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Friedemann Richert Der endlose Weg der Utopie - Augustana ...

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Weisheit und Vernunft aus, die <strong>der</strong> europäischen Zivilisation bisher unbekannt war,<br />

o<strong>der</strong> durch eine hohe Lebenserwartung, bei <strong>der</strong> mit 150 Lebensjahren erst das Greisenalter<br />

beginnt. Allerdings vertritt kein Utopist des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts ein eugenisches Programm,<br />

mit dem dieser "neue Mensch" gleichsam gezüchtet werden soll. "Zwar erläßt<br />

<strong>der</strong> utopische Staat allgemeine Richtlinien, innerhalb <strong>der</strong>er sich die Sexualität zu bewegen<br />

hat, doch wird <strong>der</strong>en zweckrationale Funktionalisierung zugunsten <strong>der</strong> Freiwilligkeit<br />

<strong>der</strong> Liebesgemeinschaft ebenso aufgegeben wie die staatliche Überwachung <strong>der</strong><br />

Fortpflanzung." 283<br />

Dieser Egalitarismus <strong>der</strong> Liebesgemeinschaft kann jedoch nicht die These von einer<br />

fundamentalen Wesensdifferenz zwischen Mann und Frau überdecken, die für die meisten<br />

Utopisten des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts selbstverständlich war: Die Frau wurde im sozialen<br />

und politischen Bereich entmündigt, so etwa variiert Mercier den Topos Rousseaus,<br />

nach dem sich die Frauen nur ihren "natürlichen Pflichten" hinzugeben haben: "Die<br />

Weiber, den Pflichten ihres Standes wie<strong>der</strong>gegeben, waren von <strong>der</strong> einzigen Sorge, die<br />

ihnen <strong>der</strong> Schöpfer auferlegt hat, erfüllt: Kin<strong>der</strong> zu gebären und denen ihre Muße zu<br />

versüßen, die mühsam für die Bedürfnisse des Lebens sorgen." 284<br />

Allerdings wi<strong>der</strong>sprechen Di<strong>der</strong>ot und Gueudeville diesem patriarchalen Besitzanspruch<br />

auf die Frau als untergeordnetes Wesen. So läßt etwa Gueudeville eine junge<br />

Frau, die ihren vom Vater ausgesuchten Ehemann ablehnt, zu ihrem Vater sagen: "Vater,<br />

wen glaubst Du, vor Dir zu haben? Bin ich Deine Sklavin? Muß ich nicht meine<br />

Freiheit genießen? Muß ich mich deinetwegen verheiraten? Soll ich einen Mann nehmen,<br />

<strong>der</strong> mir mißfällt, um Dich zufriedenzustellen? Wie könnte ich einen Bräutigam<br />

ertragen, <strong>der</strong> meinen Körper von meinem Vater kauft, und wie könnte ich einen Vater<br />

achten, <strong>der</strong> seine Tochter einem Wüstling verkauft? Wie soll es mir möglich sein, die<br />

Kin<strong>der</strong> eines Mannes zu mögen, den ich nicht liebe? 285 Eine außergewöhnliche Position<br />

für das 18. Jahrhun<strong>der</strong>t!<br />

Neben dem staatstragenden Fundament <strong>der</strong> Geschlechterbeziehung diskutierten die<br />

Utopisten des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts zudem drei unterschiedliche Modelle in Bezug auf die<br />

staatlichen Institutionen:<br />

1. Vairasse, Fontenelle und Morelly teilen mit Morus und Platon die Auffassung, daß<br />

es ein starkes, ordnungspolitisches Regierungssystem geben müsse;<br />

2. im Gegensatz zu diesem Institutionalismus wird im <strong>Utopie</strong>diskurs des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

auch die radikale Abwertung von staatlichen Einrichtungen erörtert. Die Tendenz<br />

zum Anarchismus wird hier zum erstenmal greifbar. De Foigny, Gueudeville und<br />

Di<strong>der</strong>ot diskutieren denn auch ein Idealgemeinwesen, das möglichst ohne ordnungspoli-<br />

283Saage, <strong>Utopie</strong>n, 127.<br />

284 Mercier, 2440, 37.<br />

285 Gueudeville, Suite, 98.<br />

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