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Hohe Schule» für Lehrer - Johannes Beck

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ihnen den folgenden Zettel, einen Brief, in dem steht, wie Du mich treffen<br />

könntest, wenn Du mich treffen wolltest.<br />

Kaum hatten die Pädagogen diesen Brief in der Hand, stürzten sie sich<br />

förmlich auf mich, um mich von meinem Laster zu befreien: Emile<br />

schreibt noch wie die alten Ägypter in Bilderschrift. Ich empfand das als.<br />

Kompliment. Es handelte sich aber um Mitleid. Von der neuen Piktogrammatik<br />

hatten die Herren wohl noch nichts gehört. Ich stand offensichtlich<br />

schon wieder auf einer niedrigen Kulturstufe. Einige dieser Pädagogen<br />

wollten mir nur das Alphabet beibringen - als ob Lesen und<br />

Schreiben nur aus Buchstaben bestünde. Einige andere wollten mich zuerst<br />

über meine Lage aufklären, meine Probleme formulieren. Als ob ich<br />

nicht schon genug davon gehabt hätte. Alle aber waren froh, ein Problem<br />

gefunden zu haben, einen Mangel beheben zu können.<br />

Nur <strong>für</strong> das, was ich konnte - besser als sie vielleicht-, interessierten sie<br />

sich nicht, diese alphabetisierten Pädagogen. Ich konnte besser riechen,<br />

besserzuhören, längerleben, phantasierenund habe ein so gutes Gedächtnis,<br />

daß ich seit zweihundert Jahren keinen Terminkalender nötig habe.<br />

Aus diesem Gedächtnis heraus nehme ich auch alles, was ich hier <strong>für</strong><br />

Dich aufschreibe, vermischt mit meinen Wünschen und Hoffnungen, mit<br />

meiner Kritik, mit dem Spott und der Zuneigung, zu der ich fähig bin.<br />

Alles ist die Wahrheit, und noch mehr als die Wahrheit, meine Wahrheit.<br />

Einige dieser Reisebilder-Briefe an Dich sind noch, bevor ich sie meinem<br />

Auffindelkind <strong>Johannes</strong> zu treuen Händen in seinem Schreibtisch<br />

versteckt habe, einigen Oberlehrern in die Finger geraten. Sie schrieben<br />

mit roter Tinte an den Rand:<br />

Das sei alles überhaupt nicht objektiv, schrieb ein Wissenschaftler der<br />

Erziehung, der vor langen Zahlenkolonnen aus wiederaufbereitetem<br />

Schülermaterial saß. Nicht objektiv: Bin ich denn ein Fotoapparat, ein<br />

Tonbandgerät, eine Abhöranlage?<br />

Ein Oberlehrer schrieb, daß ich in meinem Text die Vergangenheit,<br />

Gegenwart und Zukunft durcheinandergeschrieben hätte. Ich solle bei<br />

einer Zeit bleiben. Das würde den Herrn so passen, daß ich bei einer Zeit<br />

bleibe. Nein, Leute, ich bin nicht so zeitlos wie eure gestorbenen Schulweisheiten.<br />

In meiner vollendeten Vergangenheit liegt unsere unvollendete<br />

Zukunft der allgegenwärtigen Vergangenheit. Meine Vergangenheiten<br />

laß ich mir nicht grammatisch wegrationalisieren:<br />

Was war, ist nicht nur gewesen,<br />

das ist und wird sein,<br />

wenn es ist, was es nie gewesen ist<br />

wenn es gewesen sein wird, was es nie sein konnte<br />

Und so weiter.<br />

Diese Pharisäer und Zeitgelehrten solltest Du aus den Tempeln des<br />

Geistes jagen, wenn Du da drüben, wo Du jetzt bist, die Möglichkeit dazu<br />

hast. Aber schicke sie nicht in die Wüste, die brauchen wir noch.<br />

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