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urbanLab Magazin IMPULSE 08/2020 - Heimatwerker*innen

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In einer urbanisierten Welt werden die Weichen<br />

136<br />

für die Zukunft in den Städten gestellt. Gesellschaftliche<br />

Veränderungen gerade in der „freien“<br />

Welt nehmen hier ihren Start. So auch in Deutschland.<br />

Vor diesem Hintergrund stehen viele deutsche<br />

Städte vor enormen gesellschaftlichen und<br />

städtebaulichen Herausforderungen, die Hand in<br />

Hand gehen. Nicht selten werden diese missinterpretiert,<br />

denn schuld an benachteiligten Stadtteilen<br />

sind nicht die Geflüchteten von 2015/16 oder<br />

andere Zuwanderer, sondern über 50 Jahre versäumte<br />

Investitionen in das soziale Kapital der<br />

Städte. Die neoliberale Hinwendung vieler Städte<br />

zur Akkumulation globalen Finanzkapitals beinhaltete<br />

automatisch die Abwendung von Investitionen<br />

in urbanes Sozialkapital (Harvey, 2007).<br />

ZUSAMMENFASSUNG<br />

Dort wo der Strukturwandel am heftigsten traf,<br />

hat die Ummünzung von Arbeitern in Kleinkapitalisten<br />

durch die freien Marktmechanismen versagt.<br />

Mangels sozialem Invest konnte hier auch<br />

kein finanzielles Kapital produziert werden.<br />

Keynesiansche Sonderprogramme wie etwa die<br />

„Soziale Stadt“ oder „Investitionspakt soziale<br />

Integration im Quartier“ versuchen hier zu unterstützen,<br />

sind aber oft räumlich und zeitlich<br />

zu begrenzt, um tatsächliche strukturelle Änderungen<br />

zu bewirken. So stellt sich die Frage,<br />

ob und wie man mit begrenzten Mitteln und oft<br />

durch informelle Planung und zivilem Engagement<br />

lokale Potentiale im Stadtteil durch die<br />

Aktivierung und Emanzipierung von Migranten<br />

und Flüchtlingen wecken kann, um gesellschaftliche<br />

Strukturen „von unten“ aufzubrechen.<br />

In der Praxis<br />

Die Basis der Feldarbeit bildet ein Mailing an alle<br />

deutschen Städte über 30.000 Einwohner mit<br />

der freundlichen Bitte, an einer Online-Umfrage<br />

teilzunehmen, sofern sie ein Projekt haben, dass<br />

Stadtentwicklung mit der Integration von Migranten/Flüchtlingen<br />

verbindet. Von knapp 400 Mailings<br />

wurden etwa 40% mit 1<strong>08</strong> negativen, aber<br />

auch 35 positiven Rückmeldungen beantwortet,<br />

zu welchen auch der Online-Fragebogen ausgefüllt<br />

wurde. Dreizehn der Projekte habe ich<br />

im Frühjahr 2019 besucht und mit persönlichen<br />

Experteninterviews vertiefend untersucht. Die<br />

Ergebnisse haben wiederum neue Perspektiven<br />

geliefert, welche weiteres Literaturstudium erfordern.<br />

Insofern ist alles weitere noch spekulativ.<br />

Hier dennoch ein kurzer Zwischenstand:<br />

Die meisten Absagen lieferten keine weiteren inhaltlichen<br />

Erkenntnisse, obwohl sich viele an der<br />

Thematik interessiert zeigten. Allerdings ließen<br />

auch einige der Rückmeldungen auf ein Unverständnis<br />

zum Zusammenhang von Migration und<br />

Planung schließen. Weiterhin stand für viele Städte<br />

die funktionale Not der Unterbringung und<br />

Erstversorgung im Vordergrund. Manche Städte<br />

hakten damit dann auch das Thema planerisch<br />

ab: Es wäre dann „schnell in den Bereich Soziales<br />

übergegangen.“ Oder es wurde daraus „die übliche<br />

Integrationsarbeit…“.<br />

Man kann ableiten, dass viele Städte keine Ressourcen<br />

für eine genauere Betrachtung haben<br />

oder sich der Zusammenhang zwischen Planung<br />

und Immigranten bestenfalls fragmentarisch erschließt.<br />

Das hat neben Ressourcenmangel aber auch mit<br />

Strukturen zu tun, in der Verwaltung und im Kopf.<br />

Verwaltungen arbeiten preußisch funktional und<br />

linear. Querdenken, Engagement und Verantwortung<br />

über die eigene Zuständigkeit hinaus zu<br />

übernehmen zählen selten zu den Einstellungsvoraussetzungen.<br />

Doch „bösartige Probleme“ (Rittel<br />

& Webber, 1973) lassen sich nicht konventionell<br />

lösen. Sie nehmen wenig Rücksicht auf lineare<br />

Verwaltungsstrukturen und bedürfen stattdessen<br />

einer übergreifenden Herangehensweise, die in<br />

öffentlichen Strukturen neu und selten ist. Noch<br />

seltener ist es, dass aus den Ansätzen auch tatsächlich<br />

Projekte entstehen. Aber es gibt sie.<br />

Die rückgemeldeten Projekte weisen eine große<br />

Bandbreite auf. Manche fallen in den Bereich<br />

Planung, andere in den Bereich Soziales, aber die<br />

meisten entspringen tatsächlich ressortübergreifenden<br />

Ansätzen. Es ist alles vertreten, von großstädtischen<br />

integrierten Stadtentwicklungskonzepten<br />

über Quartiersprojekte privater Stiftungen<br />

bis hin zum gemeinschaftlichen Umbau eines<br />

Ackerbürgerhauses mit und für die Nutzung von<br />

Flüchtlingen (siehe hierzu auch Beitrag Prof. Oliver<br />

Hall). Diese Vielfalt erschwert zwar die Auswertung,<br />

ist aber bereits ein Ergebnis:<br />

Die Arbeit mit Migranten passt in keine Schublade.<br />

Sie findet überall statt, im Großen wie im<br />

Kleinen, im Öffentlichen wie im Privaten.<br />

Die Rückmeldungen lassen bestimmte Schlüsselfaktoren<br />

erkennen, die ich hier nur als vorläufige<br />

Stichpunkte aufführen kann. Diese und andere Aspekte<br />

aus meiner Feldarbeit werde ich in meiner<br />

Dissertation natürlich vertieft diskutieren.<br />

Die Untersuchung bestätigt einen klaren Zusammenhang<br />

zwischen ethnischer Vielfalt und schlechterem<br />

städtischem Umfeld:<br />

Je mehr Zuwanderer, auch inzwischen „einheimi-

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