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Hohe Schule» für Lehrer - Johannes Beck

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Eine Nacht voller Zauber begann hier oben zwischen den Ruinen.<br />

Lieber Jean, ich glaube, daß ich Dir das erzählen kann. Du wirst<br />

mich, den Irrfahrer, verstehen. Laß die Leute blöd grinsen. Die Grinsgesichter<br />

haben nie geliebt, sie nie grenzenlos ausgegeben. Ich weiß, sie<br />

werden von Sentimentalität und von Mythologie plappern. Einige werden<br />

von Religion schwafeln, die Opium <strong>für</strong>s Volk sei, und sie merken<br />

nicht, daß Opium zur Religion <strong>für</strong>s Volk geworden ist: im Fernseher, mit<br />

dem sie nicht mehr sehen, was um sie herum geschieht, mit dem Schnaps<br />

und Bier, das sie als Betäubungsmittel benutzen: Betäubung statt<br />

Rausch.<br />

Laß sie über diese Sätze grübeln oder grinsen. Jean, ich rede derweil<br />

<strong>für</strong> Dich von der Nacht zwischen zwei Tagen. Einer Nacht, die <strong>für</strong> mein<br />

altes Leben eine lange Nacht geworden ist. Jean, ich rede zwischen diesen<br />

Ruinen <strong>für</strong> Dich und <strong>für</strong> die alte Hexe zwischen uns, die weiß, was<br />

geschehen ist. Und dabei denke ich innigst an den Einsiedler, diesen<br />

Zauberer, der diese Ruinen zum Mittelpunkt der Welt machen konnte in<br />

dieser Nacht.<br />

Weißt Du, die Welt ist immer da, wo Du bist, wenn Du wirklich da<br />

bist, und nicht schon wieder woanders, wo Du noch gar nicht bist. Wir<br />

waren da!<br />

Der Mond hat sich schließlich hinter den Wolken verkrochen. Blitz<br />

und Donner kamen näher und mit ihnen der warme Regen. «Ich komme<br />

gleich wieder», sagte mein Gastgeber.<br />

«Ich will duschen, es hat seit einigen Wochen nicht so geregnet.» Wir<br />

zogen die verschwitzten Klamotten aus, gingen nach draußen vor die<br />

Tür unters Dach. Von den Ziegeln angewärmt, floß das Regenwasser<br />

auf den Kopf. Es roch nach Flechten und Moos auf der Haut, die sich<br />

zusammenzog, während ich tief Luft holen mußte. Es kribbelte kühl und<br />

heiß und zerbrechlich. Die ganze Nacht lag uns wäßrig zu Füßen, stieg in<br />

den Bauch, wie der rote Barberawein in den Kopf. Der feuchte Nachtgeruch<br />

des Waldes verband sich mit dem Gewitterwasser und dem Kastanienholzrauch<br />

im Kamin.<br />

Er warf mir warme Decken zu. Eingemummelt saßen wir am Boden<br />

vor dem Feuer. Immer noch schmeckte der Wein, die Kastanien und die<br />

Pilze schmorten. Sie brachten den vergangenen Sommer mit ihrem Duft<br />

ins Haus. Wir verspeisten einen ganzen Sommer. Im nächtlichen Tagtraum<br />

ging es weiter:<br />

Tausend Hände streichelten mich warm auf der Haut, im Gesicht.<br />

Durch meine Hände glitten Haare, lang, weich und schwer. Alles um<br />

mich herum trat weit auseinander und war doch ganz nah. Das Kaminfeuer<br />

umfaßte den ganzen Raum, in allen Farben des Regenbogens funkelten<br />

Augen aus Steinen aus den verhexten, verzauberten Wänden.<br />

Von weitem hörte ich ihn sagen:<br />

«Ich lege jetzt noch Holz nach, und du, Emile, nimm doch bitte die<br />

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