120 DAMALS Talking Heads Vampire Weekend Gang Of four Bloc Party T-Rex MGMT The Strokes The Velvet un<strong>de</strong>rground Fotos: Vampire Weekend: Anja Lubitz, T-Rex: PYMCA und Promos
DAMALS 121 Wer hat an <strong>de</strong>r Uhr gedreht? Im Jahr 2010 spielten auf <strong>de</strong>m Primavera Sound Festival in Barcelona The Pixies und Pavement als Headliner. Zwei Bands, die sich bereits vor Jahren offiziell aufgelöst hatten. In diesem Jahr traten dort Pulp auf, die seit fast zehn Jahren nicht mehr live zu sehen waren – und wohl auch nie wie<strong>de</strong>r gemeinsam ins Studio gehen wer<strong>de</strong>n. Während das boomen<strong>de</strong> Live-Geschäft zur unverhofften Einnahmequelle für in Rente gegangene Bands gewor<strong>de</strong>n ist, sprießen um sie herum Armeen von Retrobands aus <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nen nichts Besseres einfällt, als die I<strong>de</strong>en <strong>de</strong>r alten Hasen in ihren Songs zu kopieren. Moment mal, ist das so? Junge Hüpfer, alte Hasen Seit The Strokes im Jahr 2001 mit ihrem ersten Album »Is This It« einerseits als neues heißes Ding ein junges Publikum begeisterten und an<strong>de</strong>rerseits nostalgische Gefühle bei <strong>de</strong>n älteren Hörern auslösten, die noch schrammelige Garagenrock-Platten aus <strong>de</strong>n 1960er- und nervöse Postpunk-Alben aus <strong>de</strong>n 70er-Jahren im Schrank hatten und sich außer<strong>de</strong>m an <strong>de</strong>n Look <strong>de</strong>r Swell Maps erinnern konnten, <strong>de</strong>nen Julian Casablancas und Co. echt nicht unähnlich sahen, scheinen die Uhren in <strong>de</strong>r Popkultur endgültig an<strong>de</strong>rs, wenn nicht gar rückwärts zu ticken. Zwar gab es auch vorher schon Retromo<strong>de</strong>n und ästhetische Revivals, doch in <strong>de</strong>n Nullerjahren wur<strong>de</strong> das Spiel mit <strong>de</strong>n Referenzen aus <strong>de</strong>r Pophistorie so weit getrieben, dass <strong>de</strong>r britische Musikjournalist und Publizist Simon Reynolds kürzlich in einem Zeitungsartikel vermutete, man wer<strong>de</strong> im Nachhinein Probleme haben, das erste Jahrzehnt <strong>de</strong>s 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts an einem spezifischen Sound wie<strong>de</strong>rzuerkennen. Schließlich hätten so viele Künstler Rückgriffe auf die Geschichte getätigt, dass letztlich alles verstaubt klinge. Dieses Urteil können aber wohl am ehesten mehr o<strong>de</strong>r weniger nostalgische Kritiker aus <strong>de</strong>m Dunstkreis seiner Generation bestätigen – Reynolds ist Jahrgang 1963 -, während Spätgeborene geflissentlich darüber hinweghören dürften. Nicht je<strong>de</strong>n Enkel interessiert es, wenn die Großeltern vom Krieg erzählen. Und wer sich schon mal auf einem bunt gemischten Festival wie <strong>de</strong>m Primavera Sound auf mehreren Bühnen umgeschaut hat, wird festgestellt haben, dass die alten Recken durchaus altmodischer klingen als jene Bands, die laut <strong>de</strong>m Urteil <strong>de</strong>r Popkritik <strong>de</strong>ren Sound kopieren. Erfahrungsschätze, Überraschungserfolge Simon Reynolds selbst ist ebenfalls aufgefallen, dass es für die Kritik darum gehen muss, die Retrotrends <strong>de</strong>r letzten Jahre als Phänomen umfassend zu beschreiben – und in <strong>de</strong>n Kontext ihrer Zeit einzuordnen. Im Sommer erschien sein Buch »Retromania«, worin er sich mit <strong>de</strong>n vielen Spielarten von Retro beschäftigt, die über kurze musikalische Mo<strong>de</strong>n hinausweisen. Deshalb bat Christian Werthschulte ihn für dieses Heftspezial auch zum Gespräch. Um <strong>de</strong>n personellen Zusammenhang zwischen <strong>de</strong>m Phänomen <strong>de</strong>r vielen Indie-Retrobands und <strong>de</strong>n alten Zeiten zu beleuchten, sprach darüber hinaus Christian Steinbrink mit Laurence Bell, einem <strong>de</strong>r Macher von Domino Records. Dieses aus <strong>de</strong>m Geist <strong>de</strong>s Postpunk und DIY entstan<strong>de</strong>ne britische Label zauberte zu seinem 10-jährigen Bestehen im Jahr 2004 mit <strong>de</strong>m Erfolg <strong>de</strong>s Debütalbums von Franz Ferdinand ein ganz beson<strong>de</strong>rs fettes Retro-Kaninchen aus <strong>de</strong>m Zylin<strong>de</strong>r. Heute hat sich Domino auch die Pflege eines umfassen<strong>de</strong>n ReIssue-Katalogs zur Aufgabe gemacht. Bei so viel Geschichtsbewusstsein sei die Frage erlaubt: Was hat <strong>de</strong>r Erfahrungsschatz <strong>de</strong>r Labelbetreiber mit <strong>de</strong>m Erfolg Franz Ferdinands zu tun, einer Band, die – wie zumin<strong>de</strong>st Simon Reynolds erklärt – im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Postpunk-Veteranen »die harte Arbeit, all das Reifen und die Kämpfe, die nötig waren, um etwas völlig Neues zu erschaffen, einfach übersprungen« hat? War früher alles besser – und wer hat an <strong>de</strong>r Uhr gedreht? Post-irgendwas-Skriptum: Alte Gewohnheiten Da Simon Reynolds betont, wie sehr Journalisten, die je<strong>de</strong> neue Band bereits kennen, bevor es sie gibt, an <strong>de</strong>r Retroschraube drehen, lassen wir uns in Sachen Zeitreisen durch <strong>de</strong>n Zitathimmel nicht lumpen - und veranschaulichen unsere Timeline anhand <strong>de</strong>r referenzreichsten <strong>Intro</strong>-Reviews <strong>de</strong>r letzten zehn Jahre. Und obwohl wir wissen, dass Künstler nicht gern in Schubla<strong>de</strong>n gesteckt wer<strong>de</strong>n, tun wir es nach alter Tradition doch und präsentieren eine Liste von mit allen Wassern sämtlicher Pop-Quellen gewaschenen <strong>de</strong>utschen Acts - von Robocop Kraus bis 1000 Robota.
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