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CRESCENDO 5/18 September-Oktober 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Mit großer Würdigung Leonard Bernsteins und Interviews mit Martin Stadtfeld, Iveta Apkalna und Julian Prégardien.

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H Ö R E N & S E H E N<br />

Empfehlungen von Attila Csampai<br />

BACHS ZEITLOSE BOTSCHAFTEN<br />

… erklingen in der Auswahl unseres Chefrezensenten<br />

BACH – GULDA – CLAVICHORD<br />

The Mono Tapes (Berlin Classics)<br />

Im Jahr 1978 ließ Friedrich Gulda, der zuvor in<br />

seinen Konzerten das intime Clavichord wiederbelebt<br />

hatte, zur Selbstkontrolle einige<br />

Mono-Mitschnitte seines Bach-Spiels auf dem<br />

Instrument anfertigen. Später schenkte er dieses<br />

private Material seinem Schüler Thomas Knapp. Der wiederum ließ<br />

es jahrelang liegen, bevor er sich entschloss, Guldas elektrisierendes<br />

Bach-Spiel professionell restaurieren zu lassen. Als Meisterstück des<br />

Bach-Interpreten Gulda galt bisher seine glasklare Deutung des<br />

Wohltemperierten Klaviers in den Jahren 1972 und 1973 auf dem<br />

großen Bösendorfer-Flügel. In der vorliegenden Auswahl aber wirkt<br />

der 48-jährige Gulda noch befreiter, noch wilder und radikaler.<br />

Durch die „hautnahe“ Mikrofonierung direkt über den Saiten des<br />

Clavichords wird dessen intimer Charakter massiv verstärkt: So<br />

wechselt die Klangfarbe zwischen lautenähnlicher Anmut, zitherartigem<br />

Vibrato und synthetischer Schärfe, und Guldas rasende<br />

Tempi verleihen den ausgewählten Präludien und Fugen (aus Band<br />

II) einen ganz neuen, geradezu brisanten, sinnlich-bohrenden Charakter.<br />

Wir erleben die faszinierende Dialektik von mathematischer<br />

Logik und virtuoser Spielfreude, von strengster Architektur und<br />

lustvollem Bewegungsdrang. Der Overdrive, mit dem er das Präludium<br />

der Englischen Suite Nr. 2 abschnurren lässt, ist elektrisierend<br />

und enthüllt mit aberwitziger Fingerakrobatik die unfassbare<br />

Modernität dieser Musik: So prickelnd, so aufsässig, so quicklebendig<br />

und abgefahren klang Bach noch nie.<br />

JOSEF MYSLIVEČEK: VIOLIN CONCERTOS,<br />

SINFONIA & OUVERTURE<br />

Leila Schayegh, Collegium 1704, Václav Luks<br />

(Accent)<br />

Josef Mysliveček (1737–1781) war der Sohn<br />

eines Müllers in Prag. Doch statt den elterlichen<br />

Betrieb zu übernehmen, zog er 1763 nach<br />

Italien und wurde zum erfolgreichsten Komponisten der neapolitanischen<br />

Opera seria. 29 Opern brachte er auf die Bühne, verfasste<br />

55 Sinfonien, neun Violinkonzerte und zahlreiche andere<br />

Werke, bevor ihn eine Syphilis-Erkrankung früh dahinraffte. Er<br />

war mit den Mozarts befreundet und beeinflusste auch den jungen<br />

Mozart durch seinen frischen, impulsiven, dramatisch-lebendigen<br />

Stil. Dennoch ist er heute so gut wie vergessen. Daher war die Entscheidung<br />

des Prager Barockensembles Collegium 1704 und seines<br />

Leiters Václav Luks, dem Klassik-Pionier endlich ein komplettes<br />

Album zu widmen, längst überfällig: Für die drei Violinkonzerte,<br />

die Mysliveček 1772 für Wien komponierte, verpflichtete man die<br />

renommierte Schweizer Barockgeigerin Leila Schayegh, die diese<br />

(den Mozart-Konzerten schon ziemlich ähnlichen) Arbeiten mit<br />

wunderbar kernigem, prägnant-klarem Ton und frischen, pulsierenden<br />

Tempi als frühe Meisterwerke einer neuen, durchaus<br />

opernhaften, von ständigen Impulswechseln getragenen Konzertform<br />

ausweist. Das ähnlich entschieden und lebendig aufspielende<br />

21-köpfige Prager Collegium unterstreicht Myslivečeks herausragende<br />

Bedeutung auch in den beiden nervös vorwärts drängenden<br />

Sinfonien.<br />

FRANZ SCHUBERT: OKTETT<br />

Isabelle Faust, Anne Katharina Schreiber, Danusha<br />

Waskiewicz, Kristin von der Goltz u. a.<br />

(harmonia mundi)<br />

Track 7 auf der crescendo Abo-CD: Menuett Nr. 3.<br />

Aus: Fünf Menuette mit sechs Trios D. 89 von Franz<br />

Schubert<br />

Oktette sind eine Rarität im klassischen Repertoire, und Schuberts<br />

Beitrag aus dem Jahr <strong>18</strong>24 ist das wohl bekannteste Werk der Gattung.<br />

Er wolle sich „auf diese Art den Weg zur großen Sinfonie<br />

bahnen“, schrieb er in einem Brief, und tatsächlich ist das für fünf<br />

Streicher und drei Bläser gesetzte sechssätzige Opus ein wunderbares<br />

Mittelding zwischen Kammermusik, Divertimento und<br />

Sinfonie und ein zutiefst beseeltes, freundliches Meisterwerk. Jetzt<br />

haben die Geigerin Isabelle Faust und sieben Mitstreiter aus dem<br />

Umkreis des Freiburger Barockorchesters es auf historischem<br />

Instrumentarium wiederbelebt und dabei die anrührende Schönheit,<br />

die Intimität und den Farbenreichtum dieses „Feuerwerks an<br />

Einfällen, Gefühlslagen und Klangeindrücken“, so Faust im Booklet,<br />

in feinsten dynamischen Schattierungen herausdestilliert.<br />

Man erlebt ein akustisch gedämpftes Konzert innerer Stimmen,<br />

ein nobles Achtergespräch empfindsamster, zärtlich kommunizie­<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

26 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>September</strong> – <strong>Oktober</strong> 20<strong>18</strong>

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