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urbanLab Magazin IMPULSE 08/2020 - Heimatwerker*innen

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Thorsten Dettmer<br />

134<br />

ZUSAMMENFASSUNG<br />

Mehr Innovation, weniger Integration<br />

Das urbane Potential globaler Migration<br />

Abstract<br />

Mit globaler Migration kommen internationale Erfahrung<br />

und Impulse in urbane Räume, die es zu aktivieren<br />

gilt und nicht zu unterdrücken. Planung spielt<br />

hierfür die Schlüsselrolle. Durch verantwortungsvolle<br />

Investitionen in dieses soziale Kapital könnten sich<br />

Städte und in Folge die Gesellschaft von innen heraus<br />

besser anpassen an eine sich verändernde Welt. Im<br />

Zuge urbaner Internationalität ist auch das deutsche<br />

Selbstverständnis reformbedürftig. Es stellt sich weniger<br />

die Frage nach der richtigen Integration von<br />

Zuwanderern, sondern nach einer gesellschaftlichen<br />

Innovation mit Zuwanderern.<br />

In der Theorie<br />

Wie Dreijährige im Sandkasten ihre Spielzeuge verteidigen<br />

die reichen Länder ihren Wohlstand, Sicherheit<br />

und Grundrechte gegenüber den ärmeren. Internationale<br />

Verflechtungen reicher Industrienationen haben<br />

globale Auswirkungen auf schwächere Nationen<br />

(Harvey, 2007; 2013; Sassen, 2001; 2006; Brenner,<br />

2011; Purcell, 2003; 2009).<br />

Anstelle eines wahrlich globalen Systems, welches<br />

die Schwächeren stärken würde, wächst die Ungleichheit<br />

im globalen Kapitalismus. Weder im Sandkasten<br />

noch in einer schrumpfenden Welt (Harvey,<br />

2007) bleibt solch Ungleichheit unbemerkt. Medien,<br />

soziale Netzwerke und Mobilität haben ihren Beitrag<br />

zu einer zugänglicheren Welt geleistet. Globale Ungerechtigkeit<br />

wird hinterfragt, und Bewegungsmöglichkeiten<br />

bieten sich. Dass globale Ungleichheit Migration<br />

auslöst, schürt in der reichen Welt Verlustängste.<br />

Die alte Polarität der „Push and Pull“-Faktoren verschwimmt;<br />

Menschen flüchten nicht nur, sondern<br />

haben auch Ziele. Das ist nur rational – wir würden<br />

ebenso handeln. Etwas fällt dabei auf: Wo früher eine<br />

allgemeine Migration von Ursprungs- zu Ankunftsländern<br />

stattfand, zeichnet sich heute eine Migration<br />

aus einer steigenden Anzahl von Ursprungsländern<br />

in eine schrumpfende Zahl von Ankunftsstädten ab<br />

(Czaika & de Haas, 2014; Saunders, 2018).<br />

Globale Migration ist somit ein urbanes Thema<br />

geworden.<br />

Die mit Abstand größte Gruppe globaler Migranten<br />

stellen qualifizierte junge Arbeiter aus Entwicklungsländern<br />

(Czaika & de Haas, 2014) – ein Weltmarkt, aus<br />

dem sich Deutschland bislang erfolgreich herausgehalten<br />

hat.Ein kurzer Blick in den Spiegel rückt die<br />

deutsche Sicht auf Migranten ins rechte Licht. Das<br />

deutsche Volk definiert sich in der Verfassung per Ius<br />

Sanguinis: Deutsches Blut. Schauen wir weit genug<br />

zurück, entflechten sich die Wurzeln des deutschen<br />

Stammbaumes in dutzende Völker, die durch das<br />

Machtvakuum des verfallenden Römischen Reiches<br />

streiften. Mitteleuropa blieb auch die nächsten Tausend<br />

Jahre ein Flickenteppich territorialer Ansprüche<br />

sich bekämpfender Gruppen, aber von „deutschem“<br />

Blut weiterhin keine Spur. Die germanischen Völker<br />

und diversen Königreiche, Länder und Fürstentümer<br />

sahen sich kaum als Einheit, bestenfalls im gemeinsamen<br />

Interesse, die Römer oder andere Mächte<br />

zurückzudrängen (Rosenstock, 1970; Liebesschuetz,<br />

2015). Was sie verband, waren Krieg und Leid. So<br />

kam Eugen Rosenstock bei seiner Suche nach den<br />

deutschen Ursprüngen zur nüchternen Feststellung:<br />

„Kriegsgemeinschaft hat das deutsche Volk geschaffen“<br />

(Rosenstock, 1970: 101). Luthers Bibelübersetzung<br />

war Geburtshilfe für die deutsche Sprache und<br />

die deutsche Aufklärung gründete eine Kulturnation<br />

der Dichter und Denker lange bevor unter Bismarck<br />

eine Staatsnation gebildet wurde. Die verschiedenen<br />

Fragmente bildeten ein Amalgam. „Deutschsein“<br />

musste erlernt werden und war seit jeher die Vereinheitlichung<br />

von Unterschieden (Münch, 2001).<br />

Binnen einer Generation zerbarsten dann die Konstrukte<br />

des deutschen Kaiserreiches, der Weimarer<br />

Republik und Nazideutschlands mit ihren jeweils verheerenden<br />

Folgen. Während sich die Alliierten noch<br />

gar nicht so sicher waren, ob diese Deutschen jemals<br />

wieder ein Land haben sollten, gelang den akademischen<br />

Urvätern unserer BRD (Eucken, Röpke und<br />

Rüstow) ihr ordoliberaler Geniestreich: Nicht unbedingt<br />

einen Nationalstaat sollten die Deutschen haben,<br />

sondern in erster Linie einen freien Wirtschaftsraum,<br />

in dem sie ihr Land aufbauen und sich selbst<br />

versorgen könnten (Foucault & Senellart, 20<strong>08</strong>, Bonefeld,<br />

2012).<br />

Diese Marktwirtschaft brauchte selbstverständlich<br />

Regeln und Schutz, gewährleistet durch ein staatliches<br />

Rahmenkonstrukt. Über die Aufrechterhaltung<br />

des Wirtschaftsraumes durch indirektes Agieren und<br />

Kontrollieren hinaus war eine wesentliche Aufgabe<br />

dieses Staates die Verwirtschaftlichung der Gesellschaft.<br />

Nicht umsonst wurde Müller-Armacks Begriff<br />

„soziale Marktwirtschaft“ von Hayek als irreführend<br />

kritisiert, da er die Idee von sozialer Gerechtigkeit<br />

als Gegenteil einer freien Marktwirtschaft impliziert<br />

(Hayek, 1979).

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