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CRESCENDO 5/18 September-Oktober 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Mit großer Würdigung Leonard Bernsteins und Interviews mit Martin Stadtfeld, Iveta Apkalna und Julian Prégardien.

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mende Körper und stellte den Bildhauer vor besondere Schwierigkeiten:<br />

„Sie besteht aus transparentem Gießharz, aus dem man sonst<br />

Dinge macht, die maximal 30 bis 40 Zentimeter groß sind.“<br />

Für Polzin ist die Verschmelzung von bildender Kunst und<br />

Musik kein Neuland, er arbeitete bereits mit großen Komponisten<br />

wie György Kurtág und Helmut Lachenmann zusammen und entwarf<br />

Bühnenbilder, unter anderem für den Parsifal der Salzburger<br />

Osterfestspiele: „Meine autonome Arbeit als Bildhauer und Maler<br />

befindet sich in einem ständigen imaginären oder auch konkreten<br />

Austausch mit anderen Künsten, vor allen Dingen mit Musik. Seit<br />

ich denken kann, war Musik bei der Arbeit und im Atelier präsent.“<br />

Die musikalische Auswahl trafen Alban Gerhardt und Gergana<br />

Gergova. Jörg Widmanns Duos für Geige und Cello, Auszüge<br />

aus Bachs Solostücken für beide Instrumente, Transkriptionen seiner<br />

zweistimmigen Inventionen, aber auch von den Schauspielern<br />

FOTO: MATT JOLLY AT SNAPE MALTINGS<br />

gesungene Popsongs sind Teil des Programms. love in fragments<br />

bringt die Musiker in ungewohnte Spielsituationen. Haben Sie<br />

schon einmal eine im Liegen spielende Violinistin gesehen? Oder<br />

einen Cellisten, der mit einer Dame auf dem Schoß eine Bach-Suite<br />

interpretiert? Gergova und Gerhardt stehen, gehen, liegen und<br />

werden von den Choreografen bewegt, während sie nicht nur die<br />

Musik, sondern auch die Bühne (be-)spielen. Diesen Herausforderungen<br />

stellt sich Alban Gerhardt mit Humor: „Es ist auf jeden<br />

Fall nicht schlecht, auch mal im Liegen oder Stehen aufgetreten zu<br />

sein, da weiß man, dass nichts passieren kann,<br />

IN EINER<br />

AUFFÜHRUNG<br />

KOMMT IM BESTEN<br />

FALL NICHT NUR<br />

DAS HIRN,<br />

SONDERN AUCH<br />

DAS HERZ IN<br />

BEWEGUNG<br />

auch wenn mal ein Stachel wegrutscht oder<br />

ein Stuhl zusammenbricht. Aus seiner eigenen<br />

Komfortzone herauszugehen ist wichtig.“<br />

Im Mai trafen sich die Künstler zu einer<br />

ersten intensiven Probenphase in Snape Maltings,<br />

der alten Malzfabrik, die Benjamin Britten<br />

im englischen Städtchen Aldeburgh für<br />

sein Festival zum Konzertsaal umbauen ließ.<br />

„Es ist wie in einem Chemielabor“, setzt Polzin<br />

zu einem ungewöhnlichen Vergleich an:<br />

„Bis man anfängt zu proben, ist alles Theorie.<br />

Man hat auf einem großen Tisch Barthes’<br />

Text und viele Ergebnisse von Untersuchungen<br />

und Forschung zum Thema Liebe. Erst<br />

wenn das Experiment beginnt, schüttet man all diese unterschiedlichen<br />

Zutaten zusammen und schaut, welche Reaktionen passieren,<br />

welche neuen Stoffe entstehen.“ Für Polzin endet sein Anteil<br />

am Experiment nicht mit der „Ablieferung“ der Skulptur: „Es handelt<br />

sich bei der Bühnenskulptur nicht um eine normale Form des<br />

Bühnenbildes, sondern um eine Skulptur, die auch unabhängig ihre<br />

eigene Wertigkeit hat. So wie die Musikstücke, die auch autonom<br />

in einem Konzert vorgetragen werden können, kann meine Skulptur<br />

auch autonom ausgestellt werden, hat aber einen Mehrwert im<br />

Kontext der Aufführung. Ich habe verschiedene Möglichkeiten, mit<br />

ihr umzugehen, sie zu behandeln und einzubeziehen, in sie hineingedacht.<br />

Die lege ich aber nicht sofort offen. Ich bin selbst neugierig,<br />

was die Performer und Musiker auf der Bühne damit machen.“<br />

Dass die Skulptur mehr als ein Bühnenbild ist, spürt auch<br />

Alban Gerhardt deutlich: „Neben so einer Statue zu sitzen, ist sehr<br />

berührend. Sie ist wunderschön, auch ihre Haptik und die verschiedenen<br />

Beleuchtungen. In diesem Moment spielt man anders. Das ist<br />

die Idee des Ganzen: Dass die Kunstformen sich gegenseitig inspirieren<br />

und das Gesamtwerk vom Publikum so noch besser verstanden<br />

und aufgesogen werden kann. Man versteht die Musik teilweise besser,<br />

wenn man nicht nur die ganze Zeit Musik hört, und man versteht<br />

die teilweise philosophischen Texte deutlicher, wenn sich das Gehirn<br />

bei Musik entspannen kann oder neu herausgefordert wird.“<br />

Der nächste Schritt vor der offiziellen Uraufführung im März<br />

2019 in New York – und bevor das Stück hoffentlich auch bald in<br />

Deutschland zu erleben sein wird – ist eine zweite intensive Probenphase,<br />

in der die verschiedenen Fragmente in der Symbiose weiter<br />

fokussiert werden. Polzin hat das Wunschziel der Künstler klar<br />

vor Augen: „Künstlerische Medien können in der Lage sein, Denkprozesse<br />

anzuschieben, die sonst nicht ohne Weiteres stattfinden<br />

würden. Diese Prozesse sind bei einer künstlerischen Umsetzung<br />

untrennbar mit emotionalen Vorgängen verbunden. In einer Aufführung<br />

kommt im besten Fall nicht nur das Hirn in Bewegung,<br />

sondern auch das Herz. Das ist es, was wir uns wünschen.“ ■<br />

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