Nr. 79 - Sommer 2021

UNTERWEGS IN FRANKREICH Provence-Alpes-Côte d’Azur / Bouches-du-Rhône
Von der Abtei zum Steinbruch
Am Beginn der Französischen Revolution hatte die
Abtei alle Merkmale eines grandiosen Gebäudes im klassizistischen
Stil. Leider änderte sich mit der Revolution
auch ihr Schicksal grundlegend. Wie viele andere religiöse
Gebäude in Frankreich wurde Montmajour 1790 als Nationalgut
verkauft. Das Kloster wurde seines Dachstuhls
beraubt und diente dann als Steinbruch. Es ist im Übrigen
bekannt, dass ein guter Teil der Steine, mit denen einige
Straßen und Häuser in Arles gebaut oder renoviert wurden,
von hier stammt. 1921 wurde die Abbaye de Montmajour
glücklicherweise als Monument historique klassifiziert.
1994 wurde ein Großteil der Anlage renoviert und
seither regelmäßig unterhalten. Gerade derzeit enden
umfangreiche Arbeiten, in deren Rahmen vor allem die
Terrassen und Gärten restauriert wurden.
Von Bibel und Enzyklopädie über
van Gogh bis hin zu Fotografien
Die Abtei Montmajour, die seit 1945 dem französischen
Staat gehört, rüttelt aber die Besucher heute nicht nur deswegen
auf, weil diese dort eine Reise durch die Zeit und
verschiedene architektonische Stile unternehmen können.
Darüber hinaus spürt man sofort, dass ihre Mauern über
Jahrhunderte hinweg Reflexion und Inspiration gefördert
haben – sowohl in spiritueller als auch in kultureller und
künstlerischer Hinsicht – und im Übrigen heute noch fördern.
Im 18. Jahrhundert, zur Zeit der Ordensgemeinschaft
der Mauriner, war Montmajour ein Zentrum geistlicher
und wissenschaftlicher Arbeiten: Schriften zufolge gab es
1739 in der Bibliothek der Abtei nicht weniger als 2346 Titel,
eine für die damalige Zeit beachtliche Zahl. 1790 waren
es mehr als 4600. Es ist bekannt, dass Mönche immer neugierig
waren, dass sie ihre Zeit und die Welt, in der sie lebten,
verstehen wollten. Sie lasen nicht nur die Bibel, sondern
auch Molière, Cervantes und die Enzyklopädie von Diderot
und Alembert. Die Abtei selbst war eine Inspirationsquelle
für viele Künstler. Einer der bekanntesten von ihnen war
unbestritten der holländische Maler van Gogh (1853-1890),
der 1888 Paris verließ, um sich in Arles niederzulassen,
wo er seine berühmtesten Bilder malte. Er unternahm regelmäßig
ausgedehnte Märsche durch die Landschaft der
Camargue und kam auch oft nach Montmajour, um dort
zu zeichnen oder die alten Steine und die Landschaft der
Umgebung zu malen. Heute ist es nicht mehr die Malerei,
sondern vor allem die Fotografie, die in der Abtei gewürdigt
wird: Im Rahmen der jährlich stattfindenden Rencontres de
la photographie d’Arles, einem international renommierten
Fotofestival, ist Montmajour der Rahmen für Fotoausstellungen.
Eine schöne Art, die lange kulturelle Tradition auf
dem Mont Majour fortzusetzen und den so besonderen
Geist dieser provenzalischen Abtei weiter zu pflegen.
52 · Frankreich erleben · Sommer 2021