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Friedemann Richert Der endlose Weg der Utopie - Augustana ...

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das utopische Totum durch das το δυναμει ον erreicht wird, wobei dieses zugleich<br />

verhin<strong>der</strong>t, daß Teilverwirklichungen des Utopischen als Totum gedeutet werden. 784<br />

Stellt man sich diesen Zusammenhang vor Augen, erhebt sich die Frage, wie Bloch<br />

von einem offenen System bezüglich seiner Ontologie sprechen kann, wieso er an <strong>der</strong><br />

Alternative des "Alles o<strong>der</strong> Nichts" festhält, wenn doch das "Alles" zielsicher erreicht<br />

wird. 785 Aus dieser Aporie kommt Bloch nicht heraus, und es ist Habermas zuzustimmen,<br />

wenn er kritisch bemerkt: "...Von dem endlichen Standpunkt des zwecktätigen<br />

Menschen aus ist Gewißheit über eine in <strong>der</strong> Materie als Prinzip begründete Identität<br />

von Natur und Gesellschaft, organischem Leben und geschichtlichem Prozeß unmöglich."<br />

786 Blochs Materiebegriff leistet also nicht das, was Bloch so dringend zur Fundierung<br />

seiner <strong>Utopie</strong> braucht.<br />

Eine an<strong>der</strong>e, generelle Spannung liegt in Blochs Argumentationsstruktur. Er verfängt<br />

sich in einer netzartigen, löchrigen Argumentationsweise bei <strong>der</strong> Begründung seiner<br />

Philosophie, die, so hat es den Anschein, eben mehr durch ihre rhetorische Kraft als<br />

durch ihre innere Logik und Stringenz überzeugen will. "So verzichtet er (Bloch, F.R.)<br />

auf die Strenge von Konstruktion und Deduktion, verläßt sich auf die illuminative Kraft<br />

des Einleuchtenden, stützt die eine These durch eine zweite, diese durch eine dritte usw.<br />

- jede für sich eine ungeprüfte Setzung, alle zusammen im Kontext ein plausibles Netz<br />

von Indizien." 787 Dadurch aber überzeugt Bloch weniger als er überredet, er beweist<br />

nicht, son<strong>der</strong>n behauptet nur. Darum sind seine Ausführungen, trotz aller Faszination,<br />

die von ihnen ausgeht, weniger als ein einleuchtendes Zeugnis für utopisches Konstruieren<br />

zu werten, als vielmehr als ein emphatischer Versuch zu verstehen, Begeisterung für<br />

die utopische Sache an sich zu wecken.<br />

Darum aber ist Bloch ein großer Redner, <strong>der</strong> mittels Meta-Erzählungen und sprachlichen<br />

Raffinessen die Faszination des Traums von einer besseren Welt beschwört und<br />

<strong>der</strong> diesbezüglich nie von Selbstzweifeln geplagt war: "Wer mich ablehnt", so sagte<br />

einmal Bloch, "<strong>der</strong> ist gerichtet durch die Geschichte." 788 Die geschichtlichen Ereignis-<br />

784Vgl. Bloch, PH, 236f.<br />

785 So auch Holz, Logos, 204f.<br />

786 Habermas, zitiert nach Damus, Prinzip, 40, Anm. 6. Zudem ist Kolakowski zuzustimmen,<br />

wenn er als Kritikpunkt an Blochs Materieverständnis anführt, daß sich das Materieverständnis<br />

von Aristoteles auf einzelne Objekte und Prozesse (etwa auf ein Samenkorn, das die vollendete<br />

Form z.B. eines Baumes in sich trägt) bezieht, nicht aber auf das Sein als Ganzes, wie dies bei<br />

Bloch <strong>der</strong> Fall ist. Insofern kann sich Bloch in diesem Punkt nicht direkt auf Aristoteles berufen,<br />

vgl. Kolakowski, Marxismus, 469-475.<br />

787 Holz, Logos, 210. - So kann beispielsweise gefragt werden, warum gerade <strong>der</strong> Tagtraum,<br />

wie Bloch behauptet, sich ausschließlich auf die Zukunft richtet und <strong>der</strong> Nachttraum auf das<br />

Vergangene. Ist es nicht vielmehr so, daß in je<strong>der</strong> Art von Traum sowohl Zukunft und Vergangenheit<br />

ihren Platz finden?<br />

788 Zitiert nach Fest, Traum, 68.<br />

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