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Hohe Schule» für Lehrer - Johannes Beck

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«Macht ihr so was öfter, und macht ihr so was bald wieder?» fragte ich<br />

die fünf, als wir kurz danach aufder Treppe vor dem nicht-selbstverwalteten<br />

Jugendzentrum dieser Gettostadt saßen.<br />

«Wieso wir? - Okay, irgendwer muß es ja gewesen sein. Aber quatsch<br />

nicht so laut, Feind hört mit.»<br />

«Nee, so was macht man nicht alle Tage. Einen guten Witz erzählst du<br />

auch nur einmal, oder?»<br />

«Was kann man hier schon machen, außer Fahrstuhl kreisen lassen,<br />

Wasser vom Block abstellen, die Ampeln auf Dauerrot machen, die Feuerwehr<br />

holen. Solche Sachen kommen schon öfter mal vor.»<br />

«Das klingt so gut, wenn die da antuten mit ihren Autos, da ist was los.<br />

Alle Leute gucken, und wir haben's geschafft.»<br />

«Warum wir das machen? Was willst du denn sonst hier machen? Rauchen<br />

und saufen oder an Automaten spielen, das kostet. Klauen ist zu<br />

gefährlich. Sonst kannst du hier nichts machen. Nicht einmal über die<br />

Straße darfst du, wo du willst. Aber das ist uns egal. Feuer machen und<br />

erzählen, ja, dazu gehen wir mit den Fahrrädern manchmal in die Büsche.<br />

Aber das ist auch eine halbe Stunde von hier. Seit die Baustelle fertig ist,<br />

haben wir nicht einmal einen Keller. Und sonst? Fernsehen? Langeweile<br />

und Schule. Schule ist manchmal ganz gut, da können wir wenigstens jeden<br />

Tag zusammenkommen und alles besprechen, was wir losmachen am<br />

Nachmittag.»<br />

«Fernsehen, das ist das halbe Leben, besonders wenn es regnet oder<br />

kalt ist draußen. Kino, das ist zu teuer. So was wie da im Fernsehen kannst<br />

du hier ja kaum erleben. Manchmal bin ich ganz lahm vom Sitzen. Der<br />

Arsch und die Beine tun weh, und dann siehst du, wie die reiten und<br />

schießen. Aber wenn ich in der Tagesschau sehe, wie die anderen Kinder<br />

leben müssen, dann sitz ich vielleicht doch lieber vorm Fernseher. Helfen<br />

zu Hause? Was ist da zu helfen? Früher mußte ich spülen und Kaffee<br />

kochen, dazu aber haben wir jetzt Maschinen. Manchmal einkaufen.<br />

Aber viel ist da nicht zu machen. Bei uns hat alles eine geregelte Gangart.<br />

Außer Fernsehen spielt sich da nicht viel ab. DerAlte kommt kaputt nach<br />

Hause. Die Mutter ist nervös und muß ihm gut zureden. Aber was soll's.»<br />

Sie gingen .Tischtennis spielen: «Du kannst ja mitkommen, wenn du<br />

willst, Emile», sagten sie. Ich blieb noch eine Weile aufder Treppe sitzen.<br />

Ich weiß nicht, Jean, ob wir diesen Spruch vor zweihundert Jahren auch<br />

schon gesagt haben, daß Kinder, Narren und Alte die Wahrheit sagen und<br />

den reibungslosen Verkehr gefährden. Diese Kinder hier taten beides.<br />

Aber der Verkehr, auch der in diesen Wohnblocks, gefährdete auch sie.<br />

Allerdings glaube ich, daß die Kinder hier nicht nur mit Worten reden,<br />

sondern daß wir auch ihre Taten verstehen können. Die abe( sind oft<br />

Reaktionen auf die wirklich verkehrte Welt, die ihr Leben beschädigt.<br />

Ihre Wahrheiten werden also auch die Schäden in sich tragen, mit denen<br />

diese Kinder umgehen müssen. Es ist manchmal fast genial, wie sie von<br />

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