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K<strong>OM</strong>PAKT<br />

RüCKSPIEGEL<br />

Als die Bremer Schützen<br />

in Oberneuland feierten<br />

Der Festplatz in der „Illustrirten Zeitung“.<br />

beides voneinander. Das besondere Augenmerk<br />

galt der Beschreibung des Festplatzes,<br />

den man einer Abbildung würdig fand. Andernorts<br />

ist er erläutert: Links auf dem Bild vorn<br />

ein Restaurationszelt, dahinter eine kleine Losbude,<br />

gefolgt von einem Erfrischungszelt, das<br />

ein Zigarrenfabrikant aufgebaut hatte. Rechts<br />

zu sehen ist ein Tanzzelt, daneben das Zelt<br />

einer damals beliebten Konditorei mit Café. Im<br />

Mittelpunkt aber dominiert das Hauptzelt, die<br />

große Rotunde, mit Wimpeln und Girlanden<br />

geschmückt. „Von der Höhe des Baldachins<br />

weht, wegen ihrer Größe langsam wogend, die<br />

als riesiger Wimpel gestaltete Bremer Flagge …“<br />

Dort konnten 1.000 Gäste zur „Table d'hôte“<br />

gleichzeitig zu Mittag essen. Die hinter dem<br />

Rundzelt erkennbare Kletterstange war von<br />

oben bis unten mit Seife eingeschmiert. Wer<br />

sie bewältigte, konnte sich oben eine silberne<br />

Uhr, ein Seidentuch oder einen Regenschirm<br />

ergattern. Dort hinten wurden weitere „Volksbelustigungen“<br />

vor allem für die Jugend<br />

geboten: Sacklaufen, Walzenlaufen, Hahnenschlag<br />

oder das Auflecken von in einer Schicht<br />

Sirup verborgenen Münze.<br />

Der Begriff „Volksfest“ war jedoch durchaus<br />

irreführend. Denn das Volk hatte mitnichten<br />

die Möglichkeit, an dem Ereignis teilzunehmen.<br />

Das erkennt man schon an den Menschen<br />

beim Betrachten des Bildes. Frauen und Kinder<br />

durften nur in männlicher Begleitung dabei<br />

sein. Kutscher und Bedienstete in Livree hatten<br />

die Speise- und Tanzzelte nur zur Bedienung<br />

ihrer Herrschaft zu betreten. 48 Grote pro Tag<br />

als Eintrittsgeld waren wohl auch nicht gerade<br />

billig, und wer nur 24 Grote bezahlen konnte,<br />

erhielt ein gelbes Band. Dem war der Zutritt zu<br />

den Speise- und Tanzzelten verwehrt. Für diese<br />

Leute war eine Scheune nebenan zum Tanzen<br />

hergerichtet.<br />

Der Oberneulander Historiker Dr. Hans<br />

Hermann Meyer schrieb dazu im Jahrbuch der<br />

Wittheit zu Bremen 1999/2000: „Diese das<br />

gemeine Volk diskriminierenden Eintrittsbedingungen,<br />

die von Minderbemittelten nicht leicht<br />

zu überwindende große Entfernung des Festplatzes<br />

von der Stadt und die hohen Preise für<br />

Erfrischungen trugen dem Fest den Vorwurf<br />

ein, daß es nicht, wie vom Schützenverein<br />

behauptet, ein Volksfest sei. Es ist denn auch<br />

nur einmal, 1847, in der gleichen Form und<br />

am selben Ort wiederholt worden.“<br />

Verglichen mit heutigen Schützenfesten muss<br />

das, was sich 1846 in Oberneuland abspielte,<br />

geradezu gigantische Ausmaße gehabt haben.<br />

Der Bremer Schützenverein war damals gerade<br />

drei Jahre alt, da feierte er drei Tage lang sein<br />

erstes Schützenfest auf dem Hohen Kamp<br />

hinter dem Ausflugslokal Jürgens Holz.<br />

Das Flurstück heißt auch Schwarzen Kamps<br />

Höhe und liegt in der Verlängerung der Straße<br />

Jürgens Holz. Heute befindet sich dort das<br />

Gehöft von Jürgen Bartels.<br />

„Das bremer Schützen- und Volksfest“ war<br />

es wert, in der in Leipzig herausgegebenen<br />

„Illustrirte Zeitung“ ausführlich beschrieben zu<br />

werden. In heroischen Worten hieß es da, es<br />

sei ein erfreulicher Beweis „daß auch das<br />

deutsche Volk der Hansestädte bei allem<br />

ernsten und festen Sinn, welchen ihnen die<br />

Geschichte von jeher beilegte, bei der so<br />

ausgebreitet und großartig wirkenden Thatkraft,<br />

die es in neuerer Zeit wieder beseelt zu unseres<br />

deutschen Volkes Heil und Segen auch den Sinn<br />

für einen gemeinsamen edlen Lebensgenuß in<br />

sich bewahrte, welchen es dieses Mal bei der<br />

vortrefflich geleiteten Anordnung seines ersten<br />

allgemeinen Volksfestes an den Tag legte.“<br />

Es folgt eine blumige Beschreibung des etwa<br />

zwei Stunden von Bremen entfernten Dorfes<br />

Oberneuland und des Festplatzes. Auf stolzen<br />

zwei Hektar Land waren der Festplatz und die<br />

Schießstände aufgebaut. Ein Graben trennte<br />

Die „Illustrirte Zeitung“ war ein bedeutendes<br />

Presseorgan jener Zeit. Sie erschien zum<br />

ersten Mal 1843. Bis dahin kamen Zeitungen<br />

und Zeitschriften lediglich mit Textbeiträgen<br />

zurecht. Nunmehr aber waren die Beiträge<br />

bebildert – mit Holzstichen, die in einem<br />

eigenen xylografischen Atelier angefertigt<br />

wurden. Dadurch wurde das Blatt landesweit<br />

populär. Mehr als 100 Jahre lang wurde es in<br />

ganz Deutschland gelesen. Erst im September<br />

1944 erschien die letzte Ausgabe.<br />

Eigene Bildkorrespondenten waren für die<br />

„Illustrirte Zeitung“ unterwegs, und so wurde<br />

Oberneuland kurzzeitig landesweit bekannt.<br />

Sogar je eine Bäuerin aus Oberneuland und<br />

eine aus Lilienthal – beide offenbar in Festtracht<br />

– waren es wert abgebildet zu werden. EM<br />

12 OBERNEULAND

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