urbanLab Magazin IMPULSE 08/2020 - Heimatwerker*innen
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Prof. Dipl.-Ing. Oliver Hall<br />
8<br />
EINLEITUNG UND HINTERGRUND<br />
"Schrumpfen war gestern, Zuwanderung ist Heute!"<br />
Suche nach Lösungen im Ländlichen Raum – aus einem Vortrag<br />
am 18.01.2016 Regionaler Salon<br />
Die Menschen, die in Deutschland Schutz suchen,<br />
müssen sich, da mit einer kurzfristigen Rückkehr in<br />
ihre Heimat nicht zu rechnen ist, auf einen längeren<br />
Aufenthalt einrichten. Mit der bloßen Schaffung<br />
von Schlafplätzen oder Turnhallenunterbringung ist<br />
es daher nicht getan. Ziel sollte es sein, die zu uns<br />
Geflüchteten dauerhaft angemessen unterzubringen<br />
und für sie eine „Ersatzheimat“ zu schaffen. Architekten<br />
und Planer sollten sich daher verstärkt damit beschäftigen,<br />
wie sie diese schaffen können, insbesondere<br />
müssen sie sich die Frage stellen, ob dazu eher<br />
die Großstadt oder der ländliche Raum geeignet ist.<br />
Aktuell werden Flüchtlinge sowohl in Großstädten als<br />
auch im ländlichen Raum untergebracht. Die daraus<br />
entstehenden Problemen werden exemplarisch an<br />
den Beispielen Berlin und Rettenbach vorgestellt:<br />
Beispiel Großstadt und ländlicher Raum<br />
Im ehem. Berliner Flughangar Tempelhof sind bis zu<br />
5000 Menschen untergebracht. Dies bedeutet eine<br />
städtebaulich segregierte, architektonisch unwürdige<br />
und sozial diskriminierende Verwahrung von Flüchtlingen<br />
und Migranten in einer lagerartigen Unterkunft<br />
in der „Großstadt“. Hier treffen in hoher Dichte verschiedene<br />
Kulturen aufeinander, mit entsprechendem<br />
Stress und Aggressionen. Vorteilhaft ist allenfalls die<br />
gute Erreichbarkeit der Anlage mit öffentlichen Verkehrsmitteln,<br />
die Nähe zu Grün- und Spielflächen auf<br />
dem Tempelhofer Feld und das kreative Bürgerschaftliche<br />
Engagement in großer Zahl, das den Flüchtlingen<br />
zu Gute kommt. In dem Haus BAGIN „Beherbergung<br />
ausländischer Gäste in Not“ in Rettenbach leben 37 geflüchtete<br />
Menschen unter einem Dach zusammen. Die<br />
Ortschaft ist abgeschieden von ärztlicher Versorgung,<br />
von Einkaufsmöglichkeiten, von Kontakten zu Personen<br />
gleicher ethnischer Herkunft. Langeweile stellt<br />
sich ein im sog. „lost in paradise“. Die Betroffenen sagen<br />
„This place is good for holidays, but we are not on<br />
holidays!“ Was hier gut funktioniert, ist die Nachbarschaftshilfe<br />
in Form von Fahrservice, Sprachhilfen, Patenschaften<br />
und Begleitung bei Behördengängen. Im<br />
BAGIN ist eine Selbsthilfe Radwerkstatt entstanden.<br />
Wohnungsnot/hohen Mieten, ländliche Räume<br />
beklagen hohe Leerstandsquoten, vor allem in Ortskernen<br />
mit historischer Altstadtbebauung. Allein in<br />
NRW geht man von 300.000 leerstehenden Wohnungen<br />
aus, in ganz Deutschland sollen es 1,7 Mio. sein.<br />
Das bedeutet während Großstädte mit einer adäquaten<br />
Wohnraumversorgung zu kämpfen haben, besteht<br />
im ländlichen Raum die Chance, durch die Leerstände<br />
heimatbietenden Wohnraum bereitstellen zu können.<br />
(empirica 2015) Konzepte für die Zuwanderung auf<br />
dem Land müssen daher als Investition in die Zukunft<br />
betrachtet werden, die sich amortisiert. Flüchtlinge<br />
dürfen dabei nicht als „Lückenfüller“ für schrumpfende<br />
Gebiete benutzt werden, aber dort, wo noch funktionierende<br />
Strukturen bestehen, wird Zuwanderung<br />
zur „Rettung“ des Arbeitsmarktes, der Sozialsysteme<br />
und des durch Leerstände verfallenden Stadtbildes.<br />
Wer hätte das gedacht: Die derzeitige Zuwanderungswelle<br />
bietet eine Chance, ja sogar Riesenchance, die<br />
Schrumpfung der Kleinstädte zu stoppen und durch<br />
Leerstandsnutzung zu kompensieren. Die Vorteile einer<br />
kleinen Gemeinde überwiegen: Überschaubarkeit,<br />
bürgerschaftliches Engagement, Nachbarschaftshilfe.<br />
Das was vor Ort nicht geboten werden kann, kann<br />
über Mobilitätsangebote erreichbar gemacht werden.<br />
Letztlich wird die „Erreichbarkeit“ von Orten auf dem<br />
Land über den Erfolg von Integration entscheiden. Zur<br />
Lösungssuche im ländlichen Raum ist die Technische<br />
Hochschule OWL und das <strong>urbanLab</strong> daher an dem Projekt<br />
HEIMATWERKER.de in Nieheim beteiligt, in dem<br />
Flüchtlinge und Studierende gemeinsam ein historisches<br />
Ackerbürgerhaus sanieren, getreu dem Motto<br />
„Make Home not War!“.<br />
Chancen<br />
Zum Wohlfühlen oder gar als Heimat ist beides<br />
nicht geeignet, erst recht nicht bei einem längerfristigen<br />
Aufenthalt. Die auf dem Land Untergebrachten<br />
möchten so schnell wie möglich weg,<br />
die in der Großstadt hoffen auf Arbeit und bessere<br />
Wohnverhältnisse. Großstädte leiden unter<br />
Prof. Dipl.-Ing. Oliver Hall<br />
TH OWL - Lehrgebiet Stadtplanung & Städtebauliches Entwerfen<br />
Gesellschafter ASTOC Architects and Planners, Köln<br />
Mit der Gründung von ASTOC 1990 und der Professur für „Stadtplanung<br />
und Städtebauliches Entwerfen“ an der HS OWL seit 2003, ist die Arbeitsweise von<br />
Oliver Hall geprägt durch das Zusammenwirken von Berufspraxis, Forschung und Lehre.<br />
Er ist zudem Sprecher des Forschungsschwerpunktes „<strong>urbanLab</strong>“ und beschäftigt<br />
sich dort insbesondere mit der Klein- und Mittelstadtforschung im ländlichen Raum.