OM_07_08_2020_ePaper
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K<strong>OM</strong>PAKT<br />
RüCKSPIEGEL<br />
Als die Bremer Schützen<br />
in Oberneuland feierten<br />
Der Festplatz in der „Illustrirten Zeitung“.<br />
beides voneinander. Das besondere Augenmerk<br />
galt der Beschreibung des Festplatzes,<br />
den man einer Abbildung würdig fand. Andernorts<br />
ist er erläutert: Links auf dem Bild vorn<br />
ein Restaurationszelt, dahinter eine kleine Losbude,<br />
gefolgt von einem Erfrischungszelt, das<br />
ein Zigarrenfabrikant aufgebaut hatte. Rechts<br />
zu sehen ist ein Tanzzelt, daneben das Zelt<br />
einer damals beliebten Konditorei mit Café. Im<br />
Mittelpunkt aber dominiert das Hauptzelt, die<br />
große Rotunde, mit Wimpeln und Girlanden<br />
geschmückt. „Von der Höhe des Baldachins<br />
weht, wegen ihrer Größe langsam wogend, die<br />
als riesiger Wimpel gestaltete Bremer Flagge …“<br />
Dort konnten 1.000 Gäste zur „Table d'hôte“<br />
gleichzeitig zu Mittag essen. Die hinter dem<br />
Rundzelt erkennbare Kletterstange war von<br />
oben bis unten mit Seife eingeschmiert. Wer<br />
sie bewältigte, konnte sich oben eine silberne<br />
Uhr, ein Seidentuch oder einen Regenschirm<br />
ergattern. Dort hinten wurden weitere „Volksbelustigungen“<br />
vor allem für die Jugend<br />
geboten: Sacklaufen, Walzenlaufen, Hahnenschlag<br />
oder das Auflecken von in einer Schicht<br />
Sirup verborgenen Münze.<br />
Der Begriff „Volksfest“ war jedoch durchaus<br />
irreführend. Denn das Volk hatte mitnichten<br />
die Möglichkeit, an dem Ereignis teilzunehmen.<br />
Das erkennt man schon an den Menschen<br />
beim Betrachten des Bildes. Frauen und Kinder<br />
durften nur in männlicher Begleitung dabei<br />
sein. Kutscher und Bedienstete in Livree hatten<br />
die Speise- und Tanzzelte nur zur Bedienung<br />
ihrer Herrschaft zu betreten. 48 Grote pro Tag<br />
als Eintrittsgeld waren wohl auch nicht gerade<br />
billig, und wer nur 24 Grote bezahlen konnte,<br />
erhielt ein gelbes Band. Dem war der Zutritt zu<br />
den Speise- und Tanzzelten verwehrt. Für diese<br />
Leute war eine Scheune nebenan zum Tanzen<br />
hergerichtet.<br />
Der Oberneulander Historiker Dr. Hans<br />
Hermann Meyer schrieb dazu im Jahrbuch der<br />
Wittheit zu Bremen 1999/2000: „Diese das<br />
gemeine Volk diskriminierenden Eintrittsbedingungen,<br />
die von Minderbemittelten nicht leicht<br />
zu überwindende große Entfernung des Festplatzes<br />
von der Stadt und die hohen Preise für<br />
Erfrischungen trugen dem Fest den Vorwurf<br />
ein, daß es nicht, wie vom Schützenverein<br />
behauptet, ein Volksfest sei. Es ist denn auch<br />
nur einmal, 1847, in der gleichen Form und<br />
am selben Ort wiederholt worden.“<br />
Verglichen mit heutigen Schützenfesten muss<br />
das, was sich 1846 in Oberneuland abspielte,<br />
geradezu gigantische Ausmaße gehabt haben.<br />
Der Bremer Schützenverein war damals gerade<br />
drei Jahre alt, da feierte er drei Tage lang sein<br />
erstes Schützenfest auf dem Hohen Kamp<br />
hinter dem Ausflugslokal Jürgens Holz.<br />
Das Flurstück heißt auch Schwarzen Kamps<br />
Höhe und liegt in der Verlängerung der Straße<br />
Jürgens Holz. Heute befindet sich dort das<br />
Gehöft von Jürgen Bartels.<br />
„Das bremer Schützen- und Volksfest“ war<br />
es wert, in der in Leipzig herausgegebenen<br />
„Illustrirte Zeitung“ ausführlich beschrieben zu<br />
werden. In heroischen Worten hieß es da, es<br />
sei ein erfreulicher Beweis „daß auch das<br />
deutsche Volk der Hansestädte bei allem<br />
ernsten und festen Sinn, welchen ihnen die<br />
Geschichte von jeher beilegte, bei der so<br />
ausgebreitet und großartig wirkenden Thatkraft,<br />
die es in neuerer Zeit wieder beseelt zu unseres<br />
deutschen Volkes Heil und Segen auch den Sinn<br />
für einen gemeinsamen edlen Lebensgenuß in<br />
sich bewahrte, welchen es dieses Mal bei der<br />
vortrefflich geleiteten Anordnung seines ersten<br />
allgemeinen Volksfestes an den Tag legte.“<br />
Es folgt eine blumige Beschreibung des etwa<br />
zwei Stunden von Bremen entfernten Dorfes<br />
Oberneuland und des Festplatzes. Auf stolzen<br />
zwei Hektar Land waren der Festplatz und die<br />
Schießstände aufgebaut. Ein Graben trennte<br />
Die „Illustrirte Zeitung“ war ein bedeutendes<br />
Presseorgan jener Zeit. Sie erschien zum<br />
ersten Mal 1843. Bis dahin kamen Zeitungen<br />
und Zeitschriften lediglich mit Textbeiträgen<br />
zurecht. Nunmehr aber waren die Beiträge<br />
bebildert – mit Holzstichen, die in einem<br />
eigenen xylografischen Atelier angefertigt<br />
wurden. Dadurch wurde das Blatt landesweit<br />
populär. Mehr als 100 Jahre lang wurde es in<br />
ganz Deutschland gelesen. Erst im September<br />
1944 erschien die letzte Ausgabe.<br />
Eigene Bildkorrespondenten waren für die<br />
„Illustrirte Zeitung“ unterwegs, und so wurde<br />
Oberneuland kurzzeitig landesweit bekannt.<br />
Sogar je eine Bäuerin aus Oberneuland und<br />
eine aus Lilienthal – beide offenbar in Festtracht<br />
– waren es wert abgebildet zu werden. EM<br />
12 OBERNEULAND