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054 HEUTE<br />
Dann habe ich angefangen mit »Ich wur<strong>de</strong> hier geboren<br />
zwischen Torf und Kork«. Torf und Kork kennt je<strong>de</strong>r, assoziiert<br />
je<strong>de</strong>r mit Nord<strong>de</strong>utschland, und von da an schrieb<br />
sich <strong>de</strong>r Text quasi von selbst. Es gibt in <strong>de</strong>r Region sicher<br />
150.000 Jugendliche, die In<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt hören, aber in die<br />
Disco gehen, die von <strong>de</strong>r Landjugend veranstaltet wird –<br />
weil es eben die einzige Disco ist. Klar mag es wahnsinnig<br />
cool sein, in Manhattan o<strong>de</strong>r Berlin-Mitte groß zu wer<strong>de</strong>n<br />
– aber es gibt auch so viele an<strong>de</strong>re, die sonst wo aufwachsen.<br />
Bei <strong>de</strong>m Text ergibt sich auch ein positives Beziehen auf<br />
Heimat. Das wäre in <strong>de</strong>m Punk <strong>de</strong>r Prägung Zap und<br />
Martin Büsser, aus <strong>de</strong>m du auch stammst, nicht <strong>de</strong>nkbar<br />
gewesen?<br />
In einem seiner letzten Texte hält Martin Büsser ja eine<br />
Lobre<strong>de</strong> auf die Kleinstadt. Da dachte ich, als ich davon<br />
hörte, sofort: »Yes!« Zu<strong>de</strong>m spiegelt mein Text einfach auch<br />
Eindrücke aus Berlin, wo mir Leute, die vermeintlich alles<br />
erreicht haben, sagten: »Ey, Thees, irgendwie fehlt mir Zuhause.<br />
Ich weiß nicht mal, wo das ist. Aber hier ist es nicht.«<br />
Für mich selbst besitzt das dabei auch einen handfesten<br />
ironischen Aspekt, dass ich mit 22 gesungen habe, wie ich<br />
aus Hemmoor raus will, und mit 37 nun davon singe, dass<br />
die Kleinstadt doch okay ist. Aber was soll ich dir dazu noch<br />
sagen? Vor allem, was soll ich dir sagen, ohne dass es eine<br />
Antifa-Schelle wegen Lokalpatriotismus gibt?<br />
Ach, mittlerweile ist die Szene doch völlig <strong>de</strong>reguliert.<br />
Je<strong>de</strong>r darf alles bringen. Die Sterne wur<strong>de</strong>n Mitte <strong>de</strong>r<br />
neunziger noch schwer diskutiert, weil sie zu einer großen<br />
Plattenfirma gewechselt sind. 2011 machst du Raabs<br />
»Bun<strong>de</strong>sVisionSongContest« mit, und man <strong>de</strong>nkt sich nichts<br />
mehr dabei. Haben ja auch schon quasi alle an<strong>de</strong>ren mitgenommen.<br />
Allerdings schnitten bis auf wenige Ausnahmen<br />
die Teilnehmer aus <strong>de</strong>m Indie-Kontext immer schlecht ab.<br />
Da erlebt man diesen Downgra<strong>de</strong> zu unter »ferner liefen«,<br />
während die ganz populären Idioten-Acts und Mittelalter-<br />
Honks hofiert wer<strong>de</strong>n. Was versprichst du dir konkret?<br />
Tomte hätten das, glaub ich, nie gemacht. Da geht es ja<br />
immer auch so um die knirschen<strong>de</strong>n Zähne – und wir<br />
sind stolz auf: neVer been in a bandwettbewerb.<br />
Bei <strong>de</strong>r Thees-Uhlmann-Sache war mir<br />
aber von vornherein klar: Jetzt machst du eine Platte, auf<br />
die du Bock hast, und guckst dir einfach mal alles Mögliche<br />
an. Und wenn ich dann 80 bin, sitze ich neben Tobias Kuhn<br />
auf <strong>de</strong>r Couch, wir gucken uns an, und ich sage: »Weißt<br />
du noch, wie wir vor 40 Jahren bei dieser Fernsehsendung<br />
mitgemacht haben?« Ums Gewinnen geht’s dabei gar nicht.<br />
Wir kommen da mit unserer kleinen Plattenfirma und einem<br />
Budget von ‘nem Hunni an o<strong>de</strong>r so. Und bei an<strong>de</strong>ren Lä<strong>de</strong>n<br />
sitzen da jetzt bereits die Grafikagenturen, um bei <strong>de</strong>r Show<br />
irgendwelche LED-Wän<strong>de</strong> vollzuknallen.<br />
Du wirst dich vielleicht nicht mehr erinnern, aber du<br />
hast auch mal ein Buch geschrieben. Zwei fragen: Hast du<br />
dahingehend noch weitere Ambitionen? und kann es sein,<br />
dass du vor Jahren bereits einen Vorschuss für einen Roman<br />
bei einem großen Verlag bekommen hast, jener heute<br />
längst verprasst ist – du aber nie was geschrieben hast?<br />
Moment! Mir hat <strong>de</strong>r Chef jenes großen Verlags seinerzeit<br />
gesagt [imitiert schweren Kölschen Akzent]: »Pass mal auf,<br />
Thees, dat is allet okay. Uff das Buch von Bob Dylan habe<br />
isch auch 50 Jahre jewartet. Irjendwann kommt da wat von<br />
dir, das weeß isch!«<br />
Muss er <strong>de</strong>nn so lange warten?<br />
In <strong>de</strong>m Tomte-Sturm zuletzt habe ich keine Luft dafür<br />
gehabt. Aber perspektivisch spüre ich schon Lust – allein<br />
wegen <strong>de</strong>r Lesereisen! Ich meine, ich wer<strong>de</strong> vermutlich <strong>de</strong>n<br />
Rest meines Lebens zwischen Flensburg und Graz unterwegs<br />
sein. Keine Rockschuppen in Kuala Lumpur o<strong>de</strong>r Leute in<br />
einem Rockschuppen in Sydney warten auf meine Band.<br />
Und weil ich das alles auch für mich selbst spannend halten<br />
will, ist das echt eine Möglichkeit, <strong>de</strong>r Rockbandmühle<br />
was entgegenzusetzen. Ach, ich glaub, ich schreib’n Buch!<br />
Deine Platte erscheint bei <strong>de</strong>inem eigenen Label Grand<br />
Hotel Van Cleef und nicht bei einer großen Plattenfirma.<br />
Ist das ein Tribute für <strong>de</strong>inen La<strong>de</strong>n?<br />
Ein Tribute ist das ganz bestimmt nicht, da wäre ja eine<br />
Gönnergeste involviert. Klar ist das, was Kettcar und ich<br />
machen, das Standbein. Aber wenn meine Platte jetzt floppt,<br />
dann sagen die vom Label: »Na herzlichen Dank, Thees, für<br />
das Tribute!« [lacht minutenlang] Na okay, die Geschichte,<br />
auf die du anspielst, ist die: <strong>Als</strong> ich die ersten Demos <strong>de</strong>s<br />
Soloalbums eingespielt hatte, wandte sich eine Major-Firma<br />
an mich und wollte die Platte rausbringen. Und dann habe<br />
ich zugesagt – allerdings nur für 48 Stun<strong>de</strong>n.<br />
Ach, da kommt man einfach so wie<strong>de</strong>r raus?<br />
Ich hatte gemerkt, dass ich nicht <strong>de</strong>r Typ dafür bin. Nicht<br />
dass ich was gegen solche Firmen hätte, es wäre vielleicht<br />
ja auch besser gewesen – aber es ist nicht mein Ding. Grand<br />
Hotel habe ich gegrün<strong>de</strong>t, weil unsere Bands nichts für einen<br />
Major sind. Dort wird so viel Geld in eine Veröffentlichung<br />
gepumpt. Und wenn du bei <strong>de</strong>nen aus <strong>de</strong>m Aufzug trittst,<br />
hängen da hinter Glas die ganzen Erfolge <strong>de</strong>r Künstler –<br />
und da soll man jetzt selbst noch dazu? Mit seiner Fresse<br />
als Trophäe in dieser Ahnenreihe? Nee, das wür<strong>de</strong> ich<br />
auch nervlich nicht schaffen. Und das haben die schon<br />
verstan<strong>de</strong>n, es hieß zumin<strong>de</strong>st: »Musst du wissen, Thees.«<br />
Aber hast du nicht mit <strong>de</strong>inem eigenen Label eine ähnlich<br />
große Verantwortung? Jetzt nicht für das Venture-Kapital<br />
<strong>de</strong>r Plattenfirma, aber doch für die Leute, die bei euch da<br />
mit dranhängen o<strong>de</strong>r sogar davon leben?<br />
Da ist natürlich was dran. Aber es macht mir genauso<br />
auch Spaß, ein Label zu unterhalten, wo wir Leuten eine<br />
Berufsausbildung geben können. Ist vielleicht nicht so fett,<br />
wie bei SAP Programmierer zu lernen, aber wenn du dich<br />
entschei<strong>de</strong>st, ist es eine gute Sache. Dass an <strong>de</strong>r ganzen<br />
Nummer natürlich ein Sack Verantwortung hängt und<br />
dass man manchmal alles verflucht, manchmal Angst hat,<br />
o<strong>de</strong>r dass man sich fragt: »Wir haben doch jetzt nicht sechs<br />
Wochen gearbeitet und nur so wenig CDs verkauft?« – klar,<br />
das gibt’s immer wie<strong>de</strong>r. Aber egal, weiter geht’s.<br />
Dieses Multiplikator-Sein liegt dir ja – auch ohne Label.<br />
Du erwähnst und feierst immer gern an<strong>de</strong>re. Letztens<br />
hast du dich aber beklagt, da käme letztlich nie so viel<br />
zurück. Empfin<strong>de</strong>st du das wirklich so?<br />
Ach, man muss Sachen auch einfach aus Altruismus machen<br />
können. Und es sind ganz kleine Sachen, die mitunter viel<br />
be<strong>de</strong>uten – und davon habe ich schon genauso profitiert.<br />
Wenn die Boxhamsters damals nicht gesagt hätten: »Ihr<br />
macht genau die gleiche Musik wie wir, und ihr seht auch<br />
noch so ähnlich aus, habt dieselben Texte ... Das ist schon<br />
ziemlich gruselig für uns, aber kommt mal mit. Wir spielen<br />
jetzt zusammen paar Gigs.« Das ist doch auch ‘ne Kultur,<br />
die im Punk selbstverständlich sein sollte, dass man sich<br />
gegenseitig hochhält. Außer<strong>de</strong>m ist es wirklich hässlich,<br />
immer nur sich selbst zu featuren. Nee, einfach auch mal<br />
das Projekt <strong>de</strong>ines Freunds in eine Mail packen und an<br />
an<strong>de</strong>re mit <strong>de</strong>n Worten schicken: »Ich bin nicht dabei,<br />
aber hey, das ist geil!«<br />
— THEES UHLMANN »THEES UHLMANN« (GRAND HOTEL VAN CLEEF /<br />
INDIGO / VÖ 26.08.) AUF TOUR VOM 19.08. BIS 30.10.<br />
Zap und<br />
Martin Büsser<br />
Zap war in <strong>de</strong>n 80ern und<br />
90ern ein gewichtiges<br />
Fanzine <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
Hardcore-Szene. Dort<br />
(und später auch bei <strong>Intro</strong>)<br />
schrieb Martin Büsser, <strong>de</strong>r<br />
letztes Jahr verstarb – und<br />
<strong>de</strong>m Thees einen Nachruf<br />
widmete. Nachzulesen unter<br />
www.intro.<strong>de</strong>.<br />
Der siebte<br />
»BuViSoCo«<br />
Thees startet für Hamburg<br />
in jenem Contest von Stefan<br />
Raab. Die Show selbst fin<strong>de</strong>t<br />
statt am 29.09., die »TV<br />
Total«-Sendung, in <strong>de</strong>r Thees<br />
vorgestellt wird, am 21.09.<br />
Buch<br />
Thees’ Buch über seine Zeit<br />
als Roadie bei Tocotronic<br />
erschien 2000 im Ventil Verlag<br />
unter <strong>de</strong>m Namen »Wir<br />
könnten Freun<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n«.