14.01.2013 Aufrufe

Hohe Schule» für Lehrer - Johannes Beck

Hohe Schule» für Lehrer - Johannes Beck

Hohe Schule» für Lehrer - Johannes Beck

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Michel, der Schreiner, hat mich an die Kunst des Riechens erinnert in<br />

seinem Tannenrausch. Als ich an diesem Feierabend anfing, von meinen<br />

Gerüchen vergangener Jahre zu erzählen, da hörten in dieser Werkstatt<br />

alle so zu, als redete ich von etwas Altbekanntem.<br />

In dieser Werkstatt sah man auch Dinge, die andere nie sahen. Zum<br />

Beispiel das Leben im Holz, das sie verarbeiteten. Sie wußten und sahen,<br />

wie man es verarbeiten mußte, damit es nicht reißt, damit es sich nicht<br />

wirft, verzieht, schwindet, vor Schmerz heult. Sie sahen die schönen Farben,<br />

die das Holz hervorbringen konnte, sie sahen die Formen, die dem<br />

Holz gerecht wurden, nicht nur die Maserung. Sie sahen diese Differenz<br />

bei 38 verschiedenen Holzsorten in ihrem Holzlager.<br />

Sie konnten mit den Augen messen, vergleichen, schätzen. Sie konnten<br />

miteinander reden, mit den Augen, ohne etwas zu sagen. So sahen sie,<br />

wenn jemand Hilfe brauchte, wenn etwas not-tat, wenn eine Arbeit nicht<br />

allein getan werden konnte. So sahen sie und taten, was not-wendig war.<br />

Auch lachen war zu zweit lustiger. Sie sagten: «Holzauge, sei wachsam.»<br />

Mit den Ohren war es genauso. Weißt Du, wozu ein Holzwurm, ein<br />

Schreiner, zwei Ohren hat? Eins, um den Bleistift dahinter zu klemmen,<br />

und das andere, um ihn dahinter zu suchen. Die Ohrenwerden hier durch<br />

die «Kreissäge» zwar arg mitgenommen, aber oft ist es still in der Werkstatt.<br />

Dann hört man den herauszischenden Span aus dem weich und glatt<br />

gleitenden Hobel, der etwas sagt über die Q,ualität und die Richtung des<br />

Holzes, des Hoblers, der Hobelsohle und die Schärfe des Messers. Auf<br />

jedem Holz, auf jeder Holzseite klingt der Hobel anders. Auch deshalb<br />

braucht jeder sein eigenes Werkzeug:<br />

«Meine Hand kann ich Dir auch nicht geben!», nur helfen kann man<br />

sich. Du hörst den Zug des Stemmeisens im ZapfIoch oder auf dem Abziehstein,<br />

und das Singen der Nägel unter dem Hammer. In tausend Stimmen<br />

erzählen die Werkzeuge und die Hölzer, was mit ihnen los ist, unter<br />

den Händen der Menschen. Die Werkstatt als Orchester? Diese Geräusche<br />

zu hören ist eine Kunst, die so alt ist wie die Holzverarbeitung selbst.<br />

Aber da sind nicht nur die Werkzeuge und die Werkstoffe, da sind auch<br />

die Menschen, ihr Lachen, ihr Stöhnen, Rufen, Fluchen, Fragen, Anweisen,<br />

Bitten und Schwätzen bei der Arbeit. Ihr Pfeifen und Singen und<br />

Summen gefällt Dir, oder es regt Dich auf, nervt oder beruhigt Dich.<br />

Immer hörst Du die anderen, die, die mit Dir hier sind, die Du brauchst,<br />

wie sie Dich brauchen. Ihr werdet heute abend zusammen hierbleiben<br />

und miteinander essen, miteinander reden, Euch zuhören. Wer Ohren<br />

hat zu hören?<br />

28

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!