urbanLab Magazin IMPULSE 08/2020 - Heimatwerker*innen
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KONZEPTIONELLE PHASE<br />
In diesem Zusammenhang wird immer wieder auf die<br />
Bedeutung von Orten der Begegnung hingewiesen.<br />
Jenseits notwendiger zielgruppenbezogener gemeinschaftlicher<br />
Treffs werden vor allem inklusive Angebote<br />
für die gruppenübergreifende Kommunikation<br />
zwischen den unterschiedlichen Geflüchteten selbst<br />
als auch mit den unterschiedlichen Teilen der Aufnahmegesellschaft<br />
als sinnvoll erachtet (z.B. interkulturelle<br />
Begegnungszentren oder -cafés). Durch die Sichtbarkeit<br />
der Geflüchteten sowie die Begegnung und<br />
Interaktion mit ihnen, können – ganz im Sinne der empirisch<br />
inzwischen in beeindruckender Weise belegten<br />
Kontakthypothese – auch Offenheit, Verständnis und<br />
Respekt gegenüber Vielfalt wachsen (vgl. Asbrock et al.<br />
2012, 204 ff.).<br />
Zwar ist die in vielen Gemeinden entstandene<br />
Willkommenskultur zu begrüßen. Noch fehlt es<br />
aber an der schrittweisen Etablierung einer „Anerkennungskultur“<br />
im Sinne eines Rechts auf<br />
Teilhabe.<br />
Dies wäre der nächste notwendige aber noch ausstehende<br />
Qualitätssprung (vgl. Schader-Stiftung 2014, S.<br />
100f.; vgl. Hamann u.a. 2017, S. 114). Wie in den Fallstudien<br />
mehrfach deutlich wurde, stellen sich die Herausforderung<br />
der Integration in den Gemeinden nicht nur<br />
in Bezug auf die Geflüchteten selbst sondern in „doppelter“<br />
oder gar „dreifacher“ Richtung (vgl. auch Kühn<br />
2018, S. 16). Dies gilt zum einen für die von Prekarisierung<br />
bereits betroffenen Teile der einheimischen Aufnahmegesellschaft<br />
bzw. jene, die sich auf Grund der<br />
vermeintlichen oder auch objektiven Konkurrenz um<br />
Ressourcen von Desintegration bedroht und durch die<br />
Politik vernachlässigt sehen. Zum anderen gilt für dies<br />
für die schon früher angekommenen Zugewanderten,<br />
die sich nun möglicherweise in ihrem eigenen Status<br />
gefährdet sehen und deshalb mit Zurückweisung und<br />
„Platzanweisergehabe“ auf Geflüchtete reagieren.<br />
Schlussbemerkung<br />
Weltweit waren Ende 2018 über 70 Millionen Menschen<br />
auf der Flucht – mehr als je zuvor seit Beginn<br />
der globalen statistischen Erfassung im Jahre 1951<br />
(Hanewinkel 2019). Doch nur ein Bruchteil von ihnen<br />
findet bislang den Weg nach Europa. Immerhin 15 der<br />
56 von den Studierenden untersuchten Gemeinden<br />
gehören zu jenen 101 meist größeren Städten in dem<br />
bundesweiten Bündnis der Seebrücke, das sich für einen<br />
„sicheren Hafen für Geflüchtete“ einsetzt<br />
(www.seebruecke.org).<br />
Jenseits der Fluchtmigration belegen die vhw-Migrantenmilieu-Surveys<br />
zu den Einstellungen und Lebenswelten<br />
Zugewanderter und ihrer Nachfahren nachdrücklich,<br />
dass die jeweiligen Lebenswelten (soziale<br />
Lage, Familienstatus, Bildungsnähe etc.) letztlich andere<br />
Faktoren wie ethnische Herkunft oder die religiöse<br />
Zugehörigkeit überlagern. Insbesondere verweisen<br />
sie darauf, dass sich die empirisch vorgefundenen<br />
Migranten-Milieus ähnlich strukturieren wie jene der<br />
Aufnahmegesellschaft nämlich entlang der sozialen<br />
Lage und dem Grad der Modernität der Lebensstilorientierung.<br />
Sie zeigen also die im Rahmen des generellen<br />
sozialen Wandels fortschreitende typische Tendenz<br />
der Individualisierung und Pluralisierung (vhw<br />
2018, S. 52). Polarisierende und vereinfachende Positionierungen<br />
im Sinne eines „Wir“ und „Ihr“ entsprechen<br />
damit weder den Realitäten der aufnehmenden<br />
Gesellschaft noch der Vielfalt der Zugewanderten.<br />
Prof. Dr. rer. pol. Reiner Staubach<br />
Stadtplaner AKNW, Lehrgebiet Planungsbezogene Soziologie,<br />
Planungstheorie und -methodik, Mitglied <strong>urbanLab</strong><br />
studierte Raumplanung und Pädagogik an der Universität Dortmund und lehrt seit<br />
1997 an der Hochschule OWL, sowie seit 2007 zusätzlich im Master Städtebau NRW.<br />
Er engagiert sich seit 1982 als Gründungs- und Vorstandsmitglied des Planerladen e.V.<br />
in der Dortmunder Nordstadt.