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Die Landschaft mit ihren feuchten<br />

Gründen, ihren Wiesen und Pflanzen, ihren<br />

Wasserzonen und dem weiten Himmel –<br />

diese durch und durch norddeutsche<br />

Landschaft, sie ist Bühne und Bühnenbild<br />

zugleich. Und die Hauptdarsteller, keine<br />

Frage, die Stars – das sind die Kraniche.<br />

Und die haben durchaus so ihre Allüren.<br />

Lärm zum Beispiel mögen sie wegen ihres<br />

empfindsamen Gehörs nicht, das<br />

Publikum soll schon eine gewisse Ruhe<br />

bewahren; wie im Theater eben. Schon auf<br />

dem Weg zur Schanze sind wir über schallschluckende<br />

Rindenmulchpfade gegangen;<br />

der Mensch soll an diesem Ort möglichst<br />

wenig auf sich aufmerksam machen.<br />

Manchmal aber lassen sie sich trotz aller<br />

Vorsicht einfach nicht blicken, die Stars,<br />

obwohl sie eigentlich noch Saison haben<br />

und damit eben: ihre Auftritte an der<br />

Kranichschanze. Aber dann lassen sie ihr<br />

Publikum halt warten. Es lohnt sich also,<br />

Zeit und Geduld mitzubringen.<br />

Wenn das Spektakel dann beginnt, wird<br />

das Kranich-Publikum reich belohnt!<br />

Die schönen Flugbewegungen der wilden<br />

Vögel, dazu die an Trompetenklänge<br />

erinnernden Rufe! Sie sind weithin hörbar<br />

und verstärken das Naturschauspiel im<br />

Moor um eine eindrucksvolle akustische<br />

Komponente. Fotografieren dürfen wir die<br />

Kraniche natürlich, allerdings nur ohne<br />

Blitzlicht. „Es verunsichert Kraniche sehr“,<br />

heißt es auf einer Infotafel. Wie gesagt: Die<br />

Vögel sind sensibel.<br />

Und aus diesem Grund sind sie auch<br />

sehr, sehr vorsichtig – besonders, wenn es<br />

darum geht, die Schlaf- und Rastplätze zu<br />

schützen. „Die Wachposten der Kraniche<br />

entdecken Sie frühzeitig“, informiert der<br />

Naturschutzbund (NABU) auf einem<br />

Schild. „Es sei denn, Sie sind schlauer als<br />

der schlaue Kranich.“<br />

Folglich gelte es, gewisse Hinweise zu beachten.<br />

Zum Beispiel: „Vermeiden Sie auffällige<br />

Kleidung.“ Sprich: Unsere leuchtende<br />

Warnweste bleibt zu Haus. Zudem wird<br />

einmal mehr dringend empfohlen, auf den<br />

ausgeschilderten Wegen zu bleiben.<br />

Ganz schön imposant wirken sie trotz<br />

aller Scheu, die grauen Grazien der Lüfte:<br />

Kraniche werden etwa 1,20 bis 1,50 Meter<br />

groß, ihre Flügelspannweite erreicht bis zu<br />

2,20 Meter. Größe gepaart mit Eleganz –<br />

das hat seit Menschengedenken die Dichter<br />

auf den Plan gerufen. Bertolt Brecht zum<br />

Beispiel setzte fliegende Kraniche in seinem<br />

Gedicht „Die Liebenden“ als Sinnbild für<br />

die Liebe ein, nicht mehr und nicht<br />

weniger: „Seht jene Kraniche in großem<br />

Bogen! / Die Wolken, welche ihnen beigegeben<br />

/ Zogen mit ihnen schon, als sie<br />

entflogen / Aus einem Leben in ein anderes<br />

Leben.“<br />

Während wir von der Kranichschanze<br />

auf die weite Moorlandschaft blicken,<br />

lassen wir unsere Gedanken fliegen. In der<br />

griechischen Mythologie gilt der Kranich<br />

als Vogel des Glücks, als Symbol der<br />

Wachsamkeit und Klugheit. Den Römern<br />

galt der Kranich als Symbol des klugen,<br />

Kraniche werden etwa<br />

1,20 bis 1,50 Meter<br />

groß, ihre Flügelspannweite<br />

erreicht<br />

bis zu 2,20 Meter.<br />

vernünftigen und sorgfältigen Handelns.<br />

In der Heraldik ist er das Symbol der<br />

Vorsicht und der schlaflosen Wachsamkeit.<br />

Und in der modernen Markenwelt ein<br />

Sinnbild technologischer Verlässlichkeit<br />

und Ausdauer – nicht ohne Grund ist der<br />

fliegende Kranich seit bald 100 Jahren das<br />

unverwechselbare Zeichen der Lufthansa.<br />

Apropos Flugbewegungen … die<br />

Kraniche, die bei uns in der Welt des<br />

Teufelsmoors Rast machen, sie kommen<br />

aus Skandinavien und dem Baltikum. Mit<br />

Eicheln und Mais, Insekten und Mäusen,<br />

Fischen und Fröschen stärken sie sich in<br />

der Landschaft rund um die Kranichschanze<br />

für ihre Reise in den Süden, denn<br />

überwintern werden die Kraniche beispielsweise<br />

in Spanien, in Andalusien etwa<br />

und in der Extremadura. Manche Kraniche<br />

ziehen noch weiter und erreichen Nordafrika.<br />

Im Frühjahr kehren sie wieder<br />

zurück. Früher erreichten die Kraniche die<br />

Brutgebiete Mitteleuropas im März, heute<br />

zuweilen schon im Februar – womöglich<br />

lässt auch hier der Klimawandel grüßen.<br />

Es wurden sogar schon Überwinterungsversuche<br />

der grazilen Zugvögel beobachtet,<br />

heißt es.<br />

Mehrheitlich aber machen sie sich nach<br />

wie vor auf den Weg vom Moor des Nordens<br />

in die Sonne des Südens. Eine glückliche<br />

Reise wünschen wir ihnen, während wir<br />

ihrem eleganten Spektakel zusehen von<br />

unserer Sitzbank im Naturtheatersaal der<br />

Kranichschanze. Wir aber bleiben hier und<br />

warten auf das Frühjahr, wenn sie zu uns<br />

zurückkehren, die Kraniche. Text: Claudia Kuzaj<br />

OBERNEULAND 119

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