Die Gelehrtenfamilie Stöckhardt - Uwe Fiedler, Dresden and ...
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Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina 86<br />
Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg<br />
→ Siehe auch Akademien der Wissenschaften in der NS-Zeit<br />
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme von 1933 setzte die Akademieleitung unter Emil Abderhalden die<br />
verbrecherische Rassenideologie der neuen Regierung konsequent um und strich zahlreiche jüdische<br />
Akademieangehörige von der Mitgliederliste. Albert Einstein wurde bereits Anfang 1933 ausgeschlossen, über 70<br />
folgten. Auch der nichtjüdische Pädiater Ernst Freudenberg wurde gestrichen, da er sich nicht von seiner jüdischen<br />
Ehefrau trennen wollte. Im November 1938, zwei Wochen nach der Reichspogromnacht, beschloss der Vorst<strong>and</strong><br />
unter Abderhalden, „den Rest der jüdischen Mitglieder auszumerzen“. Dem örtlichen Gauleiter meldete er dann, dass<br />
die Leopoldina judenfrei sei. Neun Mitglieder der Leopoldina verloren durch die NS-Gewaltherrschaft ihr Leben:<br />
• Otto Blumenthal (1876–1944), Mathematiker,<br />
• Max Flesch (1852–1943), Anatom<br />
• Hans Leopold Meyer (1871–1942), Chemiker<br />
• Georg Pick (1859–1942), Mathematiker<br />
• Hans Leo Przibram (1874–1944), Zoologe<br />
• Peter Rona (1871–1945), Biochemiker<br />
• Emil Starkenstein (1884–1942), Pharmakologe<br />
• Leon Wachholz (1867–1942), Gerichtsmediziner<br />
• Arthur von Weinberg (1860–1943), Chemiker<br />
Mit Ausnahme von Wachholz waren alle jüdischer Herkunft. [7]<br />
1939 veröffentlichte Abderhalden in der Akademiepublikation Nova Acta Leopoldina einen Beitrag zur Rasse und<br />
Vererbung vom St<strong>and</strong>punkt der Feinstruktur von blut- und zelleigenen Eiweißstoffen aus betrachtet, in dem er unter<br />
<strong>and</strong>erem behauptete, dass die Eiweißstoffe des Gewebes und Blutes Rassenmerkmale enthielten, sodass „die<br />
einzelnen Rassen … scharf unterschieden werden können“. [8]<br />
1943 lagerte die Leopoldina ihre wertvollen Bibliotheksbestände zum Schutz vor Bombenangriffen in ein<br />
stillgelegtes Salzbergwerk in Wansleben am See aus [9] – über 20.000 Bände, darunter einzigartige H<strong>and</strong>schriften,<br />
Goethe-Briefe, wissenschaftliche Tagebücher und mehrere Privatarchive von Gelehrten. [10] <strong>Die</strong> Benutzung erfolgte<br />
nur noch stark eingeschränkt, weil die SS im Juni 1944 dort ein Außenlager des KZ Buchenwald zur unterirdischen<br />
Rüstungsproduktion errichtete.<br />
Sowjetische Besatzung und Deutsche Demokratische Republik<br />
Bei Kriegsende wurde die wertvolle Bibliothek in die Sowjetunion verbracht. Sowjetgeneral Kotikow kündigte deren<br />
Rückgabe anlässlich der Wiedereröffnung der Universität Halle am 1. Februar 1946 an [11] , doch erst 1958 kam ein<br />
Teil (rund 12.000 Bücher) zurück, ein Großteil der wertvollsten Bücher blieb verschwunden, darunter Schriften von<br />
Avicenna, Giordano Bruno oder Johannes Kepler. In den 1980er Jahren tauchten vereinzelt Exemplare in<br />
Auktionshäusern in New York, Engl<strong>and</strong> und Hamburg auf.<br />
Zugleich wurde um die Wiederzulassung der auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR formal<br />
weiterbestehenden Akademie gerungen. <strong>Die</strong> von <strong>and</strong>erer Seite geforderte Anbindung an die staatliche Akademie der<br />
Wissenschaften der DDR (damals „Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin“) konnte verhindert werden;<br />
die Leopoldina blieb als gesamtdeutsche Vereinigung bestehen.