an den Sommer (Seite 97) Chormusik hat in Estland eine über hundertjährige Tradition. Weil Chöre und Chorfestivals die Menschen einander näherbringen. Eine Idee, die aufgeht: Musik als – buchstäblich – farbenfrohes Band FOTO: MAILI SAIA / TALLINN CITY TOURIST OFFICE & CONVENTION BUREAU 89