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urbanLab Magazin IMPULSE 08/2020 - Heimatwerker*innen

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sche“ Zuwanderer, desto schlechter sind die urbanen<br />

Lebensbedingungen.<br />

Aber zugezogene Migranten sind, wie oben bereits<br />

dargestellt, nicht die Ursache benachteiligter<br />

Stadtteile, sondern ihre Opfer, die mangels<br />

finanzieller Freiheiten sich nichts anderes leisten<br />

können. Diese Ankunftsstadteile wird es immer<br />

geben aber sie dürfen nicht in einen strukturellen<br />

Benachteiligungsstrudel geraten. Sie sollten eine<br />

Schleusenfunktion zur gleichberechtigten Aufnahme<br />

in die Gesellschaft bieten. Dies bedarf neben<br />

einer durchmischten Bevölkerung einer angemessenen<br />

Investition in soziales Kapital, Bildung und<br />

Existenzgründung, ohne dadurch Gentrifizierung<br />

auszulösen. Die notwendigen Netzwerke ethnischer<br />

Gruppen sind keine feindliche Mobilisierung,<br />

sondern als Orientierungshilfe Schlüssel<br />

der Vergesellschaftung. Vielfalt schwächt nicht die<br />

urbane Gesellschaft, sondern stärkt sie und gibt<br />

Impulse, sich in einer verändernden Welt besser<br />

zu behaupten.<br />

Vertrauen ist die grundlegende Herausforderung<br />

für die Aktivierung sozialen Kapitals, sowohl bei<br />

Zugezogenen als auch bei Einheimischen.<br />

Viele, die vor langer Zeit zugezogen sind, fühlen<br />

sich nicht angesprochen, wenn es um Stadtteilentwicklung<br />

geht. Man erreicht vielleicht wenige<br />

Sprecher, aber nicht die Menschen dahinter – ein<br />

deutliches Zeichen von Segregation. Jahrzehnte<br />

benachteiligt und sich selbst überlassen, fehlt<br />

die Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft<br />

und die Bereitschaft für Engagement. Neuzugereiste<br />

haben schlicht dringlichere Prioritäten wie<br />

Asylverfahren, Sprachkurse, Arbeitssuche, Familienlogistik,<br />

etc., um sich gedanklich auf langfristige<br />

Planungsprojekte einzustellen. Das Vertrauen<br />

in staatliche Machtstrukturen ist meist gering,<br />

schließlich waren diese oft genug Fluchtursache.<br />

Verwaltungen brauchen mehr „Bodenhaftung“ im<br />

Quartier, um Bedarfe zu erkennen. Quartiersmanager,<br />

Botschafter und andere lokale Mittler zwischen<br />

Bedarfen und Möglichkeiten sind hierfür<br />

gut geeignet.<br />

Integration suggeriert Assimilation, aber das Gegenteil<br />

erscheint nötig: Emanzipation.<br />

Zugezogene sind im Schnitt motivierter als Einheimische<br />

und wollen mit den ihnen gegebenen<br />

Möglichkeiten etwas erreichen. Die aktuelle Debatte<br />

betrachtet Integration als Mittel zur möglichst<br />

schnellen Verdeutschung internationaler Vielfalt.<br />

Nicht ausreichend im Fokus stehen die Anerkennung<br />

und Emanzipation von Immigranten und Geflüchteten<br />

als integrale Bestandteile der städtischen Gesellschaft.<br />

Ebenso bedarf es nicht nur einer kulturellen<br />

Öffnung der Behörden, sondern der deutschen<br />

Gesellschaft hin zur Vielfalt. Der Schwerpunkt einer<br />

gesellschaftlichen Identität kann sich bei einer Bevölkerung<br />

mit 25% Migrationshintergrund und 40%<br />

bei Kindern unmöglich um „Verdeutschung“ drehen.<br />

Es ist Zeit, sich zusammenzusetzen und eine gemeinsame<br />

Identitätsdebatte zu beginnen, die zu<br />

einer Innovation des gesellschaftlichen Selbstverständnisses<br />

führt.<br />

Hier sind nicht nur staatliche Institutionen gefragt,<br />

sondern die Köpfe und Herzen aller Deutschen.<br />

Das ist weder einfach noch schnell zu erreichen.<br />

Die Kunst ist es, auf eine neue Situation nicht<br />

mit Rückzug, Feindseligkeit oder Arroganz zu reagieren,<br />

sondern mit Interesse und Forschergeist<br />

(El-Mafaalani, 2018: 91).<br />

Die Zeit präskriptiver Planung ist vorbei.<br />

Der Technokrat, der aus seinem administrativen<br />

Elfenbeinturm heraus weiß, was gut und richtig für<br />

den Stadtteil ist, ist ein Auslaufmodell. Öffentliche<br />

Bekanntmachungen haben nichts mit Partizipation<br />

zu tun (siehe hierzu Arnsteins Leiter der Partizipation,<br />

1969). Städtebauliche Wettbewerbe sind ein<br />

Ansatz, aber das Plenum meist elitär besetzt, ohne<br />

ausreichende Stimme aus dem Stadtteil. Governance<br />

und deliberative Demokratie, ob durch kommunale<br />

oder private Stiftungen Institutionen initiiert<br />

zeigen experimentelle Ansätze, die es auszubauen<br />

gilt. Versagt der Neoliberalismus aufgrund seiner<br />

Struktur und finanzkapitalistischen Ausrichtung in<br />

der Planung (siehe Gunder, 2010), oder schafft er<br />

dadurch auch einen Freiraum, der es ermöglicht<br />

kooperative Planungsarbeit „von unten“ zu bilden,<br />

mit welcher das soziale Kapital der Stadt informell<br />

zurückerobert werden kann (siehe Lefebvre, 2013;<br />

Harvey, 2013; Sandercock, 1998; 2003)?<br />

In diesem Zusammenhang gilt es die Crux der Bürokratie<br />

zu lösen. Die Herausforderungen einer<br />

zunehmend vielfältigen Gesellschaft sind komplex<br />

und können nicht in funktionalen Fachbereichen<br />

abgearbeitet werden, die optimale Lösungen produzieren.<br />

Um das Vertrauen in die Verwaltung nicht<br />

zu verlieren, muss sich die Verwaltung öffnen. Der<br />

Schlüssel zur Bewältigung liegt nicht nur in ressortübergreifendem<br />

Denken und Handeln, sondern<br />

auch in der Fusion öffentlicher und privater Initiativen.<br />

Städtische Gesellschaften, unabhängige<br />

Stabstellen in der Verwaltung und öffentlich-private<br />

Partnerschaften ermöglichen übergreifendes<br />

Denken und schnelleres Handeln. Hierfür sollten<br />

neue Lösungsansätze gefunden werden, welche<br />

die Vorteile beider Strukturen nutzen.<br />

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