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Friedemann Richert Der endlose Weg der Utopie - Augustana ...

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ihre Differenz allererst als Verfehlung in Erscheinung treten kann. Wer nichts behauptet,<br />

<strong>der</strong> kann auch nichts bestreiten; und wer nichts spricht, <strong>der</strong> spricht auch nicht wirklich,<br />

mithin wird seine Äußerung alles mögliche bewirken, nur keinen Streit." 1570 Lyotard<br />

aber setzt selbst solch eine übergreifende Sprachregel ein, nämlich Auschwitz.<br />

Interessanterweise argumentiert er mit Auschwitz, indem er Auschwitz als wirklichste<br />

Wirklichkeit bezeichnet. Dadurch aber gerät er in einen performativen Wi<strong>der</strong>spruch.<br />

Lyotard scheint dies auch zu erkennen, weswegen er dann Auschwitz in die Kategorie<br />

<strong>der</strong> Ästhetik erhebt, die ihrerseits als alles an<strong>der</strong>e von Wirklichkeit dominierend, totalitäre<br />

Züge beinhaltet und damit die Zeit in <strong>der</strong> Kategorie vor und nach Auschwitz zum<br />

Stehen bringt. Damit aber begeht Lyotard im Bereich des Ethischen den Überschritt<br />

vom Sein zum Sollen, ohne daß er inhaltlich-normativ begründet, warum vom "Sein<br />

Auschwitz´" auf ein "Sollen nach Auschwitz" geschlossen werden soll. Eine ästhetische<br />

Begründung reicht hierfür nicht aus, auch wenn Lyotard in diesem Zusammenhang auf<br />

das Nicht-Darstellbare von Auschwitz verweist. 1571 Denn sagen, bezeugen, was nicht<br />

sein soll, heißt doch, sich für ein Seinsollendes einzusetzen. Darum auch Lyotards Rede<br />

von Auschwitz als Verpflichtungszeichen. Dieses Verpflichtungszeichen will nun Lyotard<br />

nicht in einen normativen Satz überführen, weswegen er auch das Paradigma des<br />

Subjekts verwindet. Aber Lyotard kann sich <strong>der</strong> Verbindlichkeit einer alternativen Position<br />

nicht entziehen, es sei denn Lyotards Unternehmen <strong>der</strong> Verpflichtung sei völlig<br />

sinnlos und absurd. Diese Nicht-Abgeschlossenheit in Lyotards Denken "... wird am<br />

sichtbarsten in <strong>der</strong> äußersten Spannung, die Lyotards Parteinahme für das vom übermächtigen<br />

Du gedemütigte Ich zu seiner These unterhält, es gebe gar kein Ich und das<br />

sprachlich vermittelte "événement" ereigne sich von selbst... Die Desanthropozentrierung<br />

verlangt die radikale Auslöschung des Subjekts. Für wen engagiert sich alsdann<br />

die Kritik an <strong>der</strong> Ich-auslöschenden Gewalt <strong>der</strong> Verpflichtung, und vor allem: wem<br />

geschieht ein "tort"? Ist es die Anonymität eines Satzes o<strong>der</strong> eines Diskurses, <strong>der</strong> mit<br />

nach an<strong>der</strong>en Regeln geformten ungleicher Natur ("heterogen") ist: wem täte das weh,<br />

1570Frank, das Unsagbare, 595.<br />

1571 An Lyotard ist in diesem Zusammenhang die Frage zu richten, warum er für das Nicht-<br />

Darstellbare des Grauens sich nicht auch auf die Judenverfolgungen im Mittelalter und später<br />

bezieht, etwa wenn Erasmus von Rotterdam stolz verkündet, daß Frankreich endlich judenfrei<br />

sei, warum er den Genozid des Stalinismus, <strong>der</strong> maoistischen Kulturrevolution, des "Steinzeitkommunismus<br />

von Pol Pot o<strong>der</strong> etwa <strong>der</strong> Religionskriege übergeht? Kommt nicht auch angesichts<br />

solcher Verbrechen die Ambivalenz <strong>der</strong> Vernunft, das Nicht-Darstellbare, das Böse<br />

menschlichen Handelns und Denkens zum Ausdruck? Frank, Verständigung, 102, bemerkt in<br />

diesem Zusammenhang: "Wer die Ermordung <strong>der</strong> Zeugen von Auschwitz für einen Grund ansieht,<br />

die Thesen Faurissons für unwi<strong>der</strong>legbar zu halten, kann sein Engagement zu ihren Gunsten<br />

nur noch rhethorisch anzeigen, nicht mehr legitimieren. ...Ein ermordetes Subjekt kann nur<br />

schweigen; zynisch wird <strong>der</strong> Diskurs dessen, <strong>der</strong>...Zeugnis ablegen könnte, aber das Schweigen<br />

des Subjekts in den Rang einer geltenden Norm erhebt."

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