Hohe Schule» für Lehrer - Johannes Beck
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jetzt das weit entfernte Grollen eines Abendgewitters. Der mit Geröllsteinen<br />
gepflasterte Weg. führte mich in langen Treppenabsätzen in Windungen,<br />
vorbei an Kreuzwegstationen, durch verlassene Gärten, brachliegende<br />
und überwucherte Terrassen nach oben. Eine Wunderlandschaft<br />
über der Touristenwelt.<br />
Wenigstens seit tausend Jahren haben hier Menschen gelebt. Sie haben<br />
an diesen Wegen und Terrassen gebaut, Gemüse, Wein und alles andere,<br />
was sie brauchten, angepflanzt und geerntet. Im Sommersind die Männer<br />
durch halb Europa gewandert, als Maler, als Zimmerleute. Da haben die<br />
Frauen und Kinder die Dörferbewohnbar gehalten. Hierwurde geboren,<br />
gestorben, gefroren, gehungert, geliebt und geflucht. Ob hier Glück und<br />
Frieden waren?<br />
Auf alle Fälle kam dann in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts der<br />
Krieg hierher. Er kam nicht mit Bomben und Granaten. Der Krieg, mit<br />
dem dieses Landüberzogenwurde, hieß: Entwicklung. DieLeute,die jetzt<br />
aus den großen Städten hierherkamen, mußten sich erholen, weil es so<br />
stank, weil es so hektisch war, wo sie lebten. Sie brachten den Gestankund<br />
die Hektik, und sie brachten ihr Geld hierher. Schnelle Straßen wurden<br />
gebaut. Aufden Märkten gab es jetzt Waren, die von weither kamen. Die<br />
einfachen Lebensmittel von den Berghängen wurden wertlos. Die Zimmerleute<br />
und Maler aus den Dörfern wurden von mobilen Einsatzkolonnen<br />
der Bauindustriellen vertrieben. In den Dörfern und auf den Hängen<br />
konnten die Leute nicht mehr bleiben. Letzte Versuche, hier oben Erholungsorte<br />
<strong>für</strong> die Arbeiter aus den großen Städten einzurichten und so die<br />
Dörfer zu retten, scheiterten. Es gab am Ende des ersten Drittels dieses<br />
Jahrhunderts eine «Weltwirtschaftskrise» und damit kein Geld mehr <strong>für</strong><br />
Erholungen ärmerer Leute. Auchgab es keine Fahrstraßehierher. ZuFuß<br />
wollte niemand mehr gehen, der sich Erholungen noch leisten konnte.<br />
Höchstens einpaarBergsteigeroderTouristen kamenhiervorbei, aberdie<br />
brachten kein Geld. Die weise weiße Frau, die diese letzten Rettungsversuche<br />
<strong>für</strong> die Dörferunternommen hatte, indemsie Hotels <strong>für</strong> Bildungsurlauber<br />
bauenließ, mußteverzweifeln. NachdemihrWerk und ihreLebensrente<br />
verpfändet worden waren, stürzte sie sich in die Schlucht des wilden<br />
Baches. Selbstmord eines Menschen, Mord an einer Region.<br />
So verwandelte die Entwicklung der Region die Berghänge und die<br />
Dörfer der Region in Ruinenlandschaften. Der Wald, das Wasser, die<br />
Sonne verschleierten alles. Sie holten sich zurück, was die Menschen mit<br />
ihrer Hilfe in J(,lhrhunderten aufgebaut hatten.<br />
Der freundliche Mann, der mir diese Geschichte eines Untergangs erzählt<br />
hatte, wohnte in einer kleinen, halbverfallenen Hütte aus Felssteinen<br />
mit Schieferplatten auf dem Dach. Freunde hatten sie ihm als vorübergehende<br />
«Einsiedelei» zur Verfügung gestellt. Hier wollte er nachdenken,<br />
schreiben und eine Weile in der Einsamkeit leben. Die Freunde<br />
selbst wollten erst in den Ferien um die Weihnachtszeit hierherkommen.<br />
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