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Nr. 79 - Sommer 2021

Île de Port-Cros: ein regelrechtes Juwel Freizeitparks: Familienerlebnisse in Frankreich Abbaye de Montmajour: durch die Vergangenheit der Provence Amiens: Gartenfestival im "Venedig des Gemüses" Geschichte: 150 Jahre Pariser Kommune Debatte: Sacé-Cœur schützen oder abreißen ? Rezept: Soufflé d'été au basilic

Île de Port-Cros: ein regelrechtes Juwel
Freizeitparks: Familienerlebnisse in Frankreich
Abbaye de Montmajour: durch die Vergangenheit der Provence
Amiens: Gartenfestival im "Venedig des Gemüses"
Geschichte: 150 Jahre Pariser Kommune
Debatte: Sacé-Cœur schützen oder abreißen ?
Rezept: Soufflé d'été au basilic

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FRANKREICH HEUTE Gesellschaft<br />

In dieser Zeit erhielten Sie die ersten ermutigenden Nachrichten<br />

von Ihren Kunden …<br />

Ja, das war wirklich eine sehr, sehr schöne Überraschung<br />

und hat enorm gut getan. Darauf waren wir,<br />

ehrlich gesagt, gar nicht gefasst. Im Laufe der Wochen erhielten<br />

wir unzählige Nachrichten per Telefon, per Internet,<br />

manchmal schoben vorbeigehende Kunden während<br />

ihrer « autorisierten » Einkäufe einfach ein paar Zeilen<br />

unter der Tür durch … Das alles war für uns wirklich ein<br />

großer Trost.<br />

Zumal die Franzosen, als man sie plötzlich ihrer Buchhandlungen<br />

und damit « neuer » Bücher beraubte, eine regelrechte<br />

Begeisterung fürs Lesen entwickelten und verlangten, dass<br />

diese Geschäfte ebenso öffnen sollten, wie andere für den so<br />

genannten « wesentlichen » Bedarf … Vielleicht mag es ja etwas<br />

spöttisch klingen, wenn man die Frage stellt, ob es nicht<br />

typisch französisch ist, jahrelang Buchhandlungen immer mehr<br />

zu ignorieren und dann in dem Moment, indem sie aus den<br />

bekannten Gründen schließen mussten, ihre sofortige Wiedereröffnung<br />

zu verlangen?<br />

(Lacht) Da haben Sie recht. Diese Reaktion ist vermutlich<br />

wirklich sehr typisch für Franzosen. Aber unserer<br />

Moral hat sie auf jeden Fall gutgetan. Die Menschen waren<br />

auf einen Schlag mit ihren Buchhändlern solidarisch.<br />

Was diese spontane « Begeisterung » angeht, müssen wir<br />

aber, wie ich glaube, vorsichtig sein. Wir dürfen uns keine<br />

Illusionen machen, müssen objektiv bleiben: Menschen,<br />

die in der Buchhandlung einkaufen, sind zwangsläufig<br />

Menschen, die der Kultur gegenüber aufgeschlossen sind.<br />

Durch die mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen<br />

können sie nun weder Kinos oder Theater besuchen,<br />

können nicht ins Restaurant gehen und keine Reisen<br />

unternehmen. Also geben sie mehr Geld für Bücher<br />

aus. Im Grunde genommen repräsentiert das von Ihnen<br />

beschriebene Verhalten doch genau die Zeit, in der wir<br />

leben. Man begeistert sich spontan für etwas und möchte<br />

diesen Wunsch dann auch auf der Stelle erfüllt haben. Es<br />

ist natürlich toll, wenn es sich dabei um ein Buch handelt,<br />

das will ich gar nicht bestreiten. Die Frage ist nur, ob diese<br />

Begeisterung anhalten wird. Auch wenn ich mich als<br />

Buchhändlerin darüber freue, muss ich gleichzeitig einen<br />

kühlen Kopf bewahren. Es ist an uns Buchhändlern, die<br />

Passion aufrecht zu erhalten, weiterhin « wichtig », vielleicht<br />

sogar « unentbehrlich » zu sein. Auf jeden Fall kann<br />

man nicht bestreiten, dass sich die Beziehung zwischen<br />

den Franzosen und ihren Buchhandlungen entscheidend<br />

verändert hat.<br />

Zu Beginn des zweiten landesweiten Lockdowns vom 30.<br />

Oktober bis 15. Dezember 2020 waren die Menschen hier<br />

im Land etwas verwirrt: Während die Buchhandlungen geschlossen<br />

waren, konnte man in Supermärkten und bei großen<br />

Handelsketten wie FNAC Bücher kaufen. Zumindest so lange<br />

bis die Regierung angesichts der Empörung über diese Situation<br />

diesen Verkauf von Büchern ebenfalls untersagte und sie<br />

zwang, den Zugang zu kulturellen Produkten zu sperren. Die<br />

Öffentlichkeit war schockiert, die Buchhändler wurden zum<br />

Symbol für Ungerechtigkeit …<br />

Ja, sowohl für unsere Kunden als auch für uns war die<br />

Situation zu diesem Zeitpunkt wirklich unverständlich.<br />

Im weitesten Sinne für alle Leser. Zumal das Buch mehr<br />

und mehr zum Zufluchtsort wurde, zu einem Mittel, sich<br />

vom Lockdown abzulenken.<br />

Im November 2020 beschloss die Regierung, den Verkauf von<br />

Büchern nicht nur auf dem Versandweg, sondern auch durch<br />

Abholung, also mittels « click and collect », zu gestatten. Die<br />

Kunden konnten telefonisch oder per Internet eine Bestellung<br />

aufgeben und diese dann mit der ausgefüllten Ausgangsgenehmigung<br />

abholen. Der Verband der französischen Buchhändler,<br />

Syndicat de la librairie française (SLF), war zunächst dagegen,<br />

da seiner Meinung nach die Bedingungen für den Schutz<br />

der Gesundheit nicht gesichert waren. Wie haben Sie diese Zeit<br />

erlebt?<br />

Wir sagten uns, dass wir keine Wahl haben, dass wir es<br />

anpacken müssen. Also stürzten wir uns in die Arbeit und<br />

entdeckten eine ganz neue Seite unseres Berufes: Bestellungen<br />

verarbeiten und bestätigen, Kartons falten, Sendungen<br />

vorbereiten, frankieren … Der Laden glich einem<br />

Lager, man musste fast bei jedem Schritt über Kartons<br />

steigen. Alle waren damit beschäftigt, Lieferungen und<br />

Abholungen vorzubereiten. Das war verrückt und ziemlich<br />

kräftezehrend. Aber es war notwendig und hilfreich:<br />

Auf diese Weise waren wir beschäftigt, konnten die<br />

Wünsche der Kunden erfüllen. Das alles machte uns diese<br />

plötzliche Vorliebe für Bücher noch bewusster.<br />

Die Buchhandlungen in Frankreich durften schließlich am 28.<br />

November 2020 wieder öffnen, und die Kunden strömten umgehend<br />

in die Läden. Laut Berufsverband der französischen<br />

Buchhändler war der Monat Dezember sogar herausragend:<br />

Alleine in diesem Monat wurden die Umsatzverluste durch<br />

die beiden Lockdowns quasi ausgeglichen. Die Bücher, die<br />

im Herbst einen der begehrten Literaturpreise erhalten hatten<br />

– darunter der Prix Goncourt für L’anomalie von Hervé<br />

le Tellier – fanden reißenden Absatz. So etwas hatte es davor<br />

noch nie gegeben. Dadurch war das Jahr letzten Endes gerettet.<br />

Und jetzt wurde die Buchhandlung noch dazu als « wesentliches<br />

Geschäft » eingestuft, genauso wie Lebensmittelläden. Da<br />

hat sich das Buch am Ende doch toll behauptet!<br />

Das stimmt absolut. Es war nicht einfach, aber ich<br />

gebe zu, die Feststellung tut gut. Dennoch fand ich die<br />

Diskussionen um die Buchhandlung als « wesentliches<br />

Geschäft » etwas schizophren. Ich bin zwar stolz, dass<br />

man sich in Frankreich plötzlich über den Stellenwert von<br />

70 · Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2021</strong>

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