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CRESCENDO 5/18 September-Oktober 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Mit großer Würdigung Leonard Bernsteins und Interviews mit Martin Stadtfeld, Iveta Apkalna und Julian Prégardien.

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gen, dass diese Sportler weltweite Superstars sind. Ich habe noch<br />

nie einen Klassikfan mit einer Dirigenten-Devotionale oder einem<br />

Sopran-Sonnenhut gesehen. Die Wahrheit ist: Den größten Teil der<br />

Weltbevölkerung interessieren unsere Klassikstars einfach nicht.<br />

Deshalb wäre ein bisschen mehr Demut durchaus angebracht.<br />

Was vielen Klassikkünstlern nicht klar zu sein scheint, ist, dass<br />

auch ihre überdurchschnittlichen Gagen von 20.000 bis zu 40.000<br />

Euro pro Abend nicht vom Publikum refinanziert werden. Selbst<br />

bei teuren Eintrittskarten reichen die Einnahmen am Ende eines<br />

Abends eben nicht für Orchestermusiker, Dirigenten, mehrere<br />

Solisten, das Hauspersonal und die Technik.<br />

Es gibt kaum ein Orchesterkonzert –<br />

und erst recht keine Opernproduktion –,<br />

bei der die Superstar-Gagen refinanziert<br />

werden können. Die Elbphilharmonie<br />

braucht die Stadt Hamburg, die Salzburger<br />

Festspiele das Land Salzburg, die Berliner<br />

Philharmonie den Bund. Nicht einmal<br />

durch Beteiligung von Radio- oder TV-<br />

Übertragungen oder großzügigen Sponsoren<br />

lassen sich Klassikgalas refinanzieren.<br />

Am Ende sind es alles Steuerzahler,<br />

die diese Art der Kunst und ihren Starkult<br />

mitfinanzieren. Wohl gemerkt: Es geht<br />

nicht darum, dass unsere Künstler weniger<br />

verdienen sollen. Aber vielleicht wäre es<br />

hilfreich, wenn sie sich wenigstens darüber<br />

bewusst wären, woher ihre Gagen eigentlich<br />

kommen. Da wird man ja wohl erwarten<br />

dürfen, dass am Tag vor einem Konzert<br />

Interviews gegeben werden, dass Künstler<br />

sich gegenüber Mitarbeitern von Konzerthäusern<br />

und Veranstaltern weitgehend<br />

normal verhalten, dass sie verstehen, dass<br />

jedes Gewerk in einem Haus ebenfalls viel,<br />

hart und leidenschaftlich arbeitet. Dass<br />

die Welt nicht allein um sie kreist. Ja, dass<br />

einem Großteil der Welt ziemlich egal ist,<br />

was an einem Opernabend passiert.<br />

Trotzdem beharren viele Künstler<br />

auf ihren längst überkommenen Privilegien.<br />

Auch, weil kaum einer den Mut aufbringt,<br />

einfach mal Nein zu sagen. „Nein,<br />

dann suchen wir uns einen anderen Tenor“,<br />

„Nein, dann dirigiert ein Dirigent, der am<br />

Isabel Gehweiler (Violoncello)<br />

Aljaž Cvirn (Gitarre)<br />

Originalkomposition und Bearbeitungen<br />

Die ungewöhnliche Kombination von Violoncello<br />

und Gitarre sorgt für aparte Klänge und schafft<br />

eine zauberhafte Intimität. Das subtil aufeinander<br />

abgestimmten Zusammenspiel von Isabel Gehweiler<br />

(Violoncello) und Aljaž Cvirn (Gitarre) macht Werke<br />

von Vivaldi, Schubert, Granados und Gnattali zu<br />

einem überzeugend neuartigem Hörerlebnis.<br />

www.solo-musica.de<br />

Ende auch mit dem Publikum feiert“, „Nein, dann drehen wir die<br />

Doku lieber mit jemandem, der nicht so satt ist wie Sie, der noch<br />

Leidenschaft hat“. Weder Veranstalter noch Medien und erst recht<br />

nicht das Publikum müssen sich absurde Gagen-Forderungen,<br />

gigantischen Zickenalarm oder Arroganz gefallen lassen. Die Klassikbranche<br />

ist groß genug, um neue Künstler zu entdecken, statt für<br />

immer und ewig auf die satten Altstars zu setzen.<br />

Der Zustand an der Klassikspitze wird umso absurder, je mehr<br />

man in die Niederungen der deutschen Stadttheater blickt. Denn<br />

hier passiert genau das Gegenteil. An vielen Häusern herrscht finanzieller<br />

Notstand. Von der typisch deutschen Idee des Ensembletheaters<br />

ist schon lange nicht mehr viel übrig. Selbst ein Cavaradossi<br />

oder eine Traviata werden heute meist nicht mehr aus dem eigenen<br />

Ensemble besetzt, sondern mit Gästen.<br />

Und auch bei kleineren Rollen greifen manche Häuser inzwischen<br />

lieber auf Billiglöhner zurück als auf eigenes Personal. Sie<br />

engagieren Studenten – entweder aus dem eigenen Opernstudio<br />

oder von der Hochschule – für Dumping-Gagen und verprellen<br />

langjährige Mitarbeiter. Die Nachwuchskünstler werden mit dem<br />

Versprechen gelockt, dass sie durch ein Engagement Aufmerksamkeit<br />

bekommen oder dass genau dieser Auftritt ihr großes „Sprungbrett“<br />

sein könnte. Die Wahrheit ist, dass derartige Verpflichtungen<br />

einfach nur billig sind! Gleichzeitig torpedieren sie das, was das<br />

deutsche Stadttheater einst ausgemacht hat: Häuser, an denen Sänger<br />

langfristig gefördert wurden, an denen Stimmen sich ausprobieren<br />

konnten, an denen gemeinsam mit einem Generalmusikdirektor<br />

am richtigen Repertoire getüftelt wurde.<br />

Die Zustände sind an vielen Häusern prekär. Dabei ist die<br />

monatliche Gage für Sänger an sich schon beschämend gering –<br />

weniger als 1.500 Euro sind keine Seltenheit. Im Besetzungsbüro<br />

vieler Häuser geht es zu wie auf dem Basar:<br />

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SM 285<br />

Sänger, die lange an einem Haus waren,<br />

werden gekündigt, bevor ihr Vertrag unbefristet<br />

weiterlaufen würde. Freischaffende<br />

Sänger werden in einen aggressiven Preiskampf<br />

untereinander verwickelt: „Ah, Sie<br />

wollen 1.000 Euro pro Auftritt inklusive<br />

Proben? Wir haben da eine andere schöne<br />

Stimme, die macht es für 600 Euro.“ Auch<br />

hier würde es ums Nein-Sagen gehen. In<br />

diesem Fall nicht vonseiten der Intendanz,<br />

sondern vonseiten der Sänger. Die aber<br />

scheinen derart unter Druck zu stehen,<br />

dass sie bereit sind, ihre Würde und ihre<br />

Existenz für die Hoffnung auf ein bisschen<br />

Ruhm zu verkaufen. Dabei ist mir kein Fall<br />

bekannt, in dem ein Einspringer in Greifswald<br />

jemals für die Bühnen dieser Welt<br />

entdeckt wurde. Also, bitte, liebe Künstler:<br />

Seid solidarisch und sagt unter diesen<br />

Bedingungen einfach Nein.<br />

Gleichzeitig ist auch an vielen städtischen<br />

Bühnen, gerade in der Intendanz<br />

und Dramaturgie, eine merkwürdige Weltfremdheit<br />

zu beobachten. Oft wird gar<br />

nicht mehr klar, für wen da gespielt wird.<br />

Für die Künstler selber, die das Theater –<br />

und dagegen ist ja gar nichts zu sagen – als<br />

Raum der Freiheit und des Experiments<br />

verstehen? Dann aber wäre es nötig, das<br />

Publikum bei diesem Experiment mitzunehmen,<br />

sich der Debatte zu stellen, die<br />

ganze Stadt zur ästhetischen Werkstatt zu<br />

verwandeln. Dieser Prozess aber ist nur<br />

selten zu beobachten.<br />

Stattdessen setzt sich immer mehr eine Attitüde nach dem<br />

Motto „Wir sind die Künstler, und wenn ihr nicht versteht, was wir<br />

tun, seid ihr zu blöde“ durch. Manche Theater scheinen auch nur<br />

noch zu spielen, um den Kulturpolitikern zu gefallen. Sie schielen<br />

auf Auslastungszahlen, schließen Ränge, verkaufen ein halb volles<br />

Auditorium als „ausverkauft“ und versuchen, jede noch so absurde<br />

Sparmaßnahme umzusetzen. Ich glaube, für einige Intendanten<br />

geht es inzwischen oft nur noch darum, ihre eigene Haut zu retten,<br />

nicht um die künstlerische Qualität ihres Hauses.<br />

Mich erinnert die Klassikszene immer mehr an eine sich selbst<br />

bestätigende Blase, die sich immer weiter von jenen verabschiedet,<br />

die nicht Teil dieser Blase sind. Das Problem aber ist, dass wir genau<br />

auf diese Menschen angewiesen sind, da sie den Klassikbetrieb mitfinanzieren.<br />

Da die Klassik eine gesellschaftliche Größe ist, die von<br />

der gesamten Gesellschaft – auch von jenen, die nicht in Opern und<br />

Konzerte gehen – mitgetragen wird. Und dieser Verantwortung sollten<br />

sich alle bewusst sein und sich darauf besinnen, worum es in<br />

der Musik eigentlich geht: um Kommunikation, einen humanistischen<br />

Grundgedanken, um produktiven und fairen Streit, um Experimente,<br />

Risiko und vor allen Dingen um Leidenschaft. ■<br />

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