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HEUTE 071<br />
The Kooks<br />
Runter von unserem<br />
Schulhof<br />
Die Kooks haben es nicht leicht. Seit Sänger Luke Pritchard bei einem Konzert Alex Turner von <strong>de</strong>n Arctic<br />
Monkeys eine verpasst hat, wird seine Band von <strong>de</strong>r Presse gerne als Außenseiter <strong>de</strong>r britischen Musikszene<br />
gedisst. Hinzu kommt <strong>de</strong>r Vorwurf <strong>de</strong>s Unauthentischen. Warum <strong>de</strong>m so ist, erklärt Kooks-Frontmann Luke<br />
Pritchard Dana Bönisch im Interview. Illu: Marc Trompetter.<br />
Luke Pritchard empfängt in einer Hy<strong>de</strong>-Park-nahen Suite<br />
mit zerwühltem Himmelbett, Samt-Chaiselongue-<br />
Sofa, Kronleuchtern und möglicherweise schweren<br />
Brokatvorhängen – aber vielleicht habe ich das auch nur<br />
mal in einem Roman gelesen. Wenn dieses Interview-<br />
Setting eine Botschaft sein soll, kann ich sie noch nicht<br />
ganz entschlüsseln. Immerhin hält <strong>de</strong>r Kooks-Frontmann<br />
die Audienz nicht im Bett ab, wie es ein barocker König<br />
getan hätte, son<strong>de</strong>rn sitzt aufmerksam vorgebeugt auf <strong>de</strong>r<br />
Chaiselongue, während er über ein falsches Verständnis<br />
von »working class«, Authentizität und verwandten Themen<br />
spricht.<br />
Pritchard ist bei Weitem nicht <strong>de</strong>r Rüpel, zu <strong>de</strong>m man<br />
<strong>de</strong>n Frontmann je<strong>de</strong>r archetypischen Britrock-Band gerne<br />
macht. Er ist ein höflicher junger Mann, <strong>de</strong>r interessierte<br />
Gegenfragen stellt, ungefragt mitteilt, dass er angetan sei<br />
von <strong>de</strong>n Kölner Weihnachtsmärkten, und <strong>de</strong>r, klar, einfach<br />
nur Musik machen will. Bleiben wir aber beim Rüpel-Faktor,<br />
<strong>de</strong>nn min<strong>de</strong>stens in dieser Hinsicht scheinen es The Kooks<br />
nieman<strong>de</strong>m recht machen zu können: Einerseits hat die<br />
Presse es Pritchard sehr übel genommen, dass er vor sechs<br />
Jahren Alex Turner von <strong>de</strong>n Arctic Monkeys ins Gesicht<br />
getreten hat; an<strong>de</strong>rerseits ist ihr Vorwurf gegenüber The<br />
Kooks <strong>de</strong>r, dass sie keine echten Kerle seien – weil sie angeblich<br />
die erste Band im Post-Boygroup-Zeitalter sind, die<br />
nach Boygroup-Parametern fabriziert wor<strong>de</strong>n ist. Dieses<br />
Gerücht hängt damit zusammen, dass sich die vier Ur-Kooks<br />
als Schüler <strong>de</strong>r Brit School gefun<strong>de</strong>n haben.<br />
Pritchard kommt von selbst auf die Szene mit Alex Turner<br />
zu sprechen – vielleicht, weil er sich so sehr daran gewöhnt<br />
hat, in Interviews danach gefragt zu wer<strong>de</strong>n. »Die Medien<br />
konzentrieren sich auf solche einzelnen Vorfälle – ich nenne<br />
das faulen Journalismus. Die Sache mit <strong>de</strong>n Arctic Monkeys<br />
war eine einmalige Sache im Jahr 2005! Alex hat mir damals<br />
auf <strong>de</strong>r Bühne das Verstärkerkabel rausgezogen, woraufhin<br />
ich ihn weggetreten habe. Später haben wir darüber gelacht.<br />
Aber es wird natürlich als die große Feindschaft dargestellt;<br />
und wenn so was einmal da draußen ist, dann bleibt es auch<br />
so. Wenn es wenigstens ein Faustkampf gewesen wäre.«<br />
Aber da scheint noch mehr zu sein, das Blogger und<br />
twittern<strong>de</strong> Bands zum Kooks-Bashing anstachelt – was ist<br />
Pritchards Theorie dazu? »Es gibt eine negative Unterströmung<br />
in <strong>de</strong>r englischen Presse, die damit zusammenhängt,<br />
dass wir eben nicht von <strong>de</strong>r Presse ent<strong>de</strong>ckt wor<strong>de</strong>n sind,<br />
aber trotz<strong>de</strong>m mehr Alben verkaufen als die Arctic Monkeys.<br />
Der zweite Grund ist, dass wir nicht aus Liverpool<br />
o<strong>de</strong>r Sheffield kommen. In die Kiste mit <strong>de</strong>m Label ›rich<br />
kids‹ passen wir aber auch nicht, weil wir verschie<strong>de</strong>ne<br />
soziale Backgrounds haben. Das ist aber anscheinend zu<br />
kompliziert, um in Geschichten Platz zu fin<strong>de</strong>n. Das Bild<br />
vom klassenbesessenen England ist je<strong>de</strong>nfalls immer noch<br />
wahr, nur an<strong>de</strong>rs als früher: <strong>Als</strong> ich klein war, hat noch eine<br />
echte Kluft zwischen <strong>de</strong>r Arbeiterklasse und <strong>de</strong>r restlichen<br />
Gesellschaft bestan<strong>de</strong>n, die jetzt verschwun<strong>de</strong>n ist – dafür<br />
ist sie heute zu einer Art absur<strong>de</strong>n Qualitätsmerkmal für<br />
Künstler gewor<strong>de</strong>n, verliehen von Leuten, die nicht ohne<br />
ihren Gourmet Burger können. Diese Kultur <strong>de</strong>s Meckerns<br />
nervt.«<br />
Das nunmehr dritte Kooks-Album trägt <strong>de</strong>n schönen Titel<br />
»Junk Of The Heart«, was, wie Pritchard sagt, ein Zitat aus<br />
einer Zettel-Nachricht sei, die ein Mädchen eines Morgens<br />
für ihn hinterlassen habe. Vom Morgen danach kommen<br />
wir zur Nacht, und ich will wissen, wie die Angstträume<br />
eines Rockstars aussehen: »Komisch, tatsächlich hatte ich<br />
erst vor ein paar Tagen meinen allerersten bandbezogenen<br />
Traum«, erzählt Luke. »Wir spielten eine riesige Show, und<br />
ein Zuschauer nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren ging weg, bis wir vor einer<br />
leeren Halle stan<strong>de</strong>n.« Das dürfte so schnell nicht passieren,<br />
<strong>de</strong>nn das neue Album, erneut produziert von Tony Hoffer<br />
(Beck, Depeche Mo<strong>de</strong>, Belle & Sebastian), hat neben ruhigeren<br />
Songs mit mehrstimmigem Gesang im Beatles-Stil so viel<br />
Hitpotenzial, dass es fast körperlich schmerzt – und klingt,<br />
als wären nicht nur die üblichen britischen Überbands, son<strong>de</strong>rn<br />
auch The Killers Brit-School-Gastdozenten gewesen.<br />
Eine etymologische Ironie will es, dass »Kooks« nicht<br />
nur Exzentriker, son<strong>de</strong>rn auch Möchtegerne sind – <strong>de</strong>nn als<br />
»Kooks« bezeichnen Surfer an<strong>de</strong>re Surfer, die nur so tun,<br />
als seien sie Surfer. Das passt dazu, dass The Kooks eben<br />
nicht das sind, was man eine »Band-Band« nennt, also eine<br />
Band, zu <strong>de</strong>ren Fans sich an<strong>de</strong>re Bands zählen. Pritchard ist<br />
das, fair enough, völlig egal. Zumin<strong>de</strong>st sagt er das, schaut<br />
dabei aber so, dass man ihm das nicht ganz abnimmt – was<br />
ihn wie<strong>de</strong>rum sympathisch macht. Das Echte, das Unechte,<br />
<strong>de</strong>r Müll <strong>de</strong>s Herzens: Es bleibt kompliziert.<br />
— <strong>Intro</strong> empfiehlt: The Kooks »Junk Of The Heart« (Virgin / EMI<br />
/ VÖ 09.09.) Auf Tour vom 28.10. bis 05.11.<br />
Ur-Kooks / Bandzusammensetzung<br />
In ihrer relativ kurzen Bandgeschichte<br />
haben die Kooks<br />
mit »Insi<strong>de</strong> In / Insi<strong>de</strong> Out«<br />
(2006) und »Konk« (2008)<br />
nicht nur über zwei Millionen<br />
Alben verkauft, son<strong>de</strong>rn<br />
auch schon ein paar stürmische<br />
Line-up-Wechsel erlebt:<br />
Nur Sänger Luke Pritchard<br />
und Gitarrist Hugh Harris<br />
sind seit <strong>de</strong>r Gründung 2004<br />
dabei. Bassist Max Rafferty<br />
und Drummer Paul Garred<br />
verließen die Band 2008 und<br />
2010 und wur<strong>de</strong>n durch Peter<br />
Denton beziehungsweise<br />
Chris Pren<strong>de</strong>rgast ersetzt.<br />
Rafferty ging angeblich wegen<br />
Drogenproblemen, und<br />
die Band stand mehrmals<br />
kurz vor <strong>de</strong>r Trennung.<br />
Brit School<br />
Offiziell: The London<br />
School for Performing Arts<br />
& Technology, Großbritanniens<br />
einzige staatliche,<br />
gebührenfreie Kunstschule.<br />
Hier ziehen sich die Brit<br />
Awards ihre potenziellen<br />
Preisträger heran. Die 14-<br />
bis 19-jährigen Auserwählten<br />
lernen in <strong>de</strong>n Sparten<br />
Tanz, Schauspiel o<strong>de</strong>r eben<br />
Musik/Musikproduktion so<br />
erfolgreich ihr Handwerk,<br />
dass fast je<strong>de</strong>r Jahrgang ein<br />
bis zwei Stars hervorbringt:<br />
Amy Winehouse, A<strong>de</strong>le und<br />
Kate Nash zum Beispiel.<br />
Weibliche Singer/Songwriter<br />
bekommen dafür, im<br />
Gegensatz zu männlichen<br />
Bands mit <strong>de</strong>m gleichen<br />
Background, anscheinend<br />
aber kein Biografie-Bashing<br />
zu spüren.