Erhard Weigel â 1625 bis 1699 - Astrophysikalisches Institut und ...
Erhard Weigel â 1625 bis 1699 - Astrophysikalisches Institut und ...
Erhard Weigel â 1625 bis 1699 - Astrophysikalisches Institut und ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Erhard</strong> <strong>Weigel</strong> <strong>und</strong> die Kalenderreform des Jahres 1700 137<br />
senschaftlichem Vorzeichen; seine wissenschaftliche Begründung geschah<br />
erst 1588 durch Clavius. Zudem mußte schon der im ersten Satz enthaltene<br />
Hinweis auf das Trientinische Konzil die Protestanten in Opposition<br />
drängen. Denn gerade das Konzil von Trient, auf dem viele Beschlüsse, darunter<br />
zu den Sakramenten, der Heiligenverehrung, dem Bilderdienst oder<br />
der Bibelauslegung durch das kirchliche Lehramt gefaßt wurden, hatte die<br />
Gegenreform gefördert <strong>und</strong> stand daher bei den Lutheranern in schlechtem<br />
Ruf.<br />
Sofort nach Erscheinen der Kalenderverordnung begann eine literarische<br />
Fehde größten Ausmaßes. Streitschriften für <strong>und</strong> wider erschienen, die meisten<br />
lehnten die Reform mit harter <strong>und</strong> unsachlicher Polemik ab. Bezeichnend<br />
war, daß die meisten dieser Druckwerke in deutscher Sprache verfaßt<br />
wurden – die Kalenderfrage hatte im Gefolge theologischer Dispute den<br />
Rahmen gelehrter Erörterungen gesprengt. Offenbar waren die kirchlichen<br />
Instanzen Roms zu sehr von der Wirkung ihres Machtwortes überzeugt<br />
gewesen. Die Autorität des Papstes, die Macht seines Wortes waren nach<br />
dem lutherischen Thesenanschlag <strong>und</strong> der Rebellion der untersten sozialen<br />
Klassen <strong>und</strong> Schichten in weiten Teilen Deutschlands geschw<strong>und</strong>en. Lediglich<br />
in den erzkatholischen Ländern erfolgte der Übergang zum neuen<br />
Kalender noch 1582; einige Bistümer sowie Bayern folgten 1583.<br />
Worin bestand nun die Polemik gegen den Gregorianischen Kalender?<br />
In erster Linie darin, daß die Reform eine vom Papst, dem „Antichristen“,<br />
initiierte <strong>und</strong> verordnete Angelegenheit war; die Einwände waren theologischer<br />
Natur oder derart, daß es so kurz vor dem zu erwartenden Weltende<br />
nicht angebracht sei, den Kalender noch zu ändern. Von einer jenseits aller<br />
Religionshändel liegenden Denkart war man allgemein weit entfernt [38].<br />
Die Streitigkeiten gipfelten gelegentlich sogar in schweren Handgreiflichkeiten,<br />
wie beispielsweise 1584 in Augsburg. Als der Rat der Stadt den Gregorianischen<br />
Kalender für alle Bürger, auch die Protestanten, verbindlich<br />
einführte, begannen Ausschreitungen, die vor dem Kaiserlichen Kammergericht<br />
in Speyer zur Verhandlung kamen. Abgesehen von solch schwerwiegenden<br />
Ereignissen fand in den ersten Jahren nach der Reform eine<br />
emsige diplomatische Tätigkeit statt. Die protestantischen Herrscher korrespondierten<br />
eifrig, tauschten ihre Bedenken aus <strong>und</strong> forderten bei ihren<br />
Gelehrten Gutachten an. Zum Zentrum des Meinungsaustausches avancierte<br />
der wissenschaftlich gebildete <strong>und</strong> selbst astronomisch tätige hessische Landgraf<br />
Wilhelm IV. in Kassel [23].<br />
Mit dem Beschluß, die Gregorianische Reform nicht mitzutragen, hatten<br />
sich die evangelischen Stände in eine schwierige Situation gebracht, die<br />
allerdings angesichts der politischen <strong>und</strong> religiösen Machtverhältnisse geradezu<br />
unvermeidlich war. Auch unter den protestantischen Gelehrten war