Hohe Schule» für Lehrer - Johannes Beck
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Michel, der Schreiner, hat mich an die Kunst des Riechens erinnert in<br />
seinem Tannenrausch. Als ich an diesem Feierabend anfing, von meinen<br />
Gerüchen vergangener Jahre zu erzählen, da hörten in dieser Werkstatt<br />
alle so zu, als redete ich von etwas Altbekanntem.<br />
In dieser Werkstatt sah man auch Dinge, die andere nie sahen. Zum<br />
Beispiel das Leben im Holz, das sie verarbeiteten. Sie wußten und sahen,<br />
wie man es verarbeiten mußte, damit es nicht reißt, damit es sich nicht<br />
wirft, verzieht, schwindet, vor Schmerz heult. Sie sahen die schönen Farben,<br />
die das Holz hervorbringen konnte, sie sahen die Formen, die dem<br />
Holz gerecht wurden, nicht nur die Maserung. Sie sahen diese Differenz<br />
bei 38 verschiedenen Holzsorten in ihrem Holzlager.<br />
Sie konnten mit den Augen messen, vergleichen, schätzen. Sie konnten<br />
miteinander reden, mit den Augen, ohne etwas zu sagen. So sahen sie,<br />
wenn jemand Hilfe brauchte, wenn etwas not-tat, wenn eine Arbeit nicht<br />
allein getan werden konnte. So sahen sie und taten, was not-wendig war.<br />
Auch lachen war zu zweit lustiger. Sie sagten: «Holzauge, sei wachsam.»<br />
Mit den Ohren war es genauso. Weißt Du, wozu ein Holzwurm, ein<br />
Schreiner, zwei Ohren hat? Eins, um den Bleistift dahinter zu klemmen,<br />
und das andere, um ihn dahinter zu suchen. Die Ohrenwerden hier durch<br />
die «Kreissäge» zwar arg mitgenommen, aber oft ist es still in der Werkstatt.<br />
Dann hört man den herauszischenden Span aus dem weich und glatt<br />
gleitenden Hobel, der etwas sagt über die Q,ualität und die Richtung des<br />
Holzes, des Hoblers, der Hobelsohle und die Schärfe des Messers. Auf<br />
jedem Holz, auf jeder Holzseite klingt der Hobel anders. Auch deshalb<br />
braucht jeder sein eigenes Werkzeug:<br />
«Meine Hand kann ich Dir auch nicht geben!», nur helfen kann man<br />
sich. Du hörst den Zug des Stemmeisens im ZapfIoch oder auf dem Abziehstein,<br />
und das Singen der Nägel unter dem Hammer. In tausend Stimmen<br />
erzählen die Werkzeuge und die Hölzer, was mit ihnen los ist, unter<br />
den Händen der Menschen. Die Werkstatt als Orchester? Diese Geräusche<br />
zu hören ist eine Kunst, die so alt ist wie die Holzverarbeitung selbst.<br />
Aber da sind nicht nur die Werkzeuge und die Werkstoffe, da sind auch<br />
die Menschen, ihr Lachen, ihr Stöhnen, Rufen, Fluchen, Fragen, Anweisen,<br />
Bitten und Schwätzen bei der Arbeit. Ihr Pfeifen und Singen und<br />
Summen gefällt Dir, oder es regt Dich auf, nervt oder beruhigt Dich.<br />
Immer hörst Du die anderen, die, die mit Dir hier sind, die Du brauchst,<br />
wie sie Dich brauchen. Ihr werdet heute abend zusammen hierbleiben<br />
und miteinander essen, miteinander reden, Euch zuhören. Wer Ohren<br />
hat zu hören?<br />
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