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CRESCENDO 5/18 September-Oktober 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Mit großer Würdigung Leonard Bernsteins und Interviews mit Martin Stadtfeld, Iveta Apkalna und Julian Prégardien.

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EIN SPANNENDER SCHMELZTIEGEL<br />

UNTERSCHIEDLICHER KULTUREN!<br />

Tallinn<br />

Tõnu Kaljuste, Chorleiter und Dirigent, wohnt Tür an Tür mit Arvo Pärt<br />

in der Hauptstadt Estlands. Er mag vor allem ihren unabhängigen Geist.<br />

Eine Liebeserklärung an eine bunte Stadt.<br />

VON MARIA GOETH<br />

FOTO: KAUPO KIKKAS / ECM RECORDS<br />

Steigt man in Estlands Hauptstadt Tallinn<br />

aus dem Flugzeug, katapultiert<br />

einen allein schon die Sprache der<br />

Ortsansässigen in eine fesselnde neue<br />

Welt, die den rauen, aber sympathischen,<br />

fremdartigen, aber behaglichen Soundtrack<br />

für die Reise bilden wird: Diese bis ins<br />

Unendliche rollenden „Rrrrrrr“s, diese unfassbaren<br />

Anhäufungen von Vokalen und Umlauten!<br />

Da lockt Werbung etwa zur „maniküür“<br />

oder mit „köögimööbel“ zum Kauf von Küchenmobiliar,<br />

bevor man mit „väljapääs“ den Ausgang<br />

erreicht. Aber es geht noch besser: „Jääär“<br />

steht für einen Gletscherrand, „kuuüür“ für die Monatsmiete.<br />

Schon nach kurzer Zeit – in diesem kleinen baltischen Staat<br />

scheint alles irgendwie kleiner, nahbarer, atmosphärischer – erreicht<br />

man die Innenstadt. Sie wirkt wie eine begehbare Pralinenschachtel!<br />

Verspielte, pastellfarbene Häuschen und mittelalterliche Kaufmannsresidenzen<br />

säumen das Labyrinth aus verwinkelten, kopfsteingepflasterten<br />

Gassen, über denen unzählige gut erhaltene<br />

Türme und Gemäuer aus dem 14. und 15. Jahrhundert thronen.<br />

Doch gleich neben den historischen Prachtvierteln der ehemals<br />

blühenden Hansestadt findet sich hochmoderne europäische<br />

Architekturkunst ebenso wie die ruinenhaften Baurelikte des Sozialismus<br />

– Zeugen der Sowjetbesatzung zwischen 1940 und 1991 –,<br />

die ihren ganz eigenen, morbiden Charme entfalten. Dieser Mix<br />

Fruchtbare Freundschaft:<br />

Dirigent Tõnu Kaljuste mit<br />

dem Komponisten Arvo Pärt<br />

kann symbolisch für vieles in Tallinn und ganz<br />

Estland stehen: Hier mengen sich Einflüsse seiner<br />

dänischen, schwedischen, russischen und<br />

auch deutschen Besatzer – und dennoch, oder<br />

gerade deshalb, spürt man allerorts die unglaublich<br />

starke estnische Identität.<br />

In der Nähe des Raekoja plats, der schon<br />

seit dem 11. Jahrhundert als Markt diente und<br />

von einem 64 Meter hohen, original erhaltenen<br />

gotischen Rathaus überragt wird, treffe ich Tõnu<br />

Kaljuste, den gefeierten Chorleiter und Dirigenten,<br />

der vor allem durch seine großartigen Einspielungen<br />

der Werke von Arvo Pärt internationale<br />

Berühmtheit erlangte. Tatsächlich prägte ihn der wohl berühmteste<br />

estnische Komponist schon während seiner Studienzeit:<br />

„Damals wurde ich stark von zwei Komponisten inspiriert: Veljo<br />

Tormis und Arvo Pärt“, erinnert sich Kaljuste. „Tormis ist in unserer<br />

uralten estnischen Volksmusik verwurzelt, besonders den baltischfinnischen<br />

Runen-Liedern. Er verleiht auf sehr pure Weise dieser<br />

vergessenen, vorchristlich-schamanischen Kultur eine Stimme. Pärt<br />

hingegen schafft unter Verwendung kirchlicher Texte unglaublich<br />

spirituelle Musik. Das sind zwei ganz verschiedene Aspekte der estnischen<br />

Kultur, an denen ich mich orientierte.“<br />

Heute leben Tõnu Kaljuste und Pärt in Tallinn Tür an Tür und<br />

pflegen eine herzliche Freundschaft. Da ist es kein Wunder, dass<br />

Kaljuste am 13. <strong>Oktober</strong> auch die Eröffnung des nigelnagelneuen<br />

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